Ein neuer Nährboden für Islamismus
ie Terrormiliz „Islamischer Staat“(IS) wird voraussichtlich seine letzten Hochburgen in Syrien und dem Irak verlieren. Doch eine Wiederauferstehung unter neuem Namen ist nur eine Frage der Zeit. Das in Mossul proklamierte „Kalifat“ist am Ende, die halbstaatlichen Strukturen sind weitgehend zerstört worden und ein zusammenhängendes Territorium besteht nicht mehr. Auch der „Kalif“, Abu Bakr alBaghdadi, soll nicht mehr am Leben sein.
Terrorismusexpertin Jenna Jordan befürchtet, dass dies die Terroristen jedoch zusammenschweißen und ein neuer Führer noch brutaler und entschlossener auftreten könnte als al-Baghdadi. Sollte der „Kalif “tatsächlich tot sein, werde der IS versuchen, seinen „Märtyrertod“propagandistisch zu nutzen. Die IS-Ideologie wird für Islamisten im Mittleren Osten und Europa attraktiv bleiben. Schon jetzt werden die zahlreichen Niederlagen als „unvermeidliche Rückschläge“auf dem langen Weg zum „unvermeidlichen Gottesstaat“interpretiert. IS-Aktivisten wurden aufgefordert, ihre Bärte abzurasieren und in der Anonymität großer Städte abzuwarten, bis sich die Lage für sie wieder verbessert hat.
Die meisten Experten halten die Entstehung eines zweiten IS für wahrscheinlich, weil die „Internationale Allianz gegen den „Islamischen Staat“von heute keine tragfähigen Konzepte für die Zukunft entwickelt hat. Die im September 2014 von den USA gebildete Allianz besteht nur noch auf dem Papier.
Für die wichtigsten islamischen Partner des Westens, also die Türkei und Saudi-Arabien, hatte die Zerschlagung des IS niemals die gleiche Bedeutung wie für den Westen. Für Riad steht bis heute die Schwächung des Iran und der Sturz des Assad-Regimes im Vordergrund, für Ankara die Verhinderung von Kurdenstaaten im eigenen Land und in Syrien.
Gefährliche Gemengelage
Obwohl der IS weder in Syrien noch im Irak endgültig geschlagen ist, hat der Kampf um seine territorialen Hinterlassenschaften längst begonnen. Im fruchtbaren, rohstoffreichen Ostsyrien kämpft die von Russland, Iran und diversen Schiitenmilizen unterstützte Assad-Armee gegen pro-amerikanische Milizen, die inzwischen sogar direkte Unterstützung der US-Armee erhalten.
Russen und Iraner haben ihre Ziele in Syrien und dem Irak klar definiert. Der Iran arbeitet an einer stabilen Landbrücke von Teheran über Bagdad, Ost-Syrien und Damaskus bis zum Libanon. Russland mit seinem Stützpunkt an der syrischen Mittelmeerküste stützt das AssadRegime, das zum wirtschaftlichen Überleben das ölreiche Ost-Syrien braucht.
Die USA müssen sich entscheiden, ob sie in Syrien den IS schlagen oder auch Assad stürzen und den Iran in die Schranken weisen wollen – was mit der vorhandenen Militärpräsenz freilich unmöglich ist.
Die islamischen Extremisten werden im Untergrund abwarten, bis der richtige Zeitpunkt zur Wiederauferstehung unter einem neuen Namen gekommen ist. Die entsetzlichen Bilder aus Mossul und anderen zerstörten Städten der Region haben sich in den Köpfen der islamischen Extremisten festgesetzt. Ihr Wunsch nach Rache ist groß – und damit auch die Gefahr neuer Anschläge in Europa.