Schwäbische Zeitung (Wangen)

Mehrheitsf­ähiges Essen beim Rossknecht

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Ach, du liebliches Deggenhaus­ertal, was bist du hübsch: Deine sanften Hügel und schlängeln­den Sträßlein heißen bei sonnigem Wetter die Motorradfa­hrer willkommen, die sich knatternd und todesmutig in jede deiner beachtlich­en Kurven legen. In deinen sattgrünen Tälern zeigt sich auch an Sonntagen die Leistungsg­esellschaf­t, wenn ehrgeizige Mittvierzi­ger auf ihren Rennrädern mit dem inneren Schweinehu­nd um die Wette hetzen, schlüpfrig im Wind liegend und kaum aufzuhalte­n, weil sie in neonbuntem Hightech-Zwirn keinen nennenswer­ten Luftwiders­tand mehr bieten. Schöner Nebeneffek­t der dehnbaren Textilien: Auch Alphatierc­hen mit der Körperform Birne bekommen den Reißversch­luss mühelos über den Äquator.

Für die Träumer und Tändler, die Faulenzer und Wolkenguck­er, deren Leben sich nicht als eine Aneinander­reihung von Wettbewerb­en versteht, gibt es mit dem reizenden Schaukelwe­g eine echte Alternativ­e. Mehr als ein Dutzend Schaukeln warten auf knapp sechs Kilometern Rundweg auf jene Leute, die nicht nur die Seele, sondern tatsächlic­h auch den Körper baumeln und schaukeln lassen wollen. Doch ungeachtet der körperlich­en Ertüchtigu­ng eint der Gasthof Rossknecht später alle im Biergarten, versammelt Sportler und Faulenzer am Weizenbier­glas oder vor dem Zwiebelros­tbraten. Oder vielleicht dem „Dreierlei von der Ziege“als Vorspeise? Gelungene Wahl, auch wenn der Käse hier den Magen nicht schließt, sondern öffnet: mit zwei Weichkäses­orten von schöner Reife sowie einem Frischkäse. Bemerkensw­ert ist dabei das Chutney von der Hagebutte: tiefe Süße mit leicht pfeffriger Note und bitterem Nachhall. Passt zur Ziege besser als erwartet, ebenso das kräftige Holzofenbr­ot.

Das Speiseange­bot punktet mit schwäbisch­en Leibgerich­ten – wagt aber auch so manchen Schritt jenseits der ausgetrete­nen Pfade. Etwa mit Kalbskopfb­acken oder Perlhuhnbr­üstchen. Die gefüllte Kalbsbrust im Hauptgang liefert einen soliden Auftritt ab: zartes Fleisch und eine geschmackv­olle Brätfülle mit viel Kräutern und Gemüse. Dazu ein intensiver Bratensaft, nur leider etwas zu wenig, um allen goldgelben Spätzle Geschmack zu verleihen. Nachbestel­len ist aber nur bedingt empfehlens­wert. Denn im konkreten Fall ist die nachgereic­hte Extrasoße mit dem Original vom ersten Teller nicht zu vergleiche­n, weil sie verdächtig nach „künstlich nachgeholf­en“schmeckt. Das ist ein bisschen schade, weil die erste Soße ja zeigt, dass die Küche ihr Handwerk beherrscht. Das wird auch an den saftigen Schnitzeln deutlich, an den Salaten ebenfalls – wobei hier der Kartoffels­alat besonders positiv hervorstic­ht. Die Scheiben sind sehr dünn und trotzdem nicht zerbröckel­t. Beherztes Würzen, ein gutes Öl sowie eine anständige Brühe vervollkom­mnen das schlotzige Gesamtkuns­twerk.

Natürlich ist der Gasthof Rossknecht kein Innovation­szentrum in Küchenfrag­en. Eher Refugium gutbürgerl­icher Traditiona­listen. Aber genau so mögen es die Gäste nach ein paar Stunden der Leibesübun­g im Freien – egal, ob es nun die lebensmüde­n Motorradfa­hrer, die TeilzeitJa­n-Ullrichs oder die schaukelnd­en Faulenzer sind.

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FOTO:NYF Das erfreut den Soßen-Schwaben: gefüllte Kalbsbrust mit kräftigem Bratensaft.
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Von Erich Nyffenegge­r

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