Erdogan provoziert Europa
Türkischer Präsident forciert Einführung der Todesstrafe
ANKARA (dpa) - Ein Jahr nach dem Putschversuch in der Türkei hat Präsident Recep Tayyip Erdogan ein gnadenloses Vorgehen gegen Putschisten angekündigt und für die Wiedereinführung der Todesstrafe plädiert. Der deutsche Außenamtsstaatsminister Michael Roth (SPD) kritisierte, Erdogan treibe die Türkei so immer weiter in die Isolation.
Erdogan betonte, einem Gesetz zur Wiedereinführung der Todesstrafe würde er sofort zustimmen. Ihm sei egal, was „Hans und George“– Staaten wie Deutschland oder Großbritannien also – dazu sagten. Außenamtsstaatsminister Roth sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: „Wenn er die Todesstrafe einführt, dann ist Schluss mit den EU-Beitrittsverhandlungen und der türkischen Mitgliedschaft im Europarat.“
Erdogan übte scharfe Kritk an der EU. Deren Kommissionspräsident Juncker will die Tür für die Türkei dennoch offen halten.
ISTANBUL - Egal, wen man am Samstagabend in der Türkei per Handy anrief – es meldete sich immer Recep Tayyip Erdogan. Alle Mobilfunkbetreiber spielten bei jedem Anruf automatisch eine Botschaft des Präsidenten zum Jahrestag des Putschversuchs ab. Erdogans Allgegenwart war nie so überwältigend wie an diesem Tag. Bei Massenkundgebungen kündigte Erdogan eine unbarmherzige Verfolgung aller Gegner an, bekräftigte seine Unterstützung für die Todesstrafe und beschimpfte die Opposition als Komplizen der Putschisten. Gleichzeitig attackierte er die westlichen Partner der Türkei.
In Istanbul versammelten sich hunderttausende Menschen an jener Bosporusbrücke, die am Abend des 15. Juli 2016 zu einem Brennpunkt der Auseinandersetzungen zwischen den Putschisten und der Bevölkerung geworden war. Erdogan weihte am asiatischen Ufer der Brücke ein Denkmal für die 250 Todesopfer des Aufstandes ein. Noch in der Nacht reiste er nach Ankara weiter, wo er an einer weiteren Gedenkveranstaltung mit vielen Zuschauern teilnahm.
Gesänge aus 90 000 Moscheen
Die Kundgebungen waren mit Lichtern, Fahnen und patriotischen Gesängen so aufwendig inszeniert, dass Kritiker von Veranstaltungen eines totalitären Regimes sprachen. Aus den rund 90 000 Moscheen im ganzen Land erklangen in der Nacht zum Sonntag gleichzeitig Gesänge zum Gedenken an den Putsch.
Obwohl die Regierung ein Jahr nach dem Aufstand die Einheit der Nation beschwor, war von einer Verständigung über die Parteigrenzen hinweg nichts zu sehen. Die größten Oppositionsparteien – die säkularistische CHP und die prokurdische HDP – boykottierten eine Gedenkveranstaltung vor dem Parlamentsgebäude in Ankara. CHP-Chef Kilicdaroglu, dessen Protestmarsch gegen die Regierung kürzlich viel Zulauf erhalten hatte, sprach von einem „kontrollierten Putsch“und warf der Regierung vor, die Gewalt als Vorwand für ein undemokratisches Vorgehen gegen ihre Gegner zu benutzen.
Erdogan wies dies zurück und beschuldigte Kilicdaroglu, sich in der Nacht des Putsches von den Aufrührern beschützen lassen, statt gegen sie zu kämpfen. Der Präsident kündigte die erneute Verlängerung des seit dem vergangenen Jahr geltenden Ausnahmezustandes an. In einer Rede versprach Erdogan, den Anhängern des Predigers Fethullah Gülen, den kurdischen PKK-Extremisten und anderen Staatsfeinden „die Köpfe abzuschlagen“und die Wiedereinführung der Todesstrafe nach einem entsprechenden Parlamentsvotum in Kraft zu setzen. Mutmaßliche Anhänger der Putschisten sollen künftig vor Gericht in orangefarbenen Häftlingsanzügen erscheinen – „wie in Guantanamo“.
Zu den angeblichen Feinden der Türkei zählt die Regierung offenbar auch westliche Staaten. Ministerpräsident Binali Yildirim deutete an, die USA seien möglicherweise am Putschversuch beteiligt gewesen. Washington werde dies aber nie zugeben. Erdogan betonte, im Ausland lägen „so viele Feinde im Hinterhalt“gegen sein Land, dass er eine internationale Krise auslösen würde, wenn er jeden Akteur nennen würde. Die Türkei warte seit mehr als 50 Jahren auf die EU-Mitgliedschaft: „Aber sie halten uns immer noch zum Narren.“
Kurz vor dem Jahrestag hatte die Regierung mit der Entlassung von mehr als 7000 weiteren Menschen aus dem Staatsdienst signalisiert, dass die Säuberungen in der Bürokratie weitergehen werden. Insgesamt sind seit dem Putschversuch nun fast 160 000 Menschen entlassen und rund 50 000 inhaftiert worden.
Schon kleine Abweichungen von der offiziellen Linie können in der Polizeihaft enden. So wurde Yeliz Koray, Kolumnistin einer Provinzzeitung, festgenommen, weil sie die bombastischen Feiern zum PutschJahrestag hinterfragt hatte: Ihr Beitrag war nach Angaben ihrer Zeitung von rund einer Million Menschen gelesen worden. Noch am Tag der Veröffentlichung des Beitrags wurde Koray von der Polizei abgeholt.