Die Verwundbarkeit der vernetzten Welt
Neuer Cyber-Angriff hat mehr international agierende Unternehmen in Mitleidenschaft gezogen
BERLIN (dpa/sz) - Nach dem zweiten massiven Angriff mit Erpressungssoftware innerhalb von zwei Monaten kämpfen Firmen und öffentliche Einrichtungen rund um den Globus mit den Folgen der Cyber-Attacke. Zu den betroffenen Unternehmen zählen die dänische Reederei Maersk, der größte russische Ölproduzent Rosneft, der US-Pharmakonzern Merck, die französische Bahn SNCF und der deutsche Konzern Beiersdorf (Nivea, Tesa). Hart traf es Unternehmen und Behörden in der Ukraine, wo die Deutsche Post auch vertreten ist. „Unsere DHL-Systeme sind zum Teil betroffen“, sagte ein Sprecher. An der Ruine des ukrainischen Katastrophen-Atomkraftwerks Tschernobyl musste die Radioaktivität nach dem Ausfall von Windows-Computern manuell gemessen werden.
Die Schadsoftware verbreitete sich am Dienstag nicht nur über die Windows-Sicherheitslücke, die im Mai durch den Trojaner „WannaCry“ entstanden war, sondern fand auch einen weiteren Weg, Computer innerhalb eines Netzwerks anzustecken.
Experten sehen Hinweise darauf, dass die Angreifer auf Chaos und nicht Profit aus waren. Während Erpressungstrojaner, die Computer verschlüsseln und Lösegeld für die Freischaltung verlangen, ein eingespieltes Geschäftsmodell von Online-Kriminellen sind, war die Bezahlfunktion bei der neuen Attacke äußerst krude gestaltet. Die Angreifer verlangten zwar 300 Dollar in der Cyberwährung Bitcoin. Alles Lösegeld sollte auf ein einziges Konto gehen, die zahlenden Opfer sollten sich per E-Mail zu erkennen geben. Nachdem der E-Mail-Anbieter Posteo die genannte Adresse aus dem Verkehr zog, wurde es für die Betroffenen völlig sinnlos, Lösegeld zu zahlen. So gingen auch nur 45 Zahlungen auf dem Bitcoin-Konto ein.
Die russische IT-Sicherheitsfirma Kaspersky verzeichnete am Dienstag rund 2000 erfolgreiche Angriffe, die meisten davon in Russland und der Ukraine, aber auch in Deutschland, Polen, Italien, Großbritannien, Frankreich und den USA. Der neue Angriff breitete sich langsamer aus als der „WannaCry“-Trojaner, der binnen eines Tages Hunderttausende Computer befiel – aber er zog mehr international agierende Unternehmen in Mitleidenschaft.
IT-Sicherheitsexperten waren sich unterdessen uneins, mit welcher Software sie es diesmal überhaupt zu tun haben. Ersten Erkenntnissen zufolge handelte es sich um eine Version der bereits seit vergangenem Jahr bekannten Erpressungssoftware „Petya“. Kaspersky kam hingegen zu dem Schluss, es sei keine „Petya“-Variante, sondern eine neue Software, die sich nur als „Petya“tarne.
Auch aktuelle Systeme befallen
Der Trojaner habe sich zumindest zum Teil über dieselbe Sicherheitslücke in älterer Windows-Software verbreitet wie auch der im Mai für eine globale Attacke genutzte Erpressungstrojaner „WannaCry“, erklärten die IT-Sicherheitsfirma Symantec und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). In internen Netzen nutzte „Petya“aber zusätzlich ein gängiges Administrationswerkzeug zur Weiterverbreitung und könne damit auch Systeme befallen, die auf aktuellem Stand seien, warnte das BSI. Die Windows-Schwachstelle wurde ursprünglich vom US-Abhördienst NSA ausgenutzt. Hacker machten sie im vergangenen Jahr öffentlich. Es gibt zwar schon seit Monaten ein Update, das sie schließt – doch das scheinen viele Firmen noch immer nicht installiert zu haben. Mitte Mai hatte die „WannaCry“-Attacke Hun- derttausende Windows-Computer in mehr als 150 Ländern infiziert. Betroffen waren damals vor allem Privatpersonen – aber auch Unternehmen wie die Deutsche Bahn und Renault.
Falk Garbsch, Sprecher des Chaos Computer Clubs, sagte, der neue Virus setzte nicht nur auf die Sicherheitslücke, die bereits von der NSA ausgenutzt wurde, sondern auch auf andere Lücken. „Das ist der Grund, warum sich dieser Virus auch auf Windows 10 Systemen weiterverbreiten kann, sich durch große Netzwerke fräst und alles mitnimmt, was er irgendwie runterreißen kann.“Es reiche im Zweifelsfall aus, dass ein einzelner Rechner in einem Firmennetzwerk infiziert werde.