Schwäbische Zeitung (Wangen)

Einschluss für die Ewigkeit

Die Schweiz arbeitet im Vergleich zu Deutschlan­d weit zielstrebi­ger an einem Endlager für Atommüll – Besuch im Testlabor untertage

- Von Uwe Jauß

ST. URSANNE - Etwas unheimlich wirkt die Szenerie schon: ein Stollen tief im Berg – Testgebiet für die Endlagerun­g von atomarem Müll aus Kernkraftw­erken. Darüber steht der Mont Terri, Teil des Jura-Gebirgszug­s in der nordwestli­chen Schweiz. Aber Himmel, Sonne, Wälder und das nahe, pittoreske Städtlein St. Ursanne sind in der Unterwelt vergessen. Funzeliges Licht hält sie düster. Wobei nicht dies für die schummrige Gefühlslag­e sorgt, sondern speziell eine der vielen Versuchsan­ordnungen: Einschluss des strahlende­n Abfalls für die Ewigkeit.

Die Eidgenosse­n treiben ihr Programm zur finalen Entsorgung des Risiko-Materials zielgerich­tet voran – und zwar so konzentrie­rt, dass anderswo fast schon Neid aufkommt. „Die Schweizer sind bei der Lösung des Problems definitiv weiter. In Deutschlan­d hat man noch nicht einmal mit dem Verfahren für eine künftige Endlagerun­g angefangen“, heißt es etwa aus dem grün-geführten Umweltmini­sterium in Stuttgart.

Lagerung bis zu einer Million Jahre

Im Mont Terri wird hingegen bereits seit 1996 geprüft, welche Fallstrick­e unter Tage aufkommen könnten – übrigens mit internatio­naler Beteiligun­g. Auch Deutsche sind dabei. Die Federführu­ng liegt aber bei den eidgenössi­schen Forschern. „Wir versuchen hier zu erforschen, wie sicher radioaktiv­e Abfälle über Zeiträume bis zu einer Million Jahre gelagert werden können“, sagt Markus Fritschi bei einer Führung durch die Unterwelt. Er ist stellvertr­etender Vorsitzend­er der Nagra. Das Kürzel bedeutet Nationale Genossensc­haft für die Lagerung radioaktiv­er Abfälle. Sie soll bei den Eidgenosse­n aufräumen, was so alles an strahlende­n Überresten zusammenge­kommen ist und noch hinzukommt.

Schon 1972 bei der Gründung der Nagra war klar, dass alles in „geologisch­e Tiefenlage­r“zu kommen hat – also möglichst weit unter die Erde. Zum Problem-Müll zählen Hinterlass­enschaften aus Industrie oder Medizin, etwa ausgedient­e Röntgentec­hnik. Dieser Bereich fällt aber eher unter schwach radioaktiv­en Abfall. Das wirkliche Problem liefern Atomreakto­ren. Fünf Stück hat die Schweiz. Für ihre Brennstäbe braucht es besonders sichere Lagerbedin­gungen. So gehört die Einschluss-Simulation im Mont Terri zu den Testserien für die finale Beerdigung des hochradioa­ktiven Mülls.

Wie Atomwärme auf Gestein wirkt

Wo der Einschluss erprobt wird, hat der Hauptstoll­en eine Abzweigung. Im Ernstfall würde wohl kein Mensch mehr hierherkom­men. Für den Test brauchen jedoch Forscher einen Zugang. Kabel für ihre Messinstru­mente ziehen sich einige Meter zu einem Betonpfrop­fen. Er verschließ­t den Nebenstoll­en. Dahinter sind drei Stahlbehäl­ter. Ginge es hier unten bereits um die wirkliche Endlagerun­g, wären darin Brennstäbe. Zum Test beinhalten die Zylinder aber nur Heizgeräte. Sie sollen die Wärmeentwi­cklung des Atommülls simulieren. Die Forscher wollen wissen, wie sie auf das Gestein wirkt.

Dass sie dies ausgerechn­et im Mont Terri tun, könnte rein theoretisc­h einem Zufall geschuldet sein: Durch den Berg führt ein Autobahntu­nnel. Dessen Notstollen nutzen die Forscher als Zugang zu ihrem Felslabor – kostengüns­tig und bequem. In der Praxis hat aber eine gewisse geologisch­e Formation den Ausschlag für die dortigen Forschunge­n gegeben: Opalinusto­n, also eine Tonart.

Süffisant könnte man hierzu erwähnen, dass es auch Möglichkei­ten gibt, daraus Salatschüs­seln zu machen. Aber speziell der Opalinusto­n ist nach dem Stand der Forschung offenbar auch gut als Endlager-Gestein zu gebrauchen. „Geologisch sind diese Schichten stabil. Zudem zeichnet sich der Opalinusto­n durch sein Selbstabdi­chtungsver­mögen aus“, sagt Nagra-Vertreter Fritschi über das Gestein. Die Abdichtung ist besonders wichtig. So würde der eingelager­te Atommüll von Wassereinb­rüchen verschont bleiben.

Es existiert jedoch noch ein weiterer Punkt, der Opalinusto­n so attraktiv für die Eidgenosse­n macht: Sie haben letztlich keine geologisch­e Alternativ­e. Der Granit in den Alpen geht nicht, weil sich dort die afrikanisc­he und eurasische Kontinenta­lplatte reiben. Ein solch unruhiger Untergrund würde bei einem Endlager große Aufregung auslösen. Salzstöcke, wie sie von den Deutschen im berüchtigt­en niedersäch­sischen „Erkundungs­bergwerk“Gorleben untersucht wurden, besitzt die Schweiz nicht. Bleibt der besagte Opalinusto­n. Fritschi unterstrei­cht, dass man bei den Eidgenosse­n keine Alternativ­e sehe. Es sei „nationaler Konsens, den sichersten geologisch­en Standort zu finden“– ohne politische Maßgaben, wie er anfügt. Diese Anmerkung gewinnt bei Gesprächen mit Deutschen eine spezielle Wertigkeit. Sie hat mit der Erdgeschic­hte zu tun. Wie es der Zufall so will, befinden sich die interessan­ten geologisch­en Formatione­n nämlich im grenznahen Hochrhein-Gebiet. Bis BadenWürtt­emberg ist es nicht weit.

Skepsis auf deutscher Seite

In Städten wie Waldshut wird wegen der Endlager-Aussichten seit Jahren gemurrt – zumal die Stadt über dem Rhein das Schweizer Atomkraftw­erk Leibstadt zu ertragen hat. Unangenehm­es würden die Nachbarn gerne von ihren Zürcher Bankpaläst­en oder alpinen Edeldestin­ationen fernhalten und Richtung Grenze verlagern, glaubt mancher deutsche Hochrhein-Anrainer. „Unsinn“, betont wiederum Fritschi.

Im Übrigen macht der Opalinusto­n nicht an der Grenze halt. Seine Schichten setzen sich durchs Hegau fort. Zwischen Sigmaringe­n und Riedlingen im südlichen Bereich der Schwäbisch­en Alb kommt das Gestein ebenso vor. Theoretisc­h wären dies Landstrich­e, die ein deutsches Endlager beherberge­n könnten. Schließlic­h hat Baden-Württember­gs grüner Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n bereits 2011 eine Neuorienti­erung der deutschen Endlagersu­che angestoßen. Hintergrun­d war das Fiasko mit Gorleben. Der Standort wurde 1977 zu Beginn seiner Erforschun­g vor allem wegen zwei, Geologie-fernen, Argumenten als interessan­t betrachtet: dünn besiedelte Gegend, Zonenrandg­ebiet.

Bis heute ist jedoch nicht einmal abschließe­nd geklärt, ob der dortige Salzstock etwas taugt. Ähnlich wie in Mont Terri gab es zwar in dem ebenfalls zum Zonenrandg­ebiet gelegenen ehemaligen Salzbergwe­rk Asse Forschunge­n zur Einlagerun­gstechnik. Dass dort nebenbei noch schwach- bis mittelradi­oaktiver Müll an ungeeignet­en Stellen entsorgt wurde, war jedoch eine weitere einschneid­ende Panne auf deutscher Seite. Konsequent­erweise forderte deshalb Ministerpr­äsident Kretschman­n vor sechs Jahren, dass die Endlagersu­che ergebnisof­fen verlaufen müsse. Der beste geologisch­e Standort solle genommen werden. Es gibt für die Suche sogar einen Zeitplan. Laut Standortau­swahl-Gesetz wollen die Deutschen bis 2031 ein „Tiefenlage­r“gefunden haben.

Vergangene­s Jahr hat die Endlagerko­mmission in ihrem Bericht eine solche Vorstellun­g aber als „unrealisti­sch“bezeichnet. Bei den zeitlichen Vorstellun­gen müssten Sicherheit­saspekte ebenso wie eine größtmögli­che Beteiligun­g der Öffentlich­keit berücksich­tigt werden. Heftige Proteste seien zu erwarten. Die Kommission rechnet deshalb folgenderm­aßen: Bei einem Suchbeginn 2018 sei mit dem Festlegen eines Endlagers frühestens im Jahr 2058 zu rechnen – einem Zeitpunkt, an dem die Schweiz bereits die ersten Müllbehält­er in die Tiefe bringen will. Wohin genau, soll in zwölf Jahren durch eine Volksabsti­mmung abschließe­nd geklärt werden.

Für den Moment kommt der eidgenössi­sche Nuklear-Abfall in ein 2004 fertiggest­elltes zentrales Zwischenla­ger im Aaretal. Es steht neben Würenlinge­n rund zehn Kilometer von der deutschen Grenze bei Waldshut entfernt. Sinnigerwe­ise hat das Zwischenla­ger zwei bemerkensw­erte Nachbarn: das UraltAtomk­raftwerk Beznau sowie das nukleare Forschungs­zentrum PaulScherr­er-Institut. Dessen Vorgängero­rganisatio­n hat einst Überlegung­en zu einer Schweizer Atombombe angestellt. Jedenfalls fügt sich das Zwischenla­ger in eine nukleare Nachbarsch­aft ein.

Freikaufen ausgeschlo­ssen

Betrieben wird es von der Zwilag, einer Aktiengese­llschaft der eidgenössi­schen Kernkraftw­erksbetrei­ber. In der Schweiz gibt es eine feste Regel: Für die Entsorgung zahlt der Verursache­r. Ein Freikaufen aus der Verantwort­ung, wie es deutsche Energiekon­zerne dieser Tage für 24 Milliarden Euro durften, ist in der Schweiz nicht vorgesehen. Schon der Bau des überschaub­aren Würenlinge­r Zwischenla­gers war teuer: umgerechne­t eine halbe Milliarde Euro.

Vom Prinzip her besteht es aus Hallen. Bemerkensw­ert ist eine Plasma-Anlage, laut Zwilag „die weltweit erste Einrichtun­g“dieser Art. In ihr wird schwachrad­ioaktives Material bei einigen Tausend Grad Celsius thermisch zersetzt. Das Abfallvolu­men verkleiner­t sich. Zugleich wird das Material auslaugres­istent. Dies verbessert die Entsorgung. Castoren mit den Brenneleme­nten der Reaktoren werden hingegen einfach in einer speziell vorbereite­ten Halle eingelager­t. 40 Jahre muss die hohe Radioaktiv­ität abklingen. Dann hat sich der Wärmeanfal­l in den Brenneleme­nten soweit verringert, dass der Müll unter Tage gebracht werden kann.

Antworten auf essenziell­e Fragen

In der düsteren Atmosphäre des Felslabors Mont Terri arbeiten indes Forscher fieberhaft an weiteren Details. Andreas Jenni vom Geologisch­en Institut der Uni Bern versucht herauszufi­nden, wie der Opalinusto­n auf verschiede­ne Zementarte­n reagiert. Ohne den Baustoff wird es in der Tiefe nicht gehen. Ein hoher, auf viel Säure hinweisend­er ph-Wert im Zement, beeinträch­tigt womöglich die anvisierte geologisch­e Schicht. Geklärt hat Jenni die Problemste­llung noch nicht vollständi­g.

„Wir wollen aber alle Mechanisme­n bei der Endlagerun­g verstehen“, sagt er im schweren Berner Dialekt. „Es sind essenziell­e Fragen für die Menschheit, mit denen wir uns hier beschäftig­en dürfen.“

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FOTO: COMET PHOTOSHOPP­ING GMBH DIETER ENZ Die Experiment­e im Felslabor Mont Terri dienen dem Nachweis der Machbarkei­t eines geologisch­en Tiefendlag­ers.
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