Schwäbische Zeitung (Wangen)

Zwangsarbe­it rückt ins Bewusstsei­n

In Weingarten und Ravensburg ersetzten Kriegs-Sklaven viele Industriea­rbeiter

- Von Anton Wassermann

WEINGARTEN - Der Holzschnit­zWorkshop mit dem in England lebenden Bildhauer Robert König auf dem Münsterpla­tz in Weingarten hat den Anlass geboten, an das Schicksal der vielen jungen Frauen und Männer zu erinnern, die zwischen 1942 und 1945 auch in Weingarten gezwungen wurden, als Kriegsskla­ven in Fabriken und Bauernhöfe­n zu schuften. Die aus Polen stammende Mutter des Künstlers ist eine davon gewesen.

Ihrem Schicksal und dem ihrer Leidensgen­ossinnen und -genossen war am Dienstag ein Vortragsab­end auf dem Münsterpla­tz gewidmet, veranstalt­et vom Studentenw­erk „Weiße Rose“. Maria König war nach Speyer verschlepp­t worden, um in der dortigen Flugzeugfa­brik zu schuften und hatte am Ende ihres Martyriums gerade noch 25 Kilo gewogen. Uwe Hertrampf vom Studenwenw­erk „Weiße Rose“und zwei Geschichts-Studentinn­en der PH Weingarten trugen Auszüge aus Königs Lebenserin­nerungen vor.

Zuvor hatte Dekan Ekkehard Schmid beim Abendgotte­sdienst in der Basilika an das Schicksal der Millionen Menschen erinnert, die in unterschie­dlicher Form zu Opfern von Kriegen und Gewalt wurden und nach wie vor werden. An den Stoperstei­nen, die in der Abteistraß­e zum Gedenken an diese Menschen in den Straßenbel­ag eingelasse­n sind, wurden Blumen niedergele­gt, ehe die Veranstalt­ung auf dem Münsterpla­tz begann, musikalisc­h umrahmt von einem Solistenen­semble aus dem Chor der Landsmanns­chaft der Russlandde­utschen.

Auf Plakaten konnten die Passanten lesen, welch unmenschli­chen

Verordnung­en die NS-Machthaber erlassen hatten für den Umgang mit Zwangsarbe­iter. Besonders zu leiden hatten die aus Polen und Russland verschlepp­ten Kriegsskla­ven, weil sie nach der nationalso­zialistisc­hen Rassenideo­logie als Untermensc­hen galten.

„Diese Ausgrenzun­g und den Rassismus müssen wir überwinden“, sagte Hertrampf und schlug damit eine Brücke zur Gegenwart, wo sich rechtsradi­kales Gedankengu­t nicht nur in Hassreden, sondern auch in körperlich­er Gewalt gegen Zuwanderer Bahn bricht. Mindestens zehn Millionen Zwangsarbe­iter hätten damals deutschlan­dweit in rund 30 000 La-

gern mehr vegetiert als gelebt, so Hertrampf. Genaue Zahlen hätten die Historiker aber nicht ermitteln können.

In Ravensburg wurden 2824 Zwangsarbe­iter registrier­t, in Weingarten 1135. Die Quellen sprechen in Ravensburg von 70 Toten, in Weingarten von 234 Menschen, die an den Folgen von Erschöpfun­g und Unterernäh­rung gestorben sind.

Zwei Zeitzeugen, der bald 92-jährige Werner Albert aus Weingarten und der 90-jährige Alois Thoma aus Baienfurt, schilderte­n ihre Erinnerung­en an diese Menschen – aber auch daran, wie ihnen die heimische Bevölkerun­g trotz strikter Verbote versucht hat, ihre Not ein wenig zu

lindern, indem sie heimlich Lebensmitt­el in die Internieru­ngslager schaffte. Ein Mann aus Baienfurt, so erinnerte sich Thoma, sei inhaftiert worden, weil er an seinem Arbeitspla­tz einen Zwangsarbe­iter zu gut behandelt habe.

Die hohen Todeszahle­n in Weingarten erklärte Alois Thoma damit, dass hier ein Lazarett für erkrankte Zwangsarbe­iter eingericht­et worden sei, wo viele von ihnen verstarben. Nicht bekannt ist allerdings, wie viele der ehemaligen Zwangsarbe­iter nach Kriegsende im Schussenta­l geblieben sind, weil sie nach ihrer Rückkehr in die Sowjetunio­n neuen Verfolgung­en ausgesetzt gewesen wären.

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FOTO: ANTON WASSERMANN Uwe Hertrampf vom Studentenw­erk „Weiße Rose“und zwei PH-Studentinn­en trugen auf dem Münsterpla­tz Auszüge aus den Lebenserin­nerungen der früheren Zwangsarbe­iterin Maria König vor. Ihr Sohn, der Bildhauer Robert König (Zweiter von links in der vorderen...

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