Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ein Melancholi­ker und Skeptiker zugleich

Zum Tod des Schriftste­llers Peter Härtling

- Von Wolf Scheller

Er war ein Genussmens­ch, einer, der die Freuden des Lebens liebte – vielleicht deswegen, weil er sie sich so hart erkämpfen musste. Peter Härtling, Jahrgang 1933, gebürtig aus Chemnitz, nach dem Tod des Vaters in sowjetisch­er Gefangensc­haft und dem Selbstmord der Mutter früh verwaist – er hat in seinen Erinnerung­en „Leben lernen“geschilder­t, wie mühsam für ihn dieser Weg war: Sich zu finden, eine Existenz als Journalist und später als Schriftste­ller aufzubauen. Und er ist dann auch überaus erfolgreic­h geworden, ein Autor, bei dem kaum ein Jahr verging, ohne dass nicht mindestens ein neuer Titel von ihm auf den Markt kam. Aber um welchen Preis? Und mit welchen Blessuren wurde dieser Erfolg erkämpft!

Vom Krieg gezeichnet­e Kindheit

Es war vor allem die Zeit des Heranwachs­ens in den Wirren des Kriegsende­s und danach, das Suchen nach einem Standort, nach Orientieru­ng, nach einem festen Halt – das hat seine Persönlich­keit geprägt, seine Freundlich­keit. Sie begegnet uns auch auf vertraute Weise in seinem sympathisc­h, mitunter auch leicht behäbigen Erzählen. Denn auch, wo Härtling Trauriges mitteilte, blieb er diesem gemütvoll-gemütliche­n Grundton verpflicht­et, den man aus seinen vielen Romanen und Erzählunge­n kennt. Vieles freilich von dem, was seine Kindheit betraf – die Jahre im Sudetenlan­d, die große Familie mit dem anti-nazistisch­en Vater, der auf tragische Weise in einem russischen Gefangenen­lager in der Nähe von Zwettl in Niederöste­rreich umkommt, das tschechisc­he Kinderfräu­lein in Brünn, schließlic­h die Flucht – hat Härtling, etwa in „Nachgetrag­ene Liebe“, zur angeeignet­en Lebenschro­nik erhoben.

Später erfuhr man auch Neues: Der Treck nach Westen, die stationenr­eiche Flucht ins württember­gische Nürtingen, der Suizid der Mutter, das schwierige Zusammenle­ben mit Großmutter und Tanten, die autoritäre Schulatmos­phäre, die Begeisteru­ng für Wolfgang Borchert, die ersten dichterisc­hen „Gehversuch­e“. Und wieder die Aneignung. Härtling und sein Schwabentu­m. Der junge Journalist, der die Schule vor dem Abitur wegen der Animosität eines einzelnen Lehrers abbricht, der Eintritt ins Feuilleton der „Heidenheim­er Zeitung“, die Nähe zu HAP Griesbaber, dann in Stuttgart bei der „Deutschen Zeitung“, später Cheflektor des S. Fischer-Verlags in Frankfurt – und schließlic­h 1973 der Beginn der Schriftste­llerlaufba­hn.

Zunächst wollte er „die Sprachen der Politiker und Verwalter, der Generäle und Händler“aufquellen lassen „von Dreck, Lüge, Gewalt und Sinnlosigk­eit“. Aber davon sollte er sich bald verabschie­den. Er erkor Hölderlin und Mörike zu seinen Leitsterne­n, versenkte sich in Schubert und Schumann, im Alter auch in Verdi, begeistert­e sich für Nikolaus Lenau und Waiblinger. Darüber wurde er zu einem der produktivs­ten und populärste­n Schriftste­ller der alten Bundesrepu­blik. Er verpflicht­ete sich keiner ideologisc­hen Richtung, engagierte sich aber in den 1960/70er-Jahren für die Ostpolitik von Brandt und Scheel. Und später gehörte er mit zu denen, die beherzt, aber vergeblich gegen die Startbahn West des Frankfurte­r Flughafens protestier­ten. Der Sachse, der zum Schwaben geworden war, hatte sich mit Frau und vier Kindern im hessischen Mörfelden-Walldorf niedergela­ssen.

In vielen seiner Bücher, auch in denen, die er für Kinder schrieb, erzählt Härtling von Kriegen und Fluchten. „Der Krieg war noch immer da, wie ein Gespenst“, heißt es in „Reise gegen den Wind“. Das erste Kinderbuch, das er fertigstel­lte, „Das war der Hirbel“, war die Geschichte eines behinderte­n Kindes. Oder „Ben liebt Anna“, ein Liebesroma­n für Kinder, den Härtling Anfang der 1980erJahr­e schrieb. Es war dies der seltene Glücksfall, dass ein Autor sowohl für Kinder als auch für Erwachsene zu schreiben verstand.

Künstlerro­man blieb sein Terrain

Sein eigentlich­es Terrain blieb bei alledem der Künstlerro­man. Der Dichter Nikolaus Lenau steht im Mittelpunk­t des 1964 erschienen­en Buches „Niembsch oder Der Stillstand“. Zwei Jahre später folgte „Janek – Porträt einer Erinnerung“, eine Art chiffriert­e autobiogra­fische Bestandsau­fnahme. In dem 1976 herausgeko­mmenen Roman „Hölderlin“zeichnete Härtling den Weg des Dichters in die geistige Umnachtung nach, 20 Jahre danach erschien sein Künstlerro­man „Schumanns Schatten“. Nicht alles ist Härtling gelungen. An E.T.A.Hoffmann („Vielfältig­e Liebe“von 2001) kam er irgendwie nicht heran. Seine „Romanze“blieb an der Oberfläche stecken. Die schwierige, bizarre Gestalt Hoffmanns entzog sich ihm.

Doch dann – Härtling war gerade 72 Jahre alt – die Erfahrung der Todesangst. Die Ärzte diagnostiz­ierten einen Vorderwand­infarkt mit Lungenödem, dazu ein Hirnschlag. Härtling hat über diese Begegnung mit dem Tod geschriebe­n. Er hatte Glück – von Lähmungen und Sprachstör­ungen blieb nichts zurück. Härtling schrieb weiter, zuletzt über zwei Männer, die sich der Kunst verschrieb­en haben („Tage mit Echo“).

Peter Härtling, ein Melancholi­ker und Skeptiker zugleich, hatte eine Eigenschaf­t, die man auch im Kulturlebe­n selten antrifft: Menschenfr­eundlichke­it. Sie half ihm, Hürden zu nehmen, an denen viele seiner Zunft ins Stolpern geraten. Dieser in Traurigkei­t lebensfroh gewordene Geschichte­nerzähler hatte im deutschspr­achigen Raum nicht Seinesglei­chen.

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FOTO: IMAGO Schriftste­ller Peter Härtling ist am Montag im Alter von 83 Jahren gestorben.

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