Selbst die Stars haben Respekt
Marcel Kittel siegt erneut, die deutsche Tour-Hoffnung in den Bergen aber heißt Buchmann
NUITS-SAINT-GEORGES (dpa) - Zwischen den Kraftpaketen Marcel Kittel oder André Greipel wirkt Emanuel Buchmann irgendwie verloren. Nein – die Flachetappen der Tour de France sind nicht wirklich die Welt des schmächtigen Radprofis aus Ravensburg. Wenn die Sprintstars die Ellbogen ausfahren und es mitunter heftig krachen lassen, hält sich Buchmann lieber zurück. Ausrichten könnte er gegen die Wucht eh nichts. 61 Kilo bei einer Größe von 1,81 Metern bringt er gerade einmal auf die Waage, kein Gramm Fett hat er auf den Rippen, seine Oberschenkel könnten bei Sprintern auch als Oberarme durchgehen.
Und so freut sich Buchmann bereits aufs Wochenende, wenn es endlich in die Alpen geht. Erst zur Station des Rousses hinauf, dann die Etappe nach Chambery mit drei Bergen der höchsten Kategorie. Einige der Rampen sind dem 24-Jährigen noch vom Critérium du Dauphiné in Erinnerung. Bei der Tour-Generalprobe im Juni hatte auch Buchmann einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen, als er das Weiße Trikot des besten Jungprofis geholt hatte und auf der Schlussetappe sogar Toursieger Chris Froome und Richie Porte am Berg davongefahren war. Leistungen, die in der Weltspitze längst registriert wurden. „Porte ist vorbeigekommen und hat mich gelobt“, berichtet Buchmann von der gesteigerten Wertschätzung der Tour-Mitfavoriten.
Der Youngster ist längst kein Unbekannter mehr in der Szene. Und bald will sich der beste deutsche Rundfahrer auch mit den ganz Großen bei der Frankreich-Rundfahrt messen. „Mein Ziel ist, mal unter die besten Zehn bei der Tour zu fahren“, sagt der eher zurückhaltende Buchmann. Im Vorjahr belegte er bei seiner zweiten Tour-Teilnahme bereits einen achtbaren 21. Platz, in diesem Jahr ist für das Leichtgewicht des Bora-hansgroheTeams dagegen die Helferrolle für den Polen Rafal Majka vorgesehen. „Er ist nicht degradiert worden. Jan Ullrich ist auch mal für Bjarne Riis gefahren und Zweiter geworden“, sagt Teamchef Ralph Denk. Buchmann betont: „Ich werde Rafa helfen, aber man weiß nie, was im Rennen passiert.“
Buchmann bekommt seine Freiheiten, der Kampf um das Weiße Trikot des besten Nachwuchsfahrers ist ausdrücklich nicht verboten. Aktuell liegt der deutsche Meister von 2015 auf dem 14. Platz, nur 46 Sekunden fehlen ihm zum besten Youngster Simon Yates, in dieser Wertung ist er Vierter. Das Weiße Trikot sei kein unrealistischer Traum, betont Denk.
Der Teamchef hat den Leistungssprung seines Juwels natürlich registriert. „Bei der Dauphiné war das ein starker Auftritt von ihm. Wenn er weiter so gewissenhaft arbeitet, kann da noch einiges kommen“, sagt Denk. Buchmann hat sich nicht nur am Berg gesteigert, sondern auch im Zeitfahren – dank Spezialtraining im Winter. So hat er beim Auftakt in Düsseldorf weitaus weniger Zeit liegen gelassen als manch ein Favorit.
Die ewigen Vergleiche mit Ullrich lehnt das Bora-Team ab. Ullrich sei ein Jahrhundert-Talent gewesen, meint Sportdirektor Enrico Poitschke, wohlwissend, dass die Erwartungen an Buchmann schon stark gestiegen sind. Schließlich sehnt sich RadsportDeutschland nach einem starken Rundfahrer. Im Gegensatz zum großen Reservoir an Topsprintern wie Kittel, Greipel oder John Degenkolb ist seit dem unrühmlichen Abschied von Ullrich und Andreas Klöden kein Mann für das Gesamtklassement mehr nachgekommen.
„Vielleicht hören viele Bergfahrer zu früh auf“, mutmaßt Buchmann. Ihm dürfte es egal sein, für seinen Marktwert ist dies nur von Vorteil.
Kittel siegt und stellt Rekord auf
Am Freitag durfte sich allerdings der Thüringer Marcel Kittel feiern lassen. Nach bangen Minuten und einer Auswertung des Zielfotos hielt er mit strahlendem Lächeln drei Finger in die Kamera. „Schon drei Siege, ich bin so glücklich“, sagte Kittel nach seiner erneuten Sprint-Show. Diesmal brauchte er einen Tigersprung, um in einer Millimeterentscheidung den Norweger Edvald Boasson Hagen auf der Ziellinie noch abzufangen.
„Das war bisher definitiv mein knappster Sieg. Wow, sechs Millimeter machen den Unterschied zwischen großer Freude und enormer Enttäuschung“, sagte Kittel, der deutsche Tour-Geschichte schrieb: Am 47. Geburtstag von Erik Zabel stellte Kittel dessen deutsche Bestmarke mit seinem zwölften Tour-Etappensieg ein. „Ich bin sehr stolz darauf, ich bin einfach in toller Form“, betonte der blonde Hüne.
Kittel, das wurde auf der siebten Etappe nach 213,5 Kilometern in Nuits-Saint-Georges deutlich, sprintet in einer eigenen Liga. Der 29-Jährige schien 100 Meter vor dem Zielstrich chancenlos, beschleunigte aber wieder auf über 70 km/h und schob sich aus dem Windschatten noch vorbei. Mit dem bloßen Auge war der Abstand auf Hagen nicht zu erkennen.
Die ersten ganz schweren Bergprüfungen am Wochenende kann der Quick-Step-Profi nun relativ gelassen angehen. Er ist schon längst über dem Soll und trägt seit Freitag auch das Grüne Trikot, nachdem Konkurrent Arnaud Démare nur Elfter wurde.