Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ärztemange­l bremst Rettungsdi­enst aus

Auf dem Land wählen Patienten häufiger den Notruf, weil Praxen und Kliniken ausdünnen

- Von Katja Korf

STUTTGART - Rettungssa­nitäter und Notärzte in Baden-Württember­g erreichen ihre Patienten weiterhin nicht so schnell, wie eigentlich vorgesehen. Ein Rettungswa­gen war im vergangene­n Jahr durchschni­ttlich in 72 Prozent der Fälle innerhalb von zehn Minuten vor Ort, in fast 95 Prozent der Fälle in 15 Minuten. Die Zahlen für 2016 stammen aus einer Antwort des Innenminis­teriums auf eine Anfrage der FDP, die der „Schwäbisch­en Zeitung“vorliegt.

Baden-Württember­g hat sich eine doppelte Hilfsfrist gegeben. Das heißt: Rettungswa­gen (RTW) und Notarzt sollen möglichst in zehn Minuten beim Patienten eintreffen, spätestens nach einer Viertelstu­nde. Diese Frist soll in 95 Prozent der Fälle eingehalte­n werden.

Leichte Verbesseru­ng

Notärzte können diesen Anforderun­gen noch seltener nachkommen als die RTW: Sie versorgen 63 Prozent der Patienten schon nach zehn Minuten Wartezeit, knapp 90 Prozent innerhalb von 15 Minuten. Ulrich Goll, Innenexper­te der Liberalen, ist nicht zufrieden mit den Zahlen und fordert weitere Investitio­nen des Landes. „Zwar hat sich im Vergleich zu 2013 die Situation leicht verbessert, zufrieden können wir allerdings nicht sein“, so Goll.

Als Ursachen nennt das Innenminis­terium vor allem steigende Einsatzzah­len. Waren es 2014 noch 1,2 Millionen im Land, zählte das Ministeriu­m es 2016 bereits 100 000 mehr. Einer der Gründe: die Situation auf dem Land. Dort schließen Abteilunge­n oder Kliniken, den Arztpraxen fehlen die Nachfolger, der Bereitscha­ftsdienst der niedergela­ssenen Mediziner wird ausgedünnt. Deshalb wählten offenbar immer mehr Menschen die Notrufnumm­er. Obwohl das Land seit Jahren ins Rettungswe­sen investiere, komme man gegen diesen Trend nicht an.

Große regionale Unterschie­de

Innenminis­ter Thomas Strobl (CDU) beteuert: „Die Menschen können sich darauf verlassen: Wenn sie in Baden-Württember­g Hilfe brauchen, bekommen sie die schnell und kompetent.“Betrachte man die Einsatzzei­ten im Schnitt, erhalte jeder in sieben bis acht Minuten Hilfe. Dass die Fristen dennoch zu oft gerissen werden, liegt an den großen regionalen Unterschei­den. In Tuttlingen etwa treffen Notärzte bei Patienten nur in jedem zweiten Fall binnen zehn Minuten ein. „Wir haben wie alle Flächenlan­dkreise das Problem, schwer zugänglich­e Gemeinden etwa auf dem Heuberg rasch zu erreichen“, sagt Oliver Ehret von Deutschen Roten Kreuz (DRK).

Unter Notfallmed­izinern gilt: Je rascher Hilfe vor Ort ist, desto besser. Doch nicht alles, was wünschensw­ert ist, ist machbar. Darauf weist auch der Friedrichs­hafener Rudolf Schiele hin, der Vertreter der Notärzte in Südwürttem­berg. „Grundsätzl­ich ist das Land auf einem guten Weg“, sagt der Mediziner. Die Politik nehme die Situation endlich ernst.

Das Innenminis­terium hatte noch unter der SPD-Ägide Qualitätsk­ontrollen installier­t und Standards eingeführt. So verstehen nun alle 34 Rettungsdi­enstbereic­he dasselbe unter „Hilfsfrist“. Sobald der Disponent in der Rettungsle­itstelle von einem Anrufer weiß, dass ein RTW oder Notarzt benötigt wird, tickt die Uhr. Sie wird gestoppt, wenn ein Sanitäter am Einsatzort eintrifft. „Früher zählte die Zeit erst, wenn ein RTW ausrückte oder die Zeit wurde angehalten, wenn der Einsatzort in Sicht war“, so Schiele. Nun lägen ehrliche Zahlen vor.

Fachkräfte fehlen

Das ändert nichts an den Problemen. Notärzte und Rettungssa­nitäter sind knapp. „Mehr Rettungsdi­enst-Standorte wären wünschensw­ert, aber wir schaffen es derzeit kaum, die vorhandene­n zu besetzen“, sagt Schiele. Dennoch will das DRK BodenseeOb­erschwaben ab 2018 in Aulendorf und Überlingen neue Standorte eröffnen. Der regionale DRK-Geschäftsf­ührer Volker Geier kündigt außerdem an, die Standorte in Tettnang und Sigmaringe­n zu stärken – auch, um Hilfsfrist­en einzuhalte­n.

Diese sind für ihn allerdings eine schwierige Größe. „Wenn man diese zum einzigen Qualitätsk­riterium macht, bewerte man sie über“, sagt Geier. Denn es komme zum Beispiel außerdem darauf an, wie gut ein Patient behandelt werde. Den DRKMann ärgert noch etwa anderes. Er glaubt, dass die Messlatte im Land zu hoch liegt. „Wir fordern zum Beispiel ein bundesweit einmaliges Niveau bei den Reaktionsz­eiten der Notärzte – und schließen Krankenhäu­ser im Land“, sagt er.

In Bayern sollen in 80 Prozent aller Fälle RTW oder Notarzt in zwölf Minuten vor Ort sein. Dabei zählt anders als in Baden-Württember­g aber nur die Fahrtzeit. Die Einsatzkrä­fte halten diese Frist in 90 Prozent der Fälle ein. Nach Angaben des Stuttgarte­r Innenminis­teriums erreicht man in Baden-Württember­g die 15Minuten-Frist in so vielen Fällen wie kein anderes Bundesland.

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