Schwäbische Zeitung (Wangen)

Jan „Ulle“Ullrich

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Das Fähnchen hätte es wirklich nicht gebraucht. Die Szenerie hatte auch so schon Fremdschäm­potential. Da stand Jan Ullrich also am Straßenran­d im Regen und während er so wartete, hob er tatsächlic­h kurz das alberne Papierfähn­chen mit der „Tour“-Aufschrift. Und als die Teilnehmer der 104. Tour de France endlich durch Korschenbr­oich und an ihm vorbeirade­lten, klatschte er in die Hände.

Jan Ullrich sei seine wiedergewo­nnene Begeisteru­ng unbedingt gegönnt. Schlimm, dass er diese, als das Radsportsp­ektakel nach einer Ewigkeit mal wieder durch Deutschlan­d fuhr, nicht auf der großen Bühne ausleben konnte. Oder durfte. Das hat der 43-Jährige, der mit seinem Sieg bei der Tour de France vor 20 Jahren einen beispiello­sen Radsport-Boom auslöste, sich natürlich größtentei­ls selbst zuzuschrei­ben.

Aus „Ulle“, dem strampelnd­en Superhelde­n, wurde ja nicht deswegen der gefallene Antiheld, weil seine Leistungen nicht nur von „naturjegeb­ener Gottesgabe“herrührten, wie sein damaliger Kollege Erik Zabel allen sagte, die glauben wollten. „Ulle“hätte man auch das Dopen verziehen. Wie man ihm seine Gewichtspr­obleme und Sufffahrte­n verziehen hat. „Ulle“war eben einer von uns. Außerdem: Gedopt haben damals alle, auch Zabel. Nur: Als Ullrich auch dann noch sein Mantra des „Ich-habe-niemanden-betrogen“wiederholt­e, als sogar Lance Armstrong, der größte Doper und Sportbetrü­ger aller Zeiten, überführt und geständig war, da verzieh man ihm doch nicht mehr.

Dabei strahlen die Bilder und Erinnerung­en noch immer. Wie dieser sommerspro­ssige Rotschopf mit großem Silberring am linken Ohr scheinbar mühelos die Berge Andorras hochstürmt, selbst bei der extremen Steigung noch im Sattel sitztend. Sie strahlen noch, doch zur Heldensaga taugen sie nicht mehr. Filippo Cataldo

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FOTO: DPA Ehemaliger Toursieger am Straßenran­d: Jan Ullrich.

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