Im Boot mit Kapitänen der Wissenschaft
Bei der Nobel-Abschlussfahrt auf dem See lassen auch Geistesgrößen alle fünfe grade sein
Seien wir ehrlich: Im Prinzip haben wir nicht den Schimmer einer Ahnung, was in diesen wissenschaftlich hochdekorierten Köpfen eigentlich vor sich geht. Nehmen wir zum Beispiel Jean-Pierre Sauvage und Bernard Feringa, die im vergangenen Jahr gemeinsam mit James Fraser Stoddart den Nobelpreis für Chemie bekommen haben. Und zwar für die Entwicklung von Motörchen aus Molekülen, die sie gezielt steuern können – in etwa so groß wie der tausendste Teil einer Haaresbreite. So klein, dass die Unkundigen dafür nicht einmal einen Namen haben, weil das Wort „winzig“in Anbetracht solcher Kleinheit eine kolossale Übertreibung ist. Und doch haben Sauvage und Feringa und auch die 13 Laureaten, die an diesem wetterwechselhaften Freitag auf Einladung von Baden-Württemberg gemütlich mit dem Hochglanz-Dampfer MS Sonnenkönigin von Lindau zur Insel Mainau über den Bodensee schippern, Derartiges und anderes erdacht und entwickelt. Oder auch nur Möglichkeiten und Existenzen von Dingen nachgewiesen, die wir niemals mit bloßem Auge sehen, mit der Haut spüren oder riechen werden. Die im Zweifel aber unser aller Leben auf den Kopf stellen könnten. Ob die Laureaten Normalsterblichen erklären könnten, an was sie gerade arbeiten?
Kein Tag für Tiefgreifendes
Dieser Tag aber ist keiner für tiefgreifende Erläuterungen. Nach einer Woche intensiven Austauschs zwischen Laureaten und Nachwuchswissenschaftlern in Lindau steht den Nobelpreisträgern der Sinn jetzt nach etwas Leichtigkeit. Ohne Schlips und Kragen – Krawatten haben lediglich ein paar Offizielle um den Hals. Eine Moderatorin steigt auf die Bühne und hält ein sympathisches Plädoyer für den Wissenschaftsstandort Baden-Württemberg: „Forschen und leben kann man an vielen Orten der Welt, aber nur an einem, wo das Automobil erfunden wurde oder der Teddybär.” Natürlich lässt die Dame nicht unerwähnt, dass Albert Einstein, der wissenschaftlicher Übervater aller Forscher, in Ulm und damit also in Baden-Württemberg geboren worden ist. Wie stark das Bemühen des Bundeslandes um die klügsten Köpfe aus aller Welt ist, zeigen die vielen Stände auf dem ersten Deck, wo sich 20 Universitäten und Institute aus BadenWürttemberg präsentieren.
Die zumeist älteren Herren Laureaten sind umschwärmt von Nachwuchswissenschaftlern, die noch rasch ein Erinnerungsfoto mit ihren Vorbildern schießen wollen. Nobelpreisträger Rudolph Marcus lässt eine junge Forscherin wissen: „Man braucht einen langen Atem in der Wissenschaft, um ein Ziel zu erreichen – ganz zu schweigen vom Nobelpreis.” Ein Eingeweihter greift nach einer der allgegenwärtigen Butterbrezeln und sagt, völlig unwissenschaftlich lausbubenhaft, in vertraulichem Ton: „Ich habe mir sagen lassen, dass die Mediziner die größten Partylöwen sind.” Danach kämen die Chemiker, denen das Treffen heuer gewidmet ist. Die Reihenfolge gehe mit den Physikern weiter. Schlusslichter, so munkelt man, seien die Wirtschaftswissenschaftler, die auch zu den Unnahbarsten gehörten, um weniger schmeichelhafte Begriffe zu vermeiden.
Von Unnahbarkeit kann bei den Chemikern auf der MS Sonnenkönigin keine Rede sein. Das sagen auch die beiden jungen Forscherinnen aus Schweden, deren Gesichter vor Freude ein wenig glühen: „Diese Tage verändern mein Leben”, sagt Cecilia aus Stockholm, und Emma ergänzt, dass ihre hohen Erwartungen übertroffen worden seien. Jiujkui aus China glaubt: „Die Kontakte, die ich hier geknüpft habe, helfen ein Leben lang.”
Glücklich auf der Insel Mainau angekommen, bewegt sich der Tross der klugen Köpfe durch die Gärten, die einst der Gründer der Tagung, Graf Lennart Bernadotte, hat anlegen lassen. Im Schlossgarten wird die Stimmung noch einmal nachdenklich. Denn bei einer Podiumsdiskussion stellen sich Forscher und Laureaten die Frage, wie sich Ethik und Forschung verbinden lassen. Oft fällt der seit der ersten Tagung vor 67 Jahren benutzte und inzwischen ein wenig abgegriffen wirkende Satz von der gemeinsamen Verpflichtung, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Angesichts der Entwicklungen auf dem Globus, wird der Satz auch in den kommenden Jahren nicht aus der Mode kommen.
Klassische Fragen
Mit auf dem Podium sitzt Ahmet Üzümcü, der als Direktor der Organisation für das Verbot chemischer Waffen 2013 den Friedensnobelpreis gewonnen hat. Die Runde diskutiert geradezu klassische Fragen – etwa ob eine Forschung aufzugeben sei, wenn sich abzeichne, dass diese zum Schaden der Menschheit sein könnte. Darauf gibt der Wissenschaftsethiker Jeffrey Kovac die altbekannte Antwort: „Das ist kompliziert, denn Sprengstoff zum Beispiel kann Menschen töten, aber auch Tunnel graben.”
Ob die 400 jungen Wissenschaftler aus mehr als 70 Ländern die Welt in Zukunft wirklich zu einem besseren Ort machen werden, weiß auf der Rückfahrt dieser illustren Bootsreise keiner sicher zu sagen. Eines aber ist gewiss: Die Nobelpreisgewinner der Chemie auf dem Schiff sind überwiegend entspannte und unkomplizierte Genussmenschen. Ob es aber reicht, die Mediziner vom Thron der Partylöwen unter den Nobelpreisträgern zu verdrängen, wird erst die Nacht zeigen.