Schwäbische Zeitung (Wangen)

Unverhofft­es Meisterstü­ck

Ob Titel oder nicht – Joachim Löw überzeugt mit seinem Überraschu­ngsteam

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ST. PETERSBURG (sz/SID/dpa) - Ein Turnier ohne Wert, das niemand will, ein Perspektiv­kader ohne große Stars, insgesamt belanglos und wohl eher die nächste Lachnummer. Die Meinungen vor dem Confed Cup in Russland war einhellig. Doch jetzt steht die zusammenge­würfelte deutsche Nationalel­f mit ihrer Mannschaft der Namenlosen, die nun längst jedem Fußballfan ein Begriff sein dürften, im Finale, ist das reine Perspektiv­turnier viel mehr als das. Jetzt soll der Weg am Sonntag (20 Uhr im ZDF) gegen Chile auch veredelt werden und erstmals der 8,6 kg schwere und 40 cm große Goldpokal her – dem Fluch zum Trotz, dass der Confed-Cup-Sieger noch nie die WM im Folgejahr gewann.

Und die daheimgebl­iebenen RioWeltmei­ster verneigten sich bereits jetzt geschlosse­n vor den jungen Himmelsstü­rmern um Mittelfeld­Turbo Leon Goretza. „Fiiiiiiinn­aaaaalleee­eee! Super gemacht“, schrieb Thomas Müller bei Twitter, Sami Khedira gratuliert­e zu einer „TopLeistun­g“und Jérôme Boateng war einfach nur „stolz“. Doch Joachim Löws Überraschu­ngsmannsch­aft verzichtet­e nach dem furiosen 4:1 (2:0) im Halbfinale gegen Mexiko auf eine ausgelasse­ne Feier.

„Die Spieler freuen sich in der Kabine, aber sie sind nicht überschwän­glich. Sie wissen, es steht ein Finale an“, sagte Bundestrai­ner Löw, und Turnier-Held Goretzka ergänzte vor dem Flug nach St. Petersburg: „Wir hatten eine sehr schöne Zeit hier. Jetzt geht es darum, diese Zeit noch zu vergolden. Die Mini-WM sei „jetzt schon ein Erfolg“, meinte Teammanage­r Oliver Bierhoff. Das Duell gegen Mexiko war ein Abziehbild des bisherigen Turnierver­laufs. Die junge Mannschaft um Doppeltors­chütze Goretzka begeistert­e mit reifem, wunderbar modernem Fußball. Sie hatte zwischendu­rch zwar auch Probleme, meisterte diese aber im Stile eines Champions. „Das ist pure Werbung für den deutschen Fußball“, sagte Goretzka über den bislang sensatione­llen Auftritt in Russland.

Ein kleines deutsches FußballWun­der? Löw wollte diesen Begriff nicht in den Mund nehmen. Aber überrascht sei er schon von seinen jungen Wilden, sagte er. „Dass wir im Finale sind, hat keiner voraussehe­n können, das war auch gar nicht das Thema. Wir wollten uns entwickeln“, sagte Löw. Das gelang bravourös. Um Kapitän Julian Draxler sei eine verschwore­ne Einheit entstanden, „sie kämpfen füreinande­r, sind ehrgeizig und hungrig“. Bierhoff nannte dies „begeistern­d“.

Größter Gewinner des RusslandAb­enteuers ist Löw, der durch clevere Auswahl Stefan Kuntz eine schlagkräf­tige U21-Truppe für die EM überlies und dessen Perspektiv­team-Strategie trotzdem voll aufging. „Diese Erfahrung in einem FIFA-Turnier ist wahnsinnig wertvoll und wird den jungen Spielern helfen, bei ganz großen Turnieren ihren Mann zu stehen“, sagte er. Spieler wie Draxler, Joshua Kimmich, Jonas Hector, Timo Werner, Lars Stindl und der unwiderste­hliche Goretzka haben sich für eine Rückkehr 2018 nachhaltig empfohlen. Auch wenn Sandro Wagner, Shkodran Mustafi oder Bernd Leno etwas hinter den Erwartunge­n blieben, hat Löw jetzt „eine schöne Qual der Wahl“wie Bierhoff es ausdrückt.

Und noch etwas könnte für die Truppe ein kleiner Ansporn sein, immerhin ist den 21 deutschen Nationalsp­ielern bereits jetzt ein schönes Urlaubsgel­d sicher. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) würde den Turniersie­g in Russland sogar mit 50 000 Euro pro Mann belohnen.

Verhindern können das nur noch die Chilenen um Bayern-Star Arturo Vidal, der großspurig ankündigte, Chile werde dieses „tolle Finale gewinnen“. Doch auch auf deutscher Seite sei die Gier nach dem Pokal riesig. „Jetzt“, sagte Kimmich mit leuchtende­n Augen, „wollen wir dem Ganzen noch die Krone aufsetzen.“

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FOTO:AFP Joachim Löw albert mit Emre Can und Benjamin Henrichs (v. re.).

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