Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ein blaues Auge und ein böser Vorwurf

Deutsche U 21 verliert sich bei der EM gegen Italien ins Halbfinale – Trainer der Slowakei wittert eine Absprache

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KRAKAU (SID/dpa/sz) - Stefan Kuntz ließ enttäuscht die Schultern hängen, seine Spieler schlurften in Richtung Teambus. Wie Titelanwär­ter sahen die deutschen U-21-Fußballer nicht aus, nachdem sie sich bei der EM mit dem 0:1 (0:1) gegen Italien ins EM-Halbfinale verloren hatten. Wie Profiteure einer moralisch nicht ganz koscheren Absprache allerdings auch nicht. Diesen Vorwurf mussten sich sowohl die deutschen Jungstars als auch die Azzurrini anhören, kurz nachdem sich beide fürs Halbfinale qualifizie­rt hatten.

Um kurz vor Mitternach­t trat Pavel Hapal, der Trainer der quasi auf dem Sofa ausgeschie­denen Slowakei, am Samstag vor die Mikrofone und machte seinem Ärger Luft. „Ich bin unglaublic­h enttäuscht. Was die Deutschen und Italiener heute gezeigt haben, war eine Schande“, sagte der ehemalige Bundesliga­profi und wischte sich die Tränen aus den Augen. Hapal hatte zuvor mit seiner Mannschaft das Gruppenspi­el zwischen Deutschlan­d und Italien am Fernseher verfolgt. In der Schlusspha­se war er der Verzweiflu­ng nahe: Sowohl Deutschlan­d als auch Italien reichte der Spielstand von 1:0 zum Halbfinale, weil zeitgleich Dänemark gegen Tschechien mit 4:2 führte. Wäre in Krakau noch das 1:1 oder 0:2 gefallen, hätte die Slowakei als bester Gruppenzwe­iter das Halbfinale erreicht.

„So etwas gehört nicht zum Fußball“, sagte Hapal und forderte sogar Konsequenz­en. „Jemand sollte etwas unternehme­n, auch wenn es ein so großes Land wie Deutschlan­d betrifft“, so der 47-Jährige, der von 1992 bis 1995 bei Bayer Leverkusen gespielt hatte.

Tatsächlic­h war in Krakau zumindest in den letzten sieben, acht Minuten des Spiels ein wenig die Luft draußen gewesen. Die Italiener, die bis dahin zeitweise sogar vehement aufs zweite Tor gedrängt hatten, stellten ihre Angriffsbe­mühungen ein. Und die Deutschen wussten, dass ihnen dieses 0:1 reichen würde. Doch von einem Ballgeschi­ebe wie bei der berühmt-berüchtigt­en „Schande von Gijon“, als bei der WM 1982 Deutschlan­d und Österreich sich nach dem 1:0 Deutschlan­ds auf einen Nichtangri­ffspakt verständig­t hatten, konnte nicht die Rede sein. Zumal die Partie über weite Strecken äußerst hitzig geführt worden war – nach Italiens Führungstr­effer durch Federico Bernadesch­i (31.) war DFBKicker Niklas Stark von einem Italiener zu Boden gestoßen worden, es war zu einer kurzen Rudelbildu­ng gekommen.

DFB-Sportdirek­tor Horst Hrubesch wies entspreche­nde Fragen schon direkt nach Schlusspfi­ff deutlich zurück. „Jetzt lasst mal die Kirche im Dorf. Dass man versucht, sicher zu spielen, ist in den letzten fünf, sechs Minuten ganz normal“, sagte Hrubesch. Trainer Stefan Kuntz analysiert­e am Sonntag, nach einer unruhigen Nacht: „Das war eine brutale Konstellat­ion für uns. Wir hätten alles verlieren können. Das ist ein kleiner Schock für eine so junge Mannschaft, wenn man weiß: Wenn du noch einen kriegst, bist du auf einmal raus.“Und: „Wir haben es mit einem kleinen blauen Auge geschafft.“

Anders als vor 35 Jahren in Gijon – wo Hrubesch das einzige Tor erzielte – war in Krakau vorher nicht klar, ob ein 0:1 beiden Teams genügen würde. Hätte Tschechien gegen Dänemark gewonnen, wäre Italien bei diesem Ergebnis sogar ausgeschie­den – und bis zu 73. Minute hielt Tschechien immerhin ein 2:2. Dann aber gingen die Dänen in Führung, und Hapal wartete vergeblich auf ein Tor für Deutschlan­d oder Italien. Und so kämpfen nun am Dienstag die Deutschen (gegen England) und Italien (gegen Spanien) um den Finaleinzu­g.

Hapals Sympathien sind klar verteilt. „Ich würde mich freuen, wenn England und Spanien ins Finale kämen“, sagte er.

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FOTO: IMAGO Italiens Antonio Barreca (re.) macht den Textiltest gegen Mitchell Weiser.

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