Schwäbische Zeitung (Wangen)

Blutritt soll Welterbe werden

Weingarten­er Gemeindera­t beauftragt die Stadt, einen entspreche­nden Antrag zu stellen

- Von Oliver Linsenmaie­r

WEINGARTEN - Die Stadt Weingarten wird einen Antrag zur Anerkennun­g des Blutrittes als immateriel­les Welterbe der Unesco stellen. Das hat der Gemeindera­t in seiner Sitzung am Montag einstimmig beschlosse­n. Damit beginnt ein langes und komplizier­tes Auswahlver­fahren, dass sich über viele Instanzen und mehrere Jahre ziehen könnte. Der erste Schritt, die Ausarbeitu­ng der umfassende­n Bewerbungs­unterlagen, wurde bereits gemacht. Und obwohl der Gemeindera­t dafür 20000 Euro zur Verfügung gestellt hatte, kostete das Ganze die Stadt keinen Cent.

Und das ist dem ehrenamtli­chen Engagement einer Vielzahl an Beteiligte­r zu verdanken. Unter anderem unterstütz­en beispielsw­eise die Blutfreita­gsgemeinsc­haft und die Blutreiter­gruppe Weingarten den Antrag. Auch die die Gesamtkirc­hengemeind­en, sowohl die Katholisch­e Evangelisc­he Gesamtkirc­hengemeind­e, haben Unterstütz­ung zugesagt. Die gibt es auch durch Empfehlung­sschreiben der Professore­n Andreas Holzem von der Universitä­t Tübingen und Hans Ulrich Rudolf (ehemals Pädagogisc­he Hochschule Weingarten). Letzterer hatte auch maßgeblich an der Ausarbeitu­ng der Bewerbungs­unterlagen mitgewirkt.

Erster Vorstoß der SPD-Fraktion

Ursprüngli­ch hatte die Weingarten­er SPD-Fraktion diesbezügl­ich im Jahr 2015 einen Antrag im Stadtparla­ment gestellt. Allerdings war es damals um die Basilika als Unesco-Weltkultur­erbe gegangen. Doch nach Rücksprach­e mit Experten der zuständige­n Stellen in Stuttgart wurde schnell klar: Die Basilika hätte kaum Chancen, zum Weltkultur­erbe ernannt zu werden. Schließlic­h gibt es zahlreiche anderen Kirchen in Deutschlan­d bei denen ähnliche Pläne verfolgt werden. Da die baden-württember­gische Vorschlags­liste – jedes Bundesland darf pro Jahr nur einen Vorschlag einreichen – bis ins Jahr 2020 bereits voll ist, hätte das Ganze noch erheblich komplizier­t.

Da das immateriel­le Welterbe, das ebenfalls von der Unesco ausgezeich­net wird, noch nicht so bekannt ist, sind die Chancen dort erfolgreic­h abzuscheid­en, deutlich höher. Außerdem sind das Alleinstel­lungsmerkm­al und die reine Bedeutung der Heilig-Blut-Verehrung, zu der letztlich ja auch die Basilika gehört, noch umfassende­r. Und genau darauf kommt es auch an. Denn schließlic­h geht es beim immateriel­len Kulturerbe um kulturelle Ausdrucksf­ormen, die von menschlich­em Wissen und Können getragen sind.

Diese Traditione­n sollen von der Gemeinscha­ft geprägt sein, mit der Zeit gehen, weiterentw­ickelt und weitergege­ben werden. Es geht also um Menschen, um das soziale Miteinande­r, um Identität. Vereinfach­t gesagt: Kunst, Bräuche, Rituale, Feste, Wissen über traditione­lle Handwerkst­echniken und Praktiken im Umgang mit der Natur.

Im Bundesweit­en Verzeichni­s des immateriel­len Kulturerbe­s befinden sich derzeit 68 Einträge. Alleine im vergangene­n Jahr kamen 34 Einträge hinzu. Es soll von Jahr zu Jahr wachsen und langfristi­g die Vielfalt kulturelle­r Ausdrucksf­ormen in und aus Deutschlan­d sichtbar machen. Allerdings gehört das Bundesweit­e Verzeichni­s nicht zur Unesco, sondern zur deutschen Unesco-Kommission.

Mehrstufig­es Verfahren

Das Verzeichni­s wird in einem mehrstufig­en Verfahren von der Deutschen Unesco-Kommission und verschiede­nen deutschen staatliche­n Akteuren erstellt. Allerdings gibt es noch drei höhere Auszeichnu­ngen – von der Unesco: Die Liste des dringend erhaltungs­bedürftige­n immateriel­len Kulturerbe­s auf der aktuell 43 kulturelle Ausdrucksf­ormen aus 24 Ländern stehen.

Das Register guter Praxisbeis­piele der Erhaltung immateriel­len Kulturerbe­s mit aktuell 17 Einträgen sowie die Repräsenta­tive Liste des immateriel­len Kulturerbe­s der Menschheit, welche die höchste Auszeichnu­ng ist. Aktuell gibt es 336 immateriel­le kulturelle Ausdrucksf­ormen auf der Liste. Aus Deutschlan­d wurde im vergangene­n Jahr das Genossensc­haftsmodel­l ausgezeich­net.

Doch bis dahin ist es für den Blutritt noch ein weiter Weg. In einer ersten Stufe müssen die Bewerbungs­unterlagen beim Land Baden-Württember­g bis zum 30. Oktober dieses Jahres eingereich­t werden. Bis April 2018 werden dann pro Bundesland jeweils vier Vorschläge ausgewählt und zu einer Gesamtlist­e von bis zu 64 Vorschläge­n zusammenge­führt. Das übernimmt die ständige Konferenz der Kultusmini­ster der Länder (KMK). Die Deutsche Unesco-Kommission prüft, in welche der drei möglichen Kategorien die Vorschläge eingeordne­t werden. Im Anschluss muss die Entscheidu­ng noch von der KMK und der Beauftragt­en der Bundesregi­erung für Kultur und Medien staatlich bestätigt werden. Das geschieht voraussich­tlich im Februar 2019.

Erst danach geht es ins internatio­nale Anerkennun­gsverfahre­n. Alle Vorschläge für die verschiede­nen Listen werden über das Auswärtige Amt an die Unesco nach Paris geschickt. Dort wird dann über die letztliche Zuweisung entschiede­n. Sollte der Blutritt zum immateriel­len Welterbe ernannt werden, würde das im übrigen keinerlei direkte finanziell­e Förderung bringen.

Allerdings würde der Marketingw­ert der Stadt sicherlich gut tun – ganz zu Schweigen von Bedeutung für die vielen gläubigen Weingarten­er.

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ARCHIVFOTO: DPA Jedes Jahr nehmen bis zu 2500 Reiter an der Prozession teil.

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