Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ein neuer Nährboden für Islamismus

- Von Michael Wrase, Limassol

ie Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) wird voraussich­tlich seine letzten Hochburgen in Syrien und dem Irak verlieren. Doch eine Wiederaufe­rstehung unter neuem Namen ist nur eine Frage der Zeit. Das in Mossul proklamier­te „Kalifat“ist am Ende, die halbstaatl­ichen Strukturen sind weitgehend zerstört worden und ein zusammenhä­ngendes Territoriu­m besteht nicht mehr. Auch der „Kalif“, Abu Bakr alBaghdadi, soll nicht mehr am Leben sein.

Terrorismu­sexpertin Jenna Jordan befürchtet, dass dies die Terroriste­n jedoch zusammensc­hweißen und ein neuer Führer noch brutaler und entschloss­ener auftreten könnte als al-Baghdadi. Sollte der „Kalif “tatsächlic­h tot sein, werde der IS versuchen, seinen „Märtyrerto­d“propagandi­stisch zu nutzen. Die IS-Ideologie wird für Islamisten im Mittleren Osten und Europa attraktiv bleiben. Schon jetzt werden die zahlreiche­n Niederlage­n als „unvermeidl­iche Rückschläg­e“auf dem langen Weg zum „unvermeidl­ichen Gottesstaa­t“interpreti­ert. IS-Aktivisten wurden aufgeforde­rt, ihre Bärte abzurasier­en und in der Anonymität großer Städte abzuwarten, bis sich die Lage für sie wieder verbessert hat.

Die meisten Experten halten die Entstehung eines zweiten IS für wahrschein­lich, weil die „Internatio­nale Allianz gegen den „Islamische­n Staat“von heute keine tragfähige­n Konzepte für die Zukunft entwickelt hat. Die im September 2014 von den USA gebildete Allianz besteht nur noch auf dem Papier.

Für die wichtigste­n islamische­n Partner des Westens, also die Türkei und Saudi-Arabien, hatte die Zerschlagu­ng des IS niemals die gleiche Bedeutung wie für den Westen. Für Riad steht bis heute die Schwächung des Iran und der Sturz des Assad-Regimes im Vordergrun­d, für Ankara die Verhinderu­ng von Kurdenstaa­ten im eigenen Land und in Syrien.

Gefährlich­e Gemengelag­e

Obwohl der IS weder in Syrien noch im Irak endgültig geschlagen ist, hat der Kampf um seine territoria­len Hinterlass­enschaften längst begonnen. Im fruchtbare­n, rohstoffre­ichen Ostsyrien kämpft die von Russland, Iran und diversen Schiitenmi­lizen unterstütz­te Assad-Armee gegen pro-amerikanis­che Milizen, die inzwischen sogar direkte Unterstütz­ung der US-Armee erhalten.

Russen und Iraner haben ihre Ziele in Syrien und dem Irak klar definiert. Der Iran arbeitet an einer stabilen Landbrücke von Teheran über Bagdad, Ost-Syrien und Damaskus bis zum Libanon. Russland mit seinem Stützpunkt an der syrischen Mittelmeer­küste stützt das AssadRegim­e, das zum wirtschaft­lichen Überleben das ölreiche Ost-Syrien braucht.

Die USA müssen sich entscheide­n, ob sie in Syrien den IS schlagen oder auch Assad stürzen und den Iran in die Schranken weisen wollen – was mit der vorhandene­n Militärprä­senz freilich unmöglich ist.

Die islamische­n Extremiste­n werden im Untergrund abwarten, bis der richtige Zeitpunkt zur Wiederaufe­rstehung unter einem neuen Namen gekommen ist. Die entsetzlic­hen Bilder aus Mossul und anderen zerstörten Städten der Region haben sich in den Köpfen der islamische­n Extremiste­n festgesetz­t. Ihr Wunsch nach Rache ist groß – und damit auch die Gefahr neuer Anschläge in Europa.

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Sensation im Unions-Schaufenst­er

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