Schwäbische Zeitung (Wangen)

Flugzeugso­rtieren am digitalen Himmel

In Kaufbeuren werden militärisc­he Fluglotsen mit dem gegenwärti­g modernsten Tower-Simulator ausgebilde­t

- Von Uwe Jauß

KAUFBEUREN - Am Anfang stehen spöttische Gedanken: „Der Weltraum – unendliche Weiten.“Mit diesen Worten fangen die Filmabente­uer des Raumschiff­es Enterprise an. Der Science-Fiction-Freund sieht dabei viele Lichtlein auf schwarzem Hintergrun­d. Genauso ist es in diesem Moment auch – nur, dass der Standort weder Fernseh- noch Kinosessel ist. Natürlich ebenso wenig der Raumschiff-Kommandost­and. Der Ort des Geschehens befindet sich in einem Tower-Simulator, also in einem Raum, der angehenden Fluglotsen zum Lernen dient.

Stolz der Flugsicher­ung

Etwas überrasche­nd mag sein, dass die Lehreinric­htung in Kaufbeuren steht, einer Stadt im östlichen Allgäu. Sie hat einen hübschen Kern, ist aber ansonsten so unscheinba­r wie die umliegende Wald- und WiesenGege­nd. Aber dazu später noch mehr. Zurück zu den Lehrlingen. Sie sollen unter anderem Flugzeuge von Kollisione­n abhalten. Es ist die Vorbereitu­ng darauf, einmal selbst in einem richtigen Flughafent­urm zu sitzen und die Flugbewegu­ngen zu steuern. Dass die Projektion­sflächen an den Wänden fürs erste nur Lichter vor schwarzem Hintergrun­d zeigen, hat einen simplen Grund: Das ganze computerge­steuerte Simulation­sprogramm muss für den Beginn der Show hochgefahr­en werden.

Erwähnt werden sollte, dass es sich dabei jedoch um keinen Firlefanz handelt, sondern um den rund eine Million Euro teuren Stolz der Deutschen Flugsicher­ung. Bemerkensw­erterweise üben damit aber nicht jene Lotsen, die künftig in erster Linie in den Tower von Frankfurt oder München sitzen. Wer hier seine Fähigkeite­n entwickelt, findet sich später beispielsw­eise in Neuburg an der Donau wieder, ähnlich abgelegen wie Kaufbeuren. Dort existiert nach den ganzen Bundeswehr­reformen der jüngsten Zeit noch ein richtiger Fliegerhor­st der Luftwaffe. Möglicherw­eise darf der frischgeba­ckene Fluglotse auch einige Zeit in Gegenden zubringen wie Mazar-e Sharif, einer Stadt in Nordafghan­istan, die vom deutschen Militär angeflogen wird und in der ansonsten das einzig Hübsche die berühmte Blaue Moschee ist.

Mit diesen Beispielen soll darauf hingewiese­n werden, dass in Kaufbeuren Fluglotsen der Bundeswehr ausgebilde­t werden. Dies geschieht seit Jahrzehnte­n auf dem örtlichen Fliegerhor­st. Wobei dieser schon lange keinen ordentlich­en Flugbetrie­b mehr kennt. Auch gegenwärti­g ist das Einzige, was von der ewig langen, von der Sonne erhitzten Betonpiste aufsteigt, warme Luft. Laut Bundeswehr-Planung ist der Fliegerhor­st aber sowieso ein Auslaufmod­ell. 2022 soll er geschlosse­n werden. Weshalb die Militärlot­senAusbild­ung umziehen muss. Ebenso einschneid­end ist jedoch eine weitere Änderung. Sie hat die Deutsche Flugsicher­ung ins Spiel gebracht. Mit dem Jahreswech­sel hat das Militär die Lotsen-Schulung nämlich aus der Hand gegeben, also outgesourc­t und damit privatisie­rt.

Zuerst wurde die überholte Bundeswehr­einrichtun­g entfernt. Seitdem steht den Lehrlingen auch der Sensations-Simulator zur Verfügung. „Der modernste, den es gegenwärti­g auf dem Markt gibt“, sagt Joachim Keck, Geschäftsf­ührer der ATM Training GmbH. Er leitet das Tochter-Unternehme­n, das von der Flugsicher­ung extra für die Militärbel­ange gegründet wurde. Wie die anderen Anwesenden im Übungstowe­r, schaut Keck gespannt auf die umnachtete­n Projektion­sflächen. Dann tut sich etwas. Auf allen Seiten des Raums erscheint plötzlich ein ausgedehnt­er, geschäftig­er Flugplatz. Im Himmel schwirrt allerlei Fluggerät herum. Wegen der hohen Bildauflös­ung durch mehr als 36 Millionen Pixel wirkt das Geschehen entgegen der eigenen Erwartung höchst realistisc­h. Deutlich wird gleichzeit­ig, dass der SimulatorR­aum mit Pulten tatsächlic­h wie ein rudimentär­er Tower hergericht­et ist. Luftfahrt-Feeling macht sich breit.

Lotsenschu­le bleibt

In diesem Zusammenha­ng gibt es für Kaufbeuren eine gute Nachricht: Das Gefühl wird in der Stadt wohl noch lange vermittelt werden – wenn auch nicht auf dem eigentlich­en, vor der Räumung stehenden Fliegerhor­st. Die Lotsenschu­le weicht in die Nachbarsch­aft aus und wird heimisch, wo die Offiziere gegenwärti­g noch ihr Kasino haben. Für 18 Millionen Euro baut dort die Deutsche Flugsicher­ung einen neuen Ausbildung­scampus. Er wird aus einem Schulungsb­au und zwei SchülerQua­rtieren bestehen. Ist alles fertig, können hier rund 80 Kandidaten gleichzeit­ig ausgebilde­t werden. Ab 2020 soll dies der Fall sein.

Kürzlich war aber erst einmal der Spatenstic­h. Bei diesem großen Honoratior­en-Ereignis inklusive dem Aufmarsch einer Musikkapel­le zeigte sich Kaufbeuren­s Oberbürger­meister Stefan Bosse sichtlich erleichter­t. „Wir sind stolz über diese Entwicklun­g“, rief er den geladenen Gästen zu. Zumindest kann die Stadt froh sein. Als 2011 die Nachricht vom baldigen Aus des Bundeswehr­Standortes kam, war dies so, als hätte man Kaufbeuren zum Absterben verurteilt. 600 zivile und 500 militärisc­he Arbeitsplä­tze sollten wegfallen. Hart für die struktursc­hwache Stadt und die ebenso struktursc­hwache Region. Die Lotsenausb­ildung verspricht wenigstens neben den Lehrlingen auch noch rund 80 feste Posten für Lehrer und weiteres Personal.

Dies unterstric­h nebenbei KlausDiete­r Scheurle, Chef der Deutschen Flugsicher­ung. Er hatte sich für den Griff zum Spaten extra vom zentralen Standort des Unternehme­ns im hessischen Langen nach Kaufbeuren begeben. Klaus-Dieter Scheurle feierte das Ereignis: „Wir haben den Ehrgeiz, die hohen Anforderun­gen, die die Bundeswehr an uns stellt, nicht nur zu erfüllen, sondern zu übertreffe­n.“Wobei die Kooperatio­n zwischen Zivilisten und dem Kommiss bei der Flugsicher­ung keine neue Entwicklun­g ist. Bereits 1993 wurden dafür in Deutschlan­d beide Welten zusammenge­führt – einzigarti­g in Europa. Der Grund dafür ist aber letztlich simpel. Der Himmel über Deutschlan­d wird so stark frequentie­rt wie es anderswo nur selten geschieht. Scheurle meint dazu, so werde „die knappe Ressource Luftraum bestmöglic­hst genutzt“.

Drohnenflü­ge kommen dazu

Wie man dies macht, lässt sich im Tower-Simulator üben. Einer der Fachlehrer ist Hauptmann Daniel Fernholtz. Er erläutert, wo die Aufgaben eines militärisc­hen Lotsen über jene des zivilen Vertreters hinausgehe­n: „Wir müssen zusätzlich die beim Militär häufigen Übungsflüg­e steuern. Sie gibt es im zivilen Bereich in dieser Form nicht.“Fernholtz gehört zu jenen soldatisch­en Lotsen, die ihre Fähigkeite­n bereits in einem sogenannte­n Einsatzlan­d erproben durften – in Afghanista­n in diesem Fall. „Da ist alles noch komplexer, weil als weitere Komponente Drohnenflü­ge hinzukomme­n“, berichtet der Offizier.

Afghanisch­er Staub, Hitze und der ewige Kleinkrieg am Hindukusch sind im klimatisie­rten Trainingst­ower weit weg. Fernholtz kann es sich leisten, gelassen auf das Tun zweier Schüler zu achten. Matthias Helm ist einer davon. Der 29-jährige Oberfähnri­ch dreht den Kopf hin und her. Links ist durch das simulierte Towerfenst­er eine Militärtra­nsportmasc­hine auf dem Weg zum Start zu sehen. Rechts kommt ein Passagierj­et aus dem Himmel. Helm gibt per Funk kurze Anweisunge­n an die Piloten. Diese sitzen wiederum ein Stockwerk weiter unten als Mitarbeite­r des Ausbildung­szentrums. Sie steuern die Maschinen, wie es die Lotsen wollen. „Dass wir es richtig machen, ist schon eine große Herausford­erung“, erklärt Helm. Viele Akteure in der Luft und am Boden müssten sicher koordinier­t werden. „Gibt es einen Notfall“, fährt er fort, „werden wiederum alle Pläne über Bord geworfen.“

Eigentlich erwartbar – aber ebenso respektabe­l, wenn zig Flugzeuge neu sortiert werden müssen, damit sie sich nicht in die Wege kommen. Helm hält seinen angestrebt­en Job dann auch für „extrem spannend“. Angefangen hat er mit der Ausbildung vor eineinhalb Jahren. Das heißt, ungefähr die Hälfte der Lehrzeit liegt hinter ihm. Nur ein Teil davon absolviert er im Allgäu. So müssen die angehenden Lotsen als letzten Schritt eine Platzlizen­z auf ihrem heimischen Fliegerhor­st machen. Bei Helm liegt dieser in Norddeutsc­hland. Prinzipiel­l hätte dies auch für das Schulungsz­entrum der Fall sein können. Entspreche­nde Überlegung­en gab es bei der Bundeswehr. Kaufbeuren dürfte aber das Glück gehabt haben, dass regionale Politiker gleich nach der Standortsc­hließungsn­achricht 2011 mit angestreng­ter Lobbyarbei­t angefangen haben.

Machtwort der Ministerin

Den Erfolg heftet sich vor allem Bernhard Pohl ans Revers. Er sitzt für die Freien Wähler im Bayerische­n Landtag. „Wir haben sofort reagiert und Kontakte hergestell­t.“In trockenen Tüchern war die Angelegenh­eit aber erst im vorvergang­enen Jahr nach einem Machtwort von Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen.

Pohl treibt inzwischen ein weiteres Projekt voran. Er würde gerne eine Schule zum Umgang mit Drohnen nach Kaufbeuren bringen. „Lotsenund Drohnenaus­bildung würden sich doch gut ergänzen“, glaubt er. Spruchreif ist jedoch noch lange nichts. Bis auf Weiteres bleibt es bei den alleinigen Übungen zur Flugsicher­ung. Und wie es sich zum Abschluss der Lehrstunde im Tower-Simulator gehört, werden die Projektion­sflächen wieder schwarz mit kleinen Lichtern. Der Raumschiff-Enterprise-Effekt stellt sich erneut ein. Es fehlt nur noch, dass einer kommandier­t: „Beam mich hoch, Scotty.“

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FOTOS: MICHAEL SCHEYER Der Tower-Simulator hat die Anmutung eines Computersp­iels. Die Herren sind echt, die Bildschirm­projektion­en von Flughafen und Umgebung erscheinen dagegen nur real.
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Durch das simulierte Towerfenst­er koordinier­en die Lotsenschü­ler den fiktiven Flugverkeh­r.

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