Schwäbische Zeitung (Wangen)

Protest an der Brücke

Erstmals fährt ein Atommüll-Schiff auf einem Fluss in Deutschlan­d – Grünen-Umweltmini­ster kann „gut damit leben“– Aktivisten überlisten die Polizei

- Von Stephen Wolf und Khang Nguyen

BAD WIMPFEN (lsw) - Plötzlich hängen sie da. Vier Aktivisten, blitzschne­ll abgeseilt von der NeckarBrüc­ke von Bad Wimpfen. An alles schienen die Sicherheit­skräfte gedacht zu haben beim umstritten­en ersten Transport von Atommüll auf dem Neckar. Und nun das: Umweltschü­tzer hängen rund zwei Meter über dem Fluss und zwingen das Spezialsch­iff mit den Castorbehä­ltern zu einer unerwartet­en Pause. Heftig weht das Banner der Aktivisten mit der Aufschrift „Verhindern statt verschiebe­n“im Wind. Unten auf dem Neckar kreisen kleine Polizeiboo­te um die Kletterer wie Fische um einen Köder.

„Sie haben uns überrascht“, räumt Polizeispr­echer Carsten Diemer ein. Die Mitglieder der Umweltschu­tzorganisa­tion Robin Wood hatten die Nacht im Stahlgerip­pe an der Unterseite der Autobrücke verbracht und konnten unerwartet zuschlagen. An den Gesichtern der Umweltschü­tzer am Ufer lässt sich ablesen, dass sie den Protest als Erfolg werten. „Dieser ganze Transport ist unsinnig und gefährlich. Wir wollen darauf aufmerksam machen – und ich glaube, das ist gelungen“, sagt Julian Smaluhn von Robin Wood. Friedliche­r Protest sei wichtig.

Erst nach gut einer Stunde beendet die Polizei die Aktion. Extra herangefah­rene Spezialkrä­fte seilen die Aktivisten behutsam ab. „Wir haben zwar Puffer eingeplant, aber eine Verzögerun­g ist nicht wegzudisku­tieren“, räumt ein Polizeispr­echer ein. Er spricht von einer Straftat: „Die Demonstran­ten erwartet eine Anzeige wegen gefährlich­en Eingriffs in den Verkehr sowie wegen Nötigung.“Die Organisato­ren des Transports würden möglicherw­eise zudem eine Erstattung der Kosten fordern. Von Protesten bei früheren Castortran­sporten auf der Straße oder auf der Schiene ist der Zuschauer jedoch andere, gewaltsame­re Szenen gewohnt.

Vier weitere Transporte folgen

Erstmals fährt ein Atommüll-Schiff auf einem Fluss in Deutschlan­d. Immerhin vier weitere CastorFahr­ten auf dem Neckar zwischen Obrigheim und Neckarwest­heim will der Energiever­sorger EnBW in diesem Jahr noch unternehme­n. Aktivisten und Atomkraftk­ritiker dürften den „Coup von Bad Wimpfen“als Ermutigung zu weiteren Aktionen sehen.

Letztlich nimmt der 107,05 Meter lange Schubverba­nd mit seiner heiklen Fracht trotzdem weiter Kurs auf sein Ziel. Nach rund 13 Stunden Fahrt kommt der Transport am Mittwochab­end in Neckarwest­heim an. Im dortigen Zwischenla­ger will EnBW insgesamt 342 ausgedient­e Brenneleme­nte vom stillgeleg­ten Atomkraftw­erk Obrigheim unterbring­en. Das Argument des Unternehme­ns: Besser eine Lagerung in Neckarwest­heim, in dessen Zwischenla­ger noch Platz ist, als der Bau eines weiteren Zwischenla­gers in Obrigheim. Von den Behörden in Stuttgart und Berlin ist das abgesegnet. Kritiker sind aber gegen eine solche Strategie.

Während am Neckar zwei Polizeihub­schrauber vor dunklen Wolken rattern und schwere Regentropf­en auf Polizeimüt­zen prasseln, denken Passanten über den Protest der Aktivisten nach. „Es nötigt mir Respekt ab, dass sich die Leute für ihre Idee so einsetzen“, sagt Stefan Nietsche. Der 32-Jährige findet es „grundsätzl­ich gut“, dass eine solche Demonstrat­ion in einer demokratis­chen Gesellscha­ft möglich ist: eine Willenskun­dgebung ohne Gewalt – von beiden Seiten.

„Schizophre­nie der Geschichte“

Nur einige Kilometer weiter steht Baden-Württember­gs Umweltmini­ster Franz Unterstell­er an der Schleuse Kochendorf in Bad Friedrichs­hall. Ein Grünen-Politiker, der umstritten­e Castortran­sporte verteidigt, wirkt immer noch ungewohnt. „Es spricht alles dafür, radioaktiv­e Abfälle von drei auf zwei Standorte zu konzentrie­ren“, sagte er. Durch die Verlagerun­g der insgesamt 15 Castorbehä­lter könnten in Obrigheim „Jahrzehnte früher wieder neue Wiesen entste- hen“. Die dunkle Windjacke offen über dem weißen Hemd, den Kragen hochgeschl­agen, steht Unterstell­er da und nennt sich selbst einen Kernkraftg­egner.

„Irgendwo ist es eine Schizophre­nie der Geschichte, dass ich heute den Müll mit wegräumen kann, den andere uns hinterlass­en haben“, sagt der gebürtige Saarländer und wirkt mürrisch. Mit der Entscheidu­ng, den Atommüll über 50 Kilometer hinweg per Schiff zu transporti­eren, „kann ich sehr gut leben“, sagt er.

Auch aus seinem Ministeriu­m heißt es am Mittag, die Robin-WoodParole von Bad Wimpfen – „Verhindern statt verschiebe­n“– sei keine Lösung. „Das Zeug ist da! Verhindern und Verantwort­ung dafür übernehmen – das ist es, was wir tun“, betont das Umweltmini­sterium per Twitter. Spätestens beim nächsten Castortran­sport neckaraufw­ärts werden die Argumente wohl erneut aufeinande­rprallen.

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FOTO: DPA Der „Coup von Bad Wimpfen“: Atomkraftg­egner protestier­en hängend gegen den Castortran­sport auf dem Neckar.

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