Verdächtige Hochhäuser unter der Lupe
Nach einer Räumung in Wuppertal fordert die Feuerwehr besseren Brandschutz
BERLIN/LONDON (dpa) - Damit eine schreckliche Brandkatastrophe wie in London nicht auch in Deutschland passieren kann, sollen örtliche Behörden jetzt bundesweit verdächtige Hochhäuser unter die Lupe nehmen. Die Bauministerkonferenz werde „kurzfristig erheben, wo es solche Bauten geben kann“, sagte Bundesbauministerin Barbara Hendricks (SPD). Der bisherige Takt von sechs Jahren, in dem Dämm- und Brandschutzvorgaben kontrolliert werden müssen, solle kürzer werden, schlug das Bundesbauministerium zugleich den Bundesländern vor. Baurecht fällt in Deutschland in die Zuständigkeit der Länder.
Vor zwei Wochen waren bei der Feuerkatastrophe im Grenfell Tower nach neuesten Behördenangaben mindestens 80 Menschen gestorben. Die Londoner Polizei teilte am Mittwoch mit, die genaue Zahl der Toten stehe nicht vor Ende des Jahres fest. „Was ich bis hierhin sagen kann: Wir glauben, dass 80 Menschen entweder tot sind – oder sie sind vermisst und wir müssen von ihrem Tod ausgehen“, sagte Fiona McCormack von Scotland Yard.
Augenzeugen des Feuers halten diese Zahl für untertrieben. „Wir sind nicht dumm, es sind Hunderte“, sagte Nachbarin Sarah Colbourne. Die Suche nach Verantwortlichen dürfte schwierig werden. McCormack sagte, an der Sanierung des Grenfell Towers seien damals mehr als 60 Firmen und Organisationen beteiligt gewesen. Bei Brandschutztests fielen in Großbritannien nach neuestem Stand vom Mittwoch 120 Hochhäuser durch.
Mieter ausquartiert
Auch in Deutschland wird die Debatte um gefährliche Dämmstoffe schärfer. „Wir können nur hoffen, dass der Warnschuss aus London endlich ernstgenommen wird“, sagte der Leitende Branddirektor der Frankfurter Feuerwehr, Reinhard Ries. Drastische Folgen hat das Unglück von London für 70 Mieter eines Hochhauses in Wuppertal. Weil die Fassadenverkleidung als feuergefährdet gilt, dürfen die Mieter dort bis auf Weiteres nicht mehr nach Hause zurückkehren.
Der Frankfurter Branddirektor Ries forderte einen besseren Brandschutz für Häuser unterhalb der Hochhausgrenze, also zwischen sieben und 22 Metern Höhe. Bis zu dieser Gebäudehöhe reichen die Einsatzgeräte der Feuerwehr. Ab 22 Metern sind nichtbrennbare Fassaden vorgeschrieben. Ries zufolge behauptet ein Großteil der Fachwelt einschließlich Industrie und Politik, die Wärmedämmverbundsysteme seien sicher. Dies sei aber nicht der Fall, sagte er. Die Frankfurter Feuerwehr gilt als Vorreiter für Brandschutz bei höheren Gebäuden – auch, weil in der Main-Metropole bundesweit die meisten Hochhäuser stehen.
Ries zufolge hat eine Fassadenkonstruktion im Jahr 2012 in Frankfurt und 2016 in Duisburg zu ähnlichen Vorfällen wie in London geführt, nur mit deutlich geringerem Schaden. „Unsere konkrete Forderung lautet: Das Erdgeschoss muss so verkleidet sein, dass es nicht brennbar ausgestaltet ist und dass es nach jedem Geschoss einen Brandriegel gibt.“Noch unmittelbar vor dem Unglück in London hätten die Berufsfeuerwehren und der Deutsche Feuerwehrverband ein Papier miterstellt, das vor Polystyrolschaum als Dämmstoff warnt.
Brennbare Fassaden verboten
Die Hamburger Feuerwehr erklärte, bei Hochhäusern seien brennbare Fassadenteile seit Langem verboten. Bei niedrigeren Häusern dürfe Polystyrol verwendet werden. Die Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren habe das schon vor Jahren kritisiert und – bislang vergeblich – ein Verbot gefordert. Wichtig und vorgeschrieben seien zwei baulich getrennte Rettungswege, ein Treppenhaus mit Überdrucklüftung, damit es nicht verrauchen könne und ab 30 Metern Gebäudehöhe ein Feuerwehraufzug, ebenfalls mit Überdrucklüftung.
Ein solcher könne im Brandfall von der Feuerwehr separat mit einem Schlüssel geschaltet werden, damit die Retter schnell zum Brandherd in die oberen Stockwerken kommen. „Das sind alles Errungenschaften, die mit Blut bezahlt wurden“, sagte Hamburgs Feuerwehrsprecher Jan Ole Unger. „Die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas wie in London in Deutschland passiert, tendiert gegen null“, sagte der Sprecher des Landesfeuerwehrverbandes Schleswig-Holstein, Holger Bauer.