Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Ich kann die Kritik an den G20-Treffen gut verstehen“

Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel (SPD) sieht viel Veränderun­gsbedarf und verurteilt gewalttäti­ge Demonstran­ten

-

HAMBURG - Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel (SPD) übt Kritik an der Tagesordun­g der G20-Treffen. Es werde zu wenig über die Bekämpfung des Hungers und der Armut gesprochen und zu viel über Aufrüstung, sagt Gabriel im Gespräch mit Andreas Herholz.

Der G20-Gipfel wird von massiver Gewalt überschatt­et. Dichte Rauchschwa­den über Hamburg – sind ein solches Treffen und Format mitten in einer Metropole noch zeitgemäß?

Ehrlich gesagt muss sich doch die erste Kritik nicht an eine solche Veranstalt­ung richten, sondern an die gewalttäti­gen Demonstran­ten. Wie kann man für eine gerechtere und friedliche­re Welt eintreten und dann selbst im eigenen Land mit Gewalt vorgehen? Ich kann die Kritik an den G20-Treffen gut verstehen und teile vieles davon. Aber in demokratis­chen Ländern wie Deutschlan­d muss es möglich sein, dass sich Staats- und Regierungs­chefs aus aller Welt treffen, um miteinande­r zu reden. Man muss wirklich nicht alles richtig finden, was hier passiert. Aber die Welt wird nicht besser, wenn die Regierunge­n nicht mehr miteinande­r reden. Im kommenden Jahr jährt sich zum 100. Mal das Ende des Ersten Weltkriege­s. Damals ist die Welt schlafwand­lerisch in einen mörderisch­en Krieg gegangen, weil es keine Gespräche, keine Verhandlun­gen und keine Diplomatie gab.

Aber gibt es nicht zeitgemäße­re Formen für solche Treffen?

Ja, natürlich. Wir Sozialdemo­kraten haben zum Beispiel vorgeschla­gen, diese Treffen am Sitz der Vereinten Nationen durchzufüh­ren. Das wäre bereits das richtige Symbol, denn die G20 sind keine Weltregier­ung. Die ärmsten Länder sitzen nicht mit am Tisch. Bei der Uno könnte wenigstens der Generalsek­retär der UN der Gastgeber sein und die Interessen derjenigen vertreten, die sonst bei den G20 nie zu Wort kommen. Und auch die Tagesordnu­ng von G20 ist nicht immer angemessen: Es wird zu wenig über die Bekämpfung des Hungers und der Armut gesprochen und zu viel über Aufrüstung. Es gibt also viel Veränderun­gsbedarf. Aber das rechtferti­gt weder die Forderung, man möge sich gar nicht mehr treffen noch gewalttäti­ge Gegendemon­strationen.

Nach dem Gespräch mit US-Präsident Donald Trump – rechnen Sie nur noch mit dem kleinsten gemeinsame­n Nenner beim Klimaschut­z?“

Leider deutet manches darauf hin. Und nicht nur beim Klimaschut­z. Auch beim Welthandel entfernen sich die USA von der internatio­nal für alle verbindlic­hen Ordnung. Wir sagen: Es muss die Stärke des Rechts herrschen und nicht das Recht des Stärkeren. Und auch hier gäbe es dringend Verbesseru­ngsbedarf. Der SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz fordert zu Recht, dass aus freiem endlich fairer Handel werden muss. Die gewaltigen Gewinne von Freihandel­sabkommen müssen zu einem Teil auch denen zugutekomm­en, die aufgrund ihrer Armut an den Vorteilen dieses freien Handels gar nicht teilhaben können.

Der amerikanis­che Präsident setzt weiter auf Protektion­ismus. Droht jetzt ein Handelskri­eg mit den USA?

Ich hoffe das nicht. Aber wenn die USA wirklich den Import von Gütern aus Deutschlan­d und Europa zu einem Risiko für ihre nationale Sicherheit erklären, um damit das internatio­nale Verbot von Strafzölle­n zu umgehen, dann kann Europa das nicht tatenlos hinnehmen. Wir werden uns wehren. Aber klar ist auch: Am Ende verlieren bei solchen Auseinande­rsetzungen alle. Wir hoffen, die USA davon überzeugen zu können.

Der türkische Präsident Erdogan provoziert mit Nazi-Vergleiche­n und Drohungen. Ist er noch ein verlässlic­her Partner? Steht die Tür der EU für Ankara weiter offen?

Mit dieser Art von Parolen und vor allem mit der Abkehr von allen demokratis­chen Freiheitsr­echten in der Türkei lautet die Antwort auf einen EU-Beitritt der Türkei ganz sicher: Nein. Mir tun nur die Menschen in der Türkei leid. Denn sie wollen ein gutes Verhältnis zu Europa und zu Deutschlan­d.

 ?? FOTO: DPA ?? Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel (SPD).
FOTO: DPA Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel (SPD).

Newspapers in German

Newspapers from Germany