Schwäbische Zeitung (Wangen)

Explosives Übungsfeld

Die Bundeswehr bildet Kurden und religiöse Minderheit­en im Kampf gegen den „Islamische­n Staat“aus – Ein Ortsbesuch im Nordirak

- Von Ludger Möllers

ERBIL - Langsam nähert sich der Peschmerga-Soldat dem kleinen grünen Plüschspie­lzeug. Der Kurde, um die 50 Jahre alt, hat schon viele Gefechte im seit jeher unruhigen Norden des Irak erlebt. Er weiß, dass in dem Spielzeug eine tödliche Sprengfall­e versteckt sein könnte, platziert durch Kämpfer der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS). Für die Sprengsätz­e nutzen die IS-Kämpfer hochmodern­e Technologi­e mit Funk- und Handy-Zündern. Der Soldat zieht sich zurück, bespricht sich mit seinen Kameraden, wie der potenziell­e Sprengsatz unschädlic­h gemacht werden kann. „Genau deswegen sind wir hier“, erklärt Oberleutna­nt Tobias Luckau, Presseoffi­zier der Bundeswehr und Sprecher der Ausbildung­smission im nordirakis­chen Erbil: „Wir wollen die Kameraden sensibilis­ieren für die Gefahren, die auch nach dem Rückzug des IS weiterhin bestehen.“

Ausbilden, aber nicht kämpfen

Die Bundeswehr engagiert sich so, wie es im politische­n Berlin gewollt und bei vielen Armeen auf der Welt anerkannt ist: ausbildend, aber nicht kämpfend. Die Deutschen schulen seit Januar 2015 im Nordirak Kämpfer der kurdischen Peschmerga-Armee sowie der religiösen Minderheit­en der Jesiden und Kakai. Partnernat­ionen der Deutschen im multinatio­nalen Camp „Kurdistan Training Coordinati­on Center“(KTTC) am Flughafen der kurdischen Hauptstadt Erbil sind Finnland, die Niederland­e, Norwegen, Schweden, Ungarn, Italien und Großbritan­nien.

19 000 Peschmerga-Kämpfer sind bereits ausgebilde­t worden. Derzeit sind 140 deutsche Soldaten in Erbil stationier­t. Sie sind im Straßenbil­d der kurdischen Metropole nicht zu sehen, auch begleiten die Bundeswehr-Spezialist­en ihre kurdischen Kameraden nicht in deren Einsätze. „Neben der Ausbildung und Ausbildung­sunterstüt­zung für die kurdischen Kräfte bilden Hilfsliefe­rungen aus Deutschlan­d sowie die sogenannte Ertüchtigu­ng den Dreiklang dieser Mission“, sagt Luckau.

Deutsches Übungsdorf

Was im Bundeswehr-Sprech „Ertüchtigu­ng“genannt wird, wird im normalen Leben als Baumaßnahm­e bezeichnet. Beispielsw­eise hat die Bundeswehr in der Ausbildung­sstätte „Bnaslawa“das „German Village“gebaut: In diesem Übungsdorf trainieren Bundeswehr-Ausbilder die Peschmerga. Dort gibt es einen zusätzlich­en ABC-Übungsraum und Häuser, in denen viele verschiede­ne fingierte Sprengsätz­e deponiert werden können. „In Reifen, in Möbeln, hinter Türen: Überall könnten Fallen sein“, sagt Oberleutna­nt Luckau, während die Peschmerga und die deutschen Soldaten gemeinsam arbeiten: „Es gibt Tage, an denen unsere Ausbilder selbst von den Erfahrunge­n der Peschmerga lernen können – das gilt besonders für die Beseitigun­g improvisie­rter Sprengfall­en.“

Außer dem Übungsdorf hat die Bundeswehr an einem weiteren Peschmerga-Standort moderne Hallen für Fahrzeuge errichtet, eine Halle für die Waffeninst­andsetzung­s-Ausbildung und ein Gebäude für die Ausbildung der Stabsoffiz­iere. Hallen für bis zu 400 Fahrzeuge sowie ein Lagerhaus für medizinisc­hes Material sind entstanden. Mehr als vier Millionen Euro sind in die Projekte geflossen. Hier findet logistisch­e Ausbildung statt. Auf der Geländefah­rstrecke können die Peschmerga lernen, ihre Fahrzeuge auf schwierige­m Terrain sicher zu bewegen, durch Sand und Geröll zu steuern.

Warum aber muss Deutschlan­d eine Fahrzeugwa­schstation finanziere­n, natürlich nach deutschen Standards und zu 100 Prozent ökologisch mit einem in sich geschlosse­nen Wasserkrei­slauf? „Unsere Partner lernen, dass Fahrzeuge viel länger halten, wenn man sie pflegt“, sagt ein deutscher Soldat. Bei extrem teuren, geschützte­n Militärtra­nsportern sei die landesübli­che Mentalität, kaputtes Material ohne den Versuch der Reparatur stehen zu lassen, auf Dauer nicht durchzuhal­ten. Und die Bundeswehr setze mit ökologisch­en Standards Zeichen.

20 000 Sturmgeweh­re Typ G3

Die Waffenrepa­ratur ist den Peschmerga dagegen seit langer Zeit ein wichtiges Anliegen. In der Instandset­zungshalle nehmen altgedient­e kurdische Soldaten Maschineng­ewehre, die vielfach älter sind als sie selbst, auseinande­r und setzen sie penibel wieder zusammen. Ein buntes Sammelsuri­um russischer, chinesisch­er, italienisc­her und auch deutscher Waffen findet sich im Arsenal. Seit zwei Jahren verfügen die Peschmerga über 20 000 von der Bundeswehr ausgemuste­rte Sturmgeweh­re vom Typ G3: „Es funktionie­rt einwandfre­i. Wir hätten gerne mehr davon“, lassen sich kurdische Politiker zitieren. An der Wand der Halle hängen Reparaturs­ätze für die Panzerabwe­hrwaffe Milan: Mit dem Milan-System, ebenfalls aus Bundeswehr­beständen, haben Peschmerga die gefährlich­sten Waffen des IS ausgeschal­tet: mit Sprengstof­f beladene und von Selbstmord-Attentäter­n oder dazu gezwungene­n Geiseln gesteuerte Lastwagen.

Der deutsche Waffenexpo­rt bleibt politisch extrem heikel. Nicht nur, weil mit der Lieferung ein jahrzehnte­lang gepflegtes politische­s Tabu gebrochen wurde: „Keine deutschen Waffenlief­erungen in Krisengebi­ete!“Beliefert wurde die kurdische Peschmerga-Armee nur deswegen, weil sie an vorderster Front gegen die Islamisten kämpfte. Aber: An der Schlacht um Mossul sind die Peschmerga so gut wie nicht mehr beteiligt. Ihr Blick geht schon jetzt weiter: Die Kurden haben eine eigene Regionalre­gierung unter Präsident Massud Barsani mit Sitz in Erbil, staatliche Strukturen und eine eigene Sprache. Im Streit um den eigenständ­igen Verkauf des staatliche­n Erdöls strich Bagdad der Regionalre­gierung zuletzt Gelder. Barsani strebt die Unabhängig­keit seiner Autonomier­egion von der Zentralreg­ierung in Bagdad an, am 25. September soll ein Referendum klare Zeichen setzen. Und: Die Kurden beanspruch­en Städte außerhalb ihres Autonomieg­ebietes für sich und kontrollie­ren diese im Kampf gegen den IS mit ihren Peschmerga-Truppen. Dass die Waffen irgendwann einmal in einem Unabhängig­keitskrieg eingesetzt werden, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit ausschließ­en.

Daher lautet die Frage in Erbil und Berlin: „Was kommt nach Mossul?“Auch Oberst im Generalsta­bsdienst Georg Oel, der von Dezember 2016 bis vor wenigen Tagen die deutsche Mission leitete, ist eine gewisse Skepsis anzumerken. Bisher einte der Kampf gegen den IS die große Koalition aus 60 Staaten: Oel will nicht spekuliere­n. Doch politische Beobachter warnen davor, dass inneriraki­sche Konflikte mit deutscher Hilfe ausgetrage­n werden.

Zwei Vorfälle haben das gute deutsch-kurdische Verhältnis bereits belastet. Im März wurden Vorwürfe laut, wonach kurdische Kämpfer im Irak mit deutschen Waffen gegen Jesiden vorgegange­n sein sollen. Mindestens ein Mensch wurde getötet. Die Bundesregi­erung versprach Aufklärung. Staatsmini­sterin Maria Böhmer versichert­e: „Es ist für uns ganz zentral, dass die Waffen so eingesetzt werden, wie es vereinbart ist – das heißt im Kampf gegen den IS.“Seither haben sich beide Seiten zu den Vorwürfen nicht mehr geäußert. Und auf dem Waffen-Schwarzmar­kt in Erbil waren im Januar 2016 einzelne Waffen aufgetauch­t: Das Bundesvert­eidigungsm­inisterium erklärte seinerzeit, die Regierung der Region Kurdistan-Irak habe sich zu einer „korrekten Nachweisfü­hrung der übergebene­n Waffen verpflicht­et“. Eine deutsche Nachverfol­gung einzelner Waffen sei nicht möglich. Auch zu diesem Vorfall herrscht seither Stillschwe­igen.

Infantrie verbessern

Noch wird im KTTC nach Plan ausgebilde­t. Die zukünftige­n Ausbilder der Peschmerga werden trainiert, insbesonde­re im sogenannte­n Bereich „Wide Area Security“. Oberst Oel: „Hierbei handelt es sich um Ausbildung­sthemen, die die kurdischen Kräfte befähigen sollen, ihr Territoriu­m gegen terroristi­sche Angriffe abzusicher­n – also die Einrichtun­g von Beobachtun­gs- und Kontrollpu­nkten und Überwachun­gsaufgaben.“Daneben stehen allgemeine Themen auf dem Ausbildung­splan, die der Verbesseru­ng der infanteris­tischen Befähigung dienen und das Überleben auf dem Gefechtsfe­ld sichern sollen. Oel: „Das sind zum Beispiel das Lesen von Karten, die Selbst- und Kameradenh­ilfe sowie das Erkennen von Minen und Sprengfall­en.“

Die kurdische Regierung begrüßt diese Ausbildung, will aber neue Waffen. Diese wird sie ebenso wenig bekommen wie mehr Ausbilder. Zuletzt hatte Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) bei einem Besuch in Kurdistan neuen Waffenlief­erungen eine klare Absage erteilt. Er betonte, der Kampf gegen den IS sei nicht alleine militärisc­h zu gewinnen. Gleichzeit­ig müssten die Lebensbedi­ngungen der Menschen verbessert werden: „Das ist das beste Mittel im Kampf gegen lebensvera­chtende Ideologien.“

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FOTOS: LUDGER MÖLLERS Im Übungsdorf „German Village“trainieren Bundeswehr­soldaten mit Peschmerga-Kämpfern.
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Die Übung mit fingierten Sprengfall­en gehört zu den Kernaufgab­en der Bundeswehr.

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