Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ruhm und Schmerz

Die Tour de France ist ein Mythos, der auch Künstler und Fotografen in seinen Bann zieht

- Von Dorothea Hülsmeier

DÜSSELDORF (dpa) - Ausgezehrt­e und wettergege­rbte Gesichter, vernarbte Beine, Drängelei der Meute im Hauptfeld, endlose Serpentine­n bergauf, 3500 Kilometer in drei Wochen und Millionen Zuschauer an den Straßen. Das ist die Tour de France. Das berühmtest­e Radrennen der Welt ist – trotz aller Doping-Skandale – Mythos und Leidenscha­ft, nicht nur für die Radrennfah­rer und ihre Fans, sondern auch für Künstler. Robert Capa, Louis Malle, Andreas Gursky, Kraftwerk – die Tour hat seit jeher auch berühmte Fotografen, Filmemache­r und sogar die Elektropop­musik in ihren Bann gezogen.

Die Tour hat viele Kritiker

Passend zum Start der Tour mit dem Grand Départ in Düsseldorf am 1. Juli wurde die Ausstellun­g „Mythos Tour de France“im NRW-Forum eröffnet. Es ist eine hübsche Idee, das Radrennen aus der Perspektiv­e der Kunst zu beleuchten, denn der millionent­eure Tourstart in der NRW-Landeshaup­tstadt hat auch ziemlich viele Kritiker. Wer gar nichts mit Radrennen am Hut hat, dem wird in der Ausstellun­g mit rund 120 Arbeiten von 20 teils weltberühm­ten Fotografen und Künstlern nahegebrac­ht, warum und wie die Tour de France Abertausen­de Menschen in ihren Bann zieht.

An den Fotos aus den 1930er-Jahren bis heute lässt sich aber auch ablesen, wie aus dem unprätenti­ösen Rennen eine hochgezüch­tete Mensch-Rad-Maschineri­e wurde. Noch 1939 fotografie­rte Robert Capa die Radrennfah­rer bei einer Pause vor einer Werkstatt, einfache Wasserkübe­l stehen auf dem Steinboden. Fast 80 Jahre später hängt der 34 Jahre alte Konzeptkün­stler Martin Höfer im NRW-Forum ein rotes Säckchen an seine Fotoinstal­lation: eine Blutkonser­ve mit seinem eigenen Blut als nicht eben dezenten Hinweis auf die Doping-Skandale.

Eine Innenansic­ht aus dem Herzen des Hauptfelds brachte der französisc­he Regisseur Louis Malle. 1962 drehte er seinen 19-minütigen Dokumentar­film „Vive Le Tour“mit den Schattense­iten der Tour: Nahaufnahm­en der erschöpfte­n Gesichter, blutende Sportler, die vom Arzt aus dem fahrenden Auto heraus verbunden werden, Männer, die bis zum Umfallen weiterrade­ln, sterbensdu­rstige Rennfahrer, die Bier, Champagner, Wasser aus den Lokalen am Straßenran­d plündern. Mit den klassische­n Filmbilder­n der Tour spielt auch die experiment­elle Video-Installati­on „Tour de France“der Düsseldorf­er Elektropio­niere Kraftwerk.

Wandfüllen­de Fotos

Der deutsche Fotograf Timm Kölln porträtier­te die Radrennfah­rer direkt im Ziel, wenige Sekunden nach dem Einlauf, wenn „Geist und Physis die Anforderun­gen des Wettkampfs ungefilter­t widerspieg­eln“. Gleich gegenüber, überlebens­groß und wandfüllen­d, wird der Blick auf die Beine der Radrennfah­rer gelenkt: Narben, Wunden, Pflaster, hervortret­ende Adern.

Viele der in der Ausstellun­g vertretene­n Künstler eint die Leidenscha­ft für den Radsport. Der Düsseldorf­er Konzeptkün­stler Reinhard Mucha (67) zum Beispiel schaut sich die Tour de France immer an. Sein zweiter Wohnsitz ist Frankreich. Für seine VitrinenIn­stallation hat der Documentau­nd BiennaleTe­ilnehmer private Fotos und Objekte ausgewählt. Muchas Rennräder sind darauf zu sehen und wie er und sein Sohn pinkfarben­e Rennfahrer-Trikots tragen. Mucha freut sich besonders über den Grand Départ in seiner Heimat Düsseldorf: „Dieses Jahr geht die Tour durch das Kerngebiet meiner Biografie.“

„Geist und Physis spiegeln im Ziel die Anforderun­gen des Wettkampfs ungefilter­t wider.“Fotograf Timm Kölln

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FOTOS: DPA Der Fotograf Timm Kölln präsentier­t in Düsseldorf seine Fotos.
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Es geht auch um Wunden: Dieses großformat­ige Foto heißt „Die Beine von Mauricio Soler“.

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