Zwangsarbeit rückt ins Bewusstsein
In Weingarten und Ravensburg ersetzten Kriegs-Sklaven viele Industriearbeiter
WEINGARTEN - Der HolzschnitzWorkshop mit dem in England lebenden Bildhauer Robert König auf dem Münsterplatz in Weingarten hat den Anlass geboten, an das Schicksal der vielen jungen Frauen und Männer zu erinnern, die zwischen 1942 und 1945 auch in Weingarten gezwungen wurden, als Kriegssklaven in Fabriken und Bauernhöfen zu schuften. Die aus Polen stammende Mutter des Künstlers ist eine davon gewesen.
Ihrem Schicksal und dem ihrer Leidensgenossinnen und -genossen war am Dienstag ein Vortragsabend auf dem Münsterplatz gewidmet, veranstaltet vom Studentenwerk „Weiße Rose“. Maria König war nach Speyer verschleppt worden, um in der dortigen Flugzeugfabrik zu schuften und hatte am Ende ihres Martyriums gerade noch 25 Kilo gewogen. Uwe Hertrampf vom Studenwenwerk „Weiße Rose“und zwei Geschichts-Studentinnen der PH Weingarten trugen Auszüge aus Königs Lebenserinnerungen vor.
Zuvor hatte Dekan Ekkehard Schmid beim Abendgottesdienst in der Basilika an das Schicksal der Millionen Menschen erinnert, die in unterschiedlicher Form zu Opfern von Kriegen und Gewalt wurden und nach wie vor werden. An den Stopersteinen, die in der Abteistraße zum Gedenken an diese Menschen in den Straßenbelag eingelassen sind, wurden Blumen niedergelegt, ehe die Veranstaltung auf dem Münsterplatz begann, musikalisch umrahmt von einem Solistenensemble aus dem Chor der Landsmannschaft der Russlanddeutschen.
Auf Plakaten konnten die Passanten lesen, welch unmenschlichen
Verordnungen die NS-Machthaber erlassen hatten für den Umgang mit Zwangsarbeiter. Besonders zu leiden hatten die aus Polen und Russland verschleppten Kriegssklaven, weil sie nach der nationalsozialistischen Rassenideologie als Untermenschen galten.
„Diese Ausgrenzung und den Rassismus müssen wir überwinden“, sagte Hertrampf und schlug damit eine Brücke zur Gegenwart, wo sich rechtsradikales Gedankengut nicht nur in Hassreden, sondern auch in körperlicher Gewalt gegen Zuwanderer Bahn bricht. Mindestens zehn Millionen Zwangsarbeiter hätten damals deutschlandweit in rund 30 000 La-
gern mehr vegetiert als gelebt, so Hertrampf. Genaue Zahlen hätten die Historiker aber nicht ermitteln können.
In Ravensburg wurden 2824 Zwangsarbeiter registriert, in Weingarten 1135. Die Quellen sprechen in Ravensburg von 70 Toten, in Weingarten von 234 Menschen, die an den Folgen von Erschöpfung und Unterernährung gestorben sind.
Zwei Zeitzeugen, der bald 92-jährige Werner Albert aus Weingarten und der 90-jährige Alois Thoma aus Baienfurt, schilderten ihre Erinnerungen an diese Menschen – aber auch daran, wie ihnen die heimische Bevölkerung trotz strikter Verbote versucht hat, ihre Not ein wenig zu
lindern, indem sie heimlich Lebensmittel in die Internierungslager schaffte. Ein Mann aus Baienfurt, so erinnerte sich Thoma, sei inhaftiert worden, weil er an seinem Arbeitsplatz einen Zwangsarbeiter zu gut behandelt habe.
Die hohen Todeszahlen in Weingarten erklärte Alois Thoma damit, dass hier ein Lazarett für erkrankte Zwangsarbeiter eingerichtet worden sei, wo viele von ihnen verstarben. Nicht bekannt ist allerdings, wie viele der ehemaligen Zwangsarbeiter nach Kriegsende im Schussental geblieben sind, weil sie nach ihrer Rückkehr in die Sowjetunion neuen Verfolgungen ausgesetzt gewesen wären.