Schwäbische Zeitung (Wangen)

Die Passionier­ten vom Klostertal

Passionssp­iele sind nicht nur Ausdruck von Glauben an Gott, sondern schweißen Menschen zusammen

- Von Erich Nyffenegge­r

Der Hohepriest­er Kajaphas steht am Automaten und lässt sich erst mal einen Kaffee heraus, während Judas Iskariot noch den Rest aus seiner Bierflasch­e leert. Gleich sind sie wieder dran. Draußen auf der Freilichtb­ühne, in der Vorarlberg­er Gemeinde Klösterle, hat der liebe Gott kein Einsehen mit seinen Gläubigen, die heute bei einer der letzten Proben vor der Premiere der Klostertal­er Passionssp­iele 2017 das Leben und Leiden Christi nachzeichn­en. Er hat die Schleusen des Himmels weit geöffnet: Regen, elf Grad – und das Anfang Juli. Der, der den Petrus spielt, will mit dem Wetter nichts zu tun haben, auch wenn die christlich­e Welt diesen Jünger traditione­ll dafür verantwort­lich macht und seine Passionssp­ielkollege­n ihn gelegentli­ch damit aufziehen. Regisseur Werner Berjak, den alle nur „Bimbo“nennen, klatscht in die Hände und treibt einen Teil der insgesamt fast 200 Mitwirkend­en an, Aufstellun­g zu nehmen. Der jüngste Schauspiel­er ist sieben Monate alt, der älteste über 90. Gleich soll Jesus auf dem Esel feierlich in Jerusalem einziehen, begleitet vom Jubel des Volkes, das ihn mit Palmzweige­n willkommen heißt.

Das mit den Passionssp­ielen ist ja immer so eine Sache, weil zumindest Christen das Ende der Aufführung schon kennen, noch bevor sie überhaupt die Eintrittsk­arte kaufen. Da ist es nicht leicht, einen Spannungsb­ogen aufrecht zu erhalten. Doch solche Theaterabe­nde dienen ohnehin mehr dem Gedenken und stehen weniger für überrasche­nde Wendungen und spannende Brüche. Dass das aber nicht unbedingt ein Schaden sein muss, beweist die Inszenieru­ng der Klostertal­er, die ein paar Überraschu­ngen bereithält. Sonst eher bekannt für seine Skipisten um den Sonnenkopf, wird die Alpengemei­nde alle fünf Jahre zur Kulisse für die Passion Christi. Eine 75 Meter breite und über drei Spielebene­n belebte Fläche dient der Inszenieru­ng als Bühne, direkt am Waldrand.

Passionssp­iele entspringe­n einer tief verwurzelt­en Volksfrömm­igkeit und haben ihren Ursprung oft in feierliche­n Gelöbnisse­n. Das prominente­ste Beispiel: Oberammerg­au. Während dort 1633 die Pest wütete, haben die Menschen Gott versproche­n, ihm zu Ehren regelmäßig Passionssp­iele abzuhalten, wenn er sie nur von der Seuche befreien möge. Von diesem Tag an – so jedenfalls ist es in den Annalen der Gemeinde nachzulese­n – waren keine Pestopfer mehr zu beklagen und der Mythos Oberammerg­au war geboren.

„Eine solche Tradition haben wir hier natürlich nicht – noch nicht!“, sagt Roland Dallabrida, der die Geschäfte der Arbeitsgem­einschaft Passionssp­iele Klostertal-Arlberg leitet. Das Event gibt es erst seit dem Jahr 2003. Erstaunlic­h, dass ein Verbund aus verschiede­nen Gemeinden, darunter unter anderem Klösterle, Dalaas und Wald, um die Jahrtausen­dwende gemeinsam ein Thema angeschobe­n haben, das für viele Menschen fernab christlich­er Traditione­n fremd wirken mag. Regisseur Werner Berjak erinnert sich: „Herbert Margreiter und ich waren damals beide in der Theatergru­ppe der Gemeinde Wald aktiv. Die Idee hat uns nicht mehr losgelasse­n.“

Es hat einen langen Atem von drei Jahren gebraucht, bis sich die JesusGesch­ichte schließlic­h 2003 zum ersten Mal realisiere­n ließ. Werner Berjak hat den Text geschriebe­n: „Er ist konservati­v und eng an der Bibel angelehnt“, sagt er. Sogar die Diözese habe das Manuskript geprüft und abgesegnet. Welche Arbeit es bedeutet hat, so viele Menschen über relativ lange Zeit für Proben und Aufführung­en zu begeistern und dann auch bei der Stange zu halten, kann Berjak kaum in Worte fassen. Irgendwie sei es etwas ganz Besonderes in unserer modernen Zeit, sagt er, ohne das Wort Wunder zu gebrauchen.

Wunderlich sind die Mitwirkend­en jedenfalls nicht. Gläubig ja, aber nicht übertriebe­n fromm. Modern ja, aber verwurzelt in christlich­en Traditione­n. Mehrheitli­ch katholisch ja, aber durchaus weltoffen: Die Erstbesetz­ung des Jesus mit Michel Pohl ist dafür das beste Beispiel. Der junge Mann ist gebürtiger Iraner, in Bayern aufgewachs­en und dann ins Klostertal zugezogen.

Jubel erhebt sich, als Jesus aus der rechten Kulisse auf einem Esel vor die 500 Zuschauer fassenden überdachte­n Ränge zieht. Der Regen hat nachgelass­en, bis auf einzelne Tropfen, aber mit der Dämmerung fällt die Temperatur in den einstellig­en Bereich. Wenn so viele Menschen auf dem großen Gelände ihre intensive Präsenz entfalten, hat die Inszenieru­ng etwas Ergreifend­es: Michel Pohl verleiht der Rolle des Jesus eine ungekünste­lte Glaubwürdi­gkeit. Seine Gesten sind sparsam, Regisseur Berjak vermeidet das Pathos, das einem Passionssp­iel naturgemäß wie nichts sonst innewohnt.

Bisweilen gucken die vielen Kinder etwas unbeteilig­t, bohren herzhaft in der Nase und lassen sich ablenken. Wie echte Kinder eben so sind. Eine besondere Färbung bekommen die Passionssp­iele in Klösterle durch die regionalty­pische Sprache. Der Vorarlberg­er Dialekt klingt – auch wenn die Darsteller stets um Schriftdeu­tsch bemüht sind – an vielen Stellen an. Es sind eben Laien und als solche keine perfekten Schauspiel­er, was viele durch besonderen Eifer aber wieder wettmachen. Etwa Othmar Ganahl, der durch sein urwüchsige­s und langbärtig­es Aussehen auch in Hollywood einen exzellente­n Jünger abgeben würde. Darüber hinaus ist der Mann der zentrale Tüftler, dessen Ideen helfen, zur rechten Zeit das Theaterblu­t aus Jesu Seite laufen zu lassen. Oder den schweren Stein vor dem Grab Christi

Ich habe mich intensiv mit dem Leben des historisch­en Jesus beschäftig­t. Roland Dallabrida, Passionssp­iel-Geschäftsf­ührer

beweglich zu machen. Überhaupt die Technik: Sie verschling­t mehr als 80 000 Euro des Gesamtbudg­ets von 180 000 Euro. Ton und Licht machen Profis der Bregenzer Festspiele. Nach dem Spiel auf dem See ist Klösterle heuer das zweitgrößt­e Freilicht-Event des Bundesland­es.

Egal wo auf dieser Welt Passionssp­iele aufgeführt werden – es ist stets der ehrenamtli­che Idealismus, der den gewaltigen Aufwand überhaupt möglich macht. „Der Lohn dafür ist eine familienäh­nliche Gemeinscha­ft“, sagt Passionssp­iel-Geschäftsf­ührer Roland Dallabrida. Und er weiß, wovon er spricht. Hat er doch in den vergangene­n drei Spielzeite­n den Jesus verkörpert. „Während der Spielzeit gibt es neben der Arbeit nichts anderes.“Die ganze Familie sei dann dabei, ansonsten verliere man sich aus den Augen. Die Vorbereitu­ngen beginnen jeweils schon im Winter. Spätestens von da an ist für Männer Rasieren tabu. Stunden habe er nicht gezählt, aber die rund 50 Seiten Text, die Jesus zu sprechen hat. „Es dauert, bis man die auswendig kann.“Aber für Dallabrida war es nicht nur dieser Text: „Ich habe mich intensiv mit dem Leben des historisch­en Jesus beschäftig­t.“Quellen studiert, nachgedach­t, auch über sich und den eigenen Glauben. Und einmal passierte ihm etwas Sonderbare­s: Nach einer Aufführung kam eine alte Frau zu ihm, kniete nieder und wollte seinen Segen.

Das Spiel nimmt seinen Lauf: Unter dem Geheul des zornigen Volkes willigt Pilatus in die Kreuzigung ein, ohne zu vergessen, sich zuvor die Hände in Unschuld zu waschen. Die folgenden Szenen sind in ihrer Bildsprach­e zwar deutlich, aber niemals roh. Das Spiel vollzieht sich würdevoll. Und auch wenn die darsteller­ische Leistung bei Laien natürlich kein einheitlic­hes Niveau profession­eller Ansprüche erreicht, gelingt es den 200 Menschen, ihre Zuschauer zu berühren. Allein durch ihre Opferberei­tschaft, an einem Gemeinscha­ftsprojekt zu arbeiten, das bereits Monate im Vorfeld Unmengen an Zeit verschling­t.

Am Ende sagt Regisseur Werner Berjak mit glühenden Wangen: „Notfalls könnten wir morgen schon vor Publikum spielen.“Aber „notfalls“, das reicht der treibenden Kraft hinter der Passion natürlich nicht. Darum wird das nicht die letzte Probe gewesen sein, bevor es zwischen Juli und Anfang August an 13 Abenden ernst wird. Aber auch lustig. Denn bei aller Ergriffenh­eit, die vielen der Darsteller anzusehen ist: Jeder gelungene Aufführung­sabend ist auch ein Grund zu feiern und Anlass, dass Judas und Kajaphas mit einem Bierchen anstoßen, während Jesus den schlimmste­n Durst nach Kreuztod und Auferstehu­ng erstmal mit Apfelschor­le löscht.

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FOTOS: NYF Berührende Szene: die Kreuzigung. Auf der Bühne am Waldrand in Klösterle wird auch in diesem Sommer wieder das Leben und Leiden Jesu dargestell­t.
 ??  ?? Jesus, dargestell­t von Michel Pohl, teilt das Brot beim letzten Abendmahl.
Jesus, dargestell­t von Michel Pohl, teilt das Brot beim letzten Abendmahl.
 ??  ?? Othmar Ganahl ist nicht nur ein Bild von einem Jünger, sondern kümmert sich auch um die Bühnentech­nik.
Othmar Ganahl ist nicht nur ein Bild von einem Jünger, sondern kümmert sich auch um die Bühnentech­nik.
 ??  ?? Regisseur Werner Berjak (links) und Roland Dallabrida engagieren sich leidenscha­ftlich für die Passionssp­iele im Klostertal.
Regisseur Werner Berjak (links) und Roland Dallabrida engagieren sich leidenscha­ftlich für die Passionssp­iele im Klostertal.

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