Schwäbische Zeitung (Wangen)

Trauer über Tod eines Weltenbumm­lers

Was der US-Student Otto Warmbier in nordkorean­ischer Haft erlebt hat, bleibt ein Rätsel

- Von Frank Herrmann

WASHINGTON - Es sind körnige, unscharfe Bilder, gefilmt im Flur eines Hotels in Pjöngjang. Sie zeigen einen hochgewach­senen Mann, der ein Plakat von der Wand nimmt, es nicht abreißt, sondern vorsichtig daran zieht, bis es sich löst, und es behutsam auf den Boden legt. Das Propaganda­poster, offensicht­lich sollte es ein Souvenir sein, das der Schlaks mit nach Hause nehmen wollte.

Wieder und wieder sind die Bilder in den Abendnachr­ichten der Fernsehsen­der ABC, CBS und NBC gelaufen, seit Otto Warmbier nach 17 Monaten nordkorean­ischer Gefangensc­haft in seine Heimatstad­t Cincinnati zurückkehr­te. Als er ankam, lag er im Koma, entweder seit Wochen oder seit Monaten, genau wissen es nur seine Bewacher. Ab und an, so schildern es seine Eltern, öffnete er seine Augen. Doch weder konnte er sprechen, noch reagierte er auf Worte oder Gesten.

Am Montagaben­d ist Warmbier in einer Klinik in Cincinnati verstorben, ein 22-Jähriger, der in diesem Monat seinen Uni-Abschluss gemacht hätte, wäre alles nach Plan verlaufen. An der University of Virginia hatte er Ökonomie studiert, zugleich begeistert­e er sich für RapMusik, an seiner High School war er Kapitän der Fußballman­nschaft gewesen. Ein Abenteuerl­ustiger, der die Welt entdecken wollte – so charakteri­sieren ihn Verwandte und Freunde.

An Botulismus erkrankt

Was Warmbier hinter Gittern widerfuhr, ist einstweile­n völlig unklar. Nach der Version des Regimes von Kim Jong-un litt er an Botulismus, einer seltenen Krankheit, die man sich nach dem Verzehr verdorbene­r Lebensmitt­el zuziehen kann. Man habe ihm eine Schlaftabl­ette gegeben, danach sei er ins Koma gefallen, sagen die Nordkorean­er.

Amerikanis­che Ärzte, die den Patienten nach seiner Rückkehr untersucht­en, sprechen von schweren neurologis­chen Verletzung­en, ohne dass sie den Grund nennen könnten. Fest stehe, der Student habe große Mengen an Hirngewebe verloren. Knochenbrü­che, fügten die Mediziner an, hätten sie nicht festgestel­lt, auch sonst nichts, was darauf schließen ließe, dass Warmbier geschlagen wurde.

So rätselhaft die Krankenges­chichte ist, so empört ist die amerikanis­che Öffentlich­keit über die Behandlung eines Weltenbumm­lers, den offenbar nichts als die Neugier nach Nordkorea trieb. Am 30. Dezember 2015 reiste Warmbier von Peking nach Pjöngjang, vermutlich aus einem spontanen Einfall heraus. In China hatte ein Reisebüro namens Young Pioneer Tours mit Kurztrips geworben, offenbar reizte den Jungen aus Ohio die Aussicht, Silvester in einem abgeschott­eten Land zu feiern, aus westlicher Sicht eine Terra incognita.

Am 2. Januar, kurz vor dem Rückflug, wurde er auf dem Flughafen Pjöngjangs verhaftet. Die letzten Bilder, die einen Otto Warmbier bei vollem Bewusstsei­n zeigen, sind Szenen des Schauproze­sses, bei dem er gezwungen wurde, ein Geständnis abzulegen. Er habe den schwersten Fehler seines Lebens gemacht, sagte er unter Tränen. „Bitte retten Sie mein Leben.“

Im März 2016 wegen staatsfein­dlicher Aktivitäte­n zu 15 Jahren Zwangsarbe­it verurteilt, schrieb er noch einmal an seine Eltern, jedenfalls gibt es nur einen Brief, der seit dem Urteilsspr­uch in Cincinnati ankam. Danach herrschte Funkstille, bis die Nordkorean­er der US-Regierung Anfang Juni mitteilten, dass der Student im Koma liege. Selbst Bill Richardson, ein Politiker, der unter dem Präsidente­n Bill Clinton UNBotschaf­ter war und regelmäßig mit Pjöngjang verhandelt, um gefangene Landsleute freizubeko­mmen, sieht sich hinters Licht geführt.

Ruf nach Konsequenz­en

20-mal, sagt der Demokrat, habe er nordkorean­ische Emissäre seit der Festnahme Warmbiers getroffen. Kein einziges Mal sei dessen Gesundheit­szustand auch nur erwähnt worden. Nordkorea, so Richardson, habe der internatio­nalen Gemeinscha­ft lückenlos zu erklären, was Warmbier zugestoßen sei. Der republikan­ische Senator John McCain ruft zornig nach Konsequenz­en: „Die Vereinigte­n Staaten können und dürfen es nicht hinnehmen, wenn einer ihrer Bürger durch eine feindliche Macht ermordet wird“.

Die Eltern des Toten wiederum haben einen Abschiedsb­rief zu Papier gebracht, der so schlicht wie bewegend ist, dass er vielen nur Bewunderun­g abringt. Als ihr Sohn am 13. Juni heimgekehr­t sei, habe er ausgesehen, als sei er von Schmerzen geplagt, schreiben Fred und Cindy Warmbier. Innerhalb eines Tages habe sich sein Gesichtsau­sdruck spürbar verändert, vom Ängstliche­n zum Friedliche­n. „Er war zu Hause, und wir glauben, dass er das spüren konnte.“

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FOTO: IMAGO Verhaftet, weil er ein Poster in einem Hotel mitgehen ließ: Otto Warmbier war in Nordkorea zu 15 Jahren Zwangsarbe­it verurteilt worden. Nach 17 Monaten in Gefangensc­haft kam er frei.

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