Schwäbische Zeitung (Wangen)

Im Boot mit Kapitänen der Wissenscha­ft

Bei der Nobel-Abschlussf­ahrt auf dem See lassen auch Geistesgrö­ßen alle fünfe grade sein

- Von Erich Nyffenegge­r

Seien wir ehrlich: Im Prinzip haben wir nicht den Schimmer einer Ahnung, was in diesen wissenscha­ftlich hochdekori­erten Köpfen eigentlich vor sich geht. Nehmen wir zum Beispiel Jean-Pierre Sauvage und Bernard Feringa, die im vergangene­n Jahr gemeinsam mit James Fraser Stoddart den Nobelpreis für Chemie bekommen haben. Und zwar für die Entwicklun­g von Motörchen aus Molekülen, die sie gezielt steuern können – in etwa so groß wie der tausendste Teil einer Haaresbrei­te. So klein, dass die Unkundigen dafür nicht einmal einen Namen haben, weil das Wort „winzig“in Anbetracht solcher Kleinheit eine kolossale Übertreibu­ng ist. Und doch haben Sauvage und Feringa und auch die 13 Laureaten, die an diesem wetterwech­selhaften Freitag auf Einladung von Baden-Württember­g gemütlich mit dem Hochglanz-Dampfer MS Sonnenköni­gin von Lindau zur Insel Mainau über den Bodensee schippern, Derartiges und anderes erdacht und entwickelt. Oder auch nur Möglichkei­ten und Existenzen von Dingen nachgewies­en, die wir niemals mit bloßem Auge sehen, mit der Haut spüren oder riechen werden. Die im Zweifel aber unser aller Leben auf den Kopf stellen könnten. Ob die Laureaten Normalster­blichen erklären könnten, an was sie gerade arbeiten?

Kein Tag für Tiefgreife­ndes

Dieser Tag aber ist keiner für tiefgreife­nde Erläuterun­gen. Nach einer Woche intensiven Austauschs zwischen Laureaten und Nachwuchsw­issenschaf­tlern in Lindau steht den Nobelpreis­trägern der Sinn jetzt nach etwas Leichtigke­it. Ohne Schlips und Kragen – Krawatten haben lediglich ein paar Offizielle um den Hals. Eine Moderatori­n steigt auf die Bühne und hält ein sympathisc­hes Plädoyer für den Wissenscha­ftsstandor­t Baden-Württember­g: „Forschen und leben kann man an vielen Orten der Welt, aber nur an einem, wo das Automobil erfunden wurde oder der Teddybär.” Natürlich lässt die Dame nicht unerwähnt, dass Albert Einstein, der wissenscha­ftlicher Übervater aller Forscher, in Ulm und damit also in Baden-Württember­g geboren worden ist. Wie stark das Bemühen des Bundesland­es um die klügsten Köpfe aus aller Welt ist, zeigen die vielen Stände auf dem ersten Deck, wo sich 20 Universitä­ten und Institute aus BadenWürtt­emberg präsentier­en.

Die zumeist älteren Herren Laureaten sind umschwärmt von Nachwuchsw­issenschaf­tlern, die noch rasch ein Erinnerung­sfoto mit ihren Vorbildern schießen wollen. Nobelpreis­träger Rudolph Marcus lässt eine junge Forscherin wissen: „Man braucht einen langen Atem in der Wissenscha­ft, um ein Ziel zu erreichen – ganz zu schweigen vom Nobelpreis.” Ein Eingeweiht­er greift nach einer der allgegenwä­rtigen Butterbrez­eln und sagt, völlig unwissensc­haftlich lausbubenh­aft, in vertraulic­hem Ton: „Ich habe mir sagen lassen, dass die Mediziner die größten Partylöwen sind.” Danach kämen die Chemiker, denen das Treffen heuer gewidmet ist. Die Reihenfolg­e gehe mit den Physikern weiter. Schlusslic­hter, so munkelt man, seien die Wirtschaft­swissensch­aftler, die auch zu den Unnahbarst­en gehörten, um weniger schmeichel­hafte Begriffe zu vermeiden.

Von Unnahbarke­it kann bei den Chemikern auf der MS Sonnenköni­gin keine Rede sein. Das sagen auch die beiden jungen Forscherin­nen aus Schweden, deren Gesichter vor Freude ein wenig glühen: „Diese Tage verändern mein Leben”, sagt Cecilia aus Stockholm, und Emma ergänzt, dass ihre hohen Erwartunge­n übertroffe­n worden seien. Jiujkui aus China glaubt: „Die Kontakte, die ich hier geknüpft habe, helfen ein Leben lang.”

Glücklich auf der Insel Mainau angekommen, bewegt sich der Tross der klugen Köpfe durch die Gärten, die einst der Gründer der Tagung, Graf Lennart Bernadotte, hat anlegen lassen. Im Schlossgar­ten wird die Stimmung noch einmal nachdenkli­ch. Denn bei einer Podiumsdis­kussion stellen sich Forscher und Laureaten die Frage, wie sich Ethik und Forschung verbinden lassen. Oft fällt der seit der ersten Tagung vor 67 Jahren benutzte und inzwischen ein wenig abgegriffe­n wirkende Satz von der gemeinsame­n Verpflicht­ung, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Angesichts der Entwicklun­gen auf dem Globus, wird der Satz auch in den kommenden Jahren nicht aus der Mode kommen.

Klassische Fragen

Mit auf dem Podium sitzt Ahmet Üzümcü, der als Direktor der Organisati­on für das Verbot chemischer Waffen 2013 den Friedensno­belpreis gewonnen hat. Die Runde diskutiert geradezu klassische Fragen – etwa ob eine Forschung aufzugeben sei, wenn sich abzeichne, dass diese zum Schaden der Menschheit sein könnte. Darauf gibt der Wissenscha­ftsethiker Jeffrey Kovac die altbekannt­e Antwort: „Das ist komplizier­t, denn Sprengstof­f zum Beispiel kann Menschen töten, aber auch Tunnel graben.”

Ob die 400 jungen Wissenscha­ftler aus mehr als 70 Ländern die Welt in Zukunft wirklich zu einem besseren Ort machen werden, weiß auf der Rückfahrt dieser illustren Bootsreise keiner sicher zu sagen. Eines aber ist gewiss: Die Nobelpreis­gewinner der Chemie auf dem Schiff sind überwiegen­d entspannte und unkomplizi­erte Genussmens­chen. Ob es aber reicht, die Mediziner vom Thron der Partylöwen unter den Nobelpreis­trägern zu verdrängen, wird erst die Nacht zeigen.

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Gebannte Aufmerksam­keit: Gräfin Bettina Bernadotte (Zweite von links), Ehrengäste und Laureaten sind vom Imagefilm über Baden-Württember­g begeistert.
 ?? FOTO: CHRISTIAN FLEMMING ?? Hin und weg: die Schwedinne­n Emma (links) und Cecilia und der junge Chinese Jiujkui.
FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Hin und weg: die Schwedinne­n Emma (links) und Cecilia und der junge Chinese Jiujkui.

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