Die wohl älteste Kapelle des Allgäus
Die Wallfahrtskirche in Rötsee hat eine mehr als 1000-jährige spannende Geschichte
KISSLEGG (sz/mek) - Die Wallfahrtskirche Rötsee hat als wohl älteste Kapelle des Allgäus eine „sehr ehrwürdige Geschichte“, wie Dekanatsreferent Stephan Wiltsche betont, der ehrenamtlich auch Ortsheimatpfleger der Stadt Wangen ist. Er beschäftigt sich derzeit mit einer Forschungsarbeit über die Kirche und hat viel Spannendes zu erzählen.
Etwa um das Jahr 980 herum errichtete der Einsiedlermönch Ratperonius auf einer im damaligen Rötsee befindlichen Insel im Nibelgau eine der Muttergottes geweihte Kapelle. Das Stück Land wurde dem Einsiedler vom Edlen Berengar von Arnach zur Verfügung gestellt.
Laut der Legenden wurde der Einsiedlermönch zunächst von den Einwohnern verfolgt, auch von den angrenzenden Klerikern musste er Diffamierungen erleiden, so dass er gezwungen war, den Ort wieder zu verlassen. Später wurde er rehabilitiert, indem Bischof Eberhard I von Konstanz (1034-1046) die inzwischen zur „Basilica Magna“, also einer dreischiffigen Kirche, gewachsene Kapelle in Rötsee weihte. Diese kam in den Besitz des Bistums Konstanz.
Im Jahr 1112 wurde die Kirche an Abt Theoderich vom Kloster Petershausen verkauft. Seitdem versahen laut Wiltsche geistliche Pröbste des am Bodensee gelegene Klosters ihren Seelsorge- und Messdienst in dieser sehr abgelegenen, mitten im Gründlenried liegende Allgäu-Kirche Rötsee. Sie wohnten in dem angrenzenden Probsteigebäude, das seit langem und bis heute als Gasthaus weiter benutzt wird.
Ratperonius als Pilger vererhrt
Wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten des Klosters Petershausen wurde im Jahr 1580 die Propstei Rötsee mit Kirche und Gütern an das Haus Schellenberg verkauft. In die Zeit um 1580 sind grundlegende bauliche Erneuerungen datiert. Laut Wiltsche wurde die Kirche immer wieder verändert und regelmäßig renoviert. Sie birgt bedeutende Kunstschätze und ein beeindruckendes Deckengemälde. Vermutlich im 16. Jahrhundert seien die romanischen Seitenschiffe abgerissen worden. Im Jahr 1708 fiel die Kirche durch Erbschaft an die Linie Waldburg-Wolfegg. Eine spätbarocke Umbauphase folgte 1748. Die Bedeutung als Wallfahrtskirche erfuhr im 18. Jahrhundert ihren Höhepunkt. Heute ist sie im Besitz der Kirchengemeinde Kißlegg.
Bei Grabungen im Jahr 1953 wurden die Gebeine des verehrten Gründers Ratperonius zufällig wiedergefunden. Seine Grabliege stand ursprünglich in einem Hochgrab im Mittelgang der Kirche, umrahmt von vier Säulen. Nicht zuletzt weil Ratperonius auf seinem Grabstein wie ein klassischer Pilger dargestellt wird, kamen laut Wiltsche lange nach seinem Tod noch viele – besonders fußlahme – Pilger in die Kirche. Später wurde diese Grablege unter die Erde versetzt, wobei das Wissen um den genauen Standort verloren ging. Nach der Wiederentdeckung der sterblichen Überreste von Ratperonius wurden diese wissenschaftlich untersucht. Schließlich setzte man die Gebeine wieder in einem erhobenen Steinsarkophag feierlich im hinteren Teil der Kirche bei.
Wiltsche glaubt aufgrund von volkskundlichen und astronomischen Untersuchungen, dass der Mönch Ratperonius absichtlich die damalige Kapelle „als christliches Gegen-Heiligtum“errichtet hat, um einem vorchristlichen Opferkult eine erlösende christliche Deutung zu geben. „Mich wundert es nicht, dass die Rötseekirche dort ist, wo sie ist“, ist sich Wiltsche sicher.
Der letzte Geistliche, der regelmäßig Messen in der Wallfahrtskirche abhielt, war der pensionierte Pfarrer Peter Mitscherlich. „Er ist bis heute im Gedächtnis der Leute eine gewisse Legende“, erzählt Stephan Wiltsche lachend. Er wohnte von 1972 bis 1987 im gegenüberliegenden Pfarrhaus und hielt in der Kirche „deftige Messen“für Motorradfahrer und andere Wallfahrer ab. „Er war ein sehr geselliger und weltoffener Mensch“, erinnert sich auch der Mesmer Herbert Hirscher. Nach seinem Tod wurde Mitscherlich auf dem Friedhof der Rötsee-Kirche begraben. Bis heute gibt es noch Gottesdienste, Wallfahrten und Bittprozessionen der umliegenden Gläubigen und auswärtiger Gruppen nach Rötsee. Ein Pilgerweg verbindet Kißlegg mit dem Wallfahrtsort.