Die Eiszeit bricht an
Deutsch-türkische Beziehungen sind nach der Inhaftierung von Aktivisten auf dem Tiefpunkt
BERLIN/ISTANBUL - Allein die Gesichtszüge von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) sprechen am Donnerstag Bände. Gabriel verdeutlicht, dass die Geduld der Bundesregierung am Ende sei und es Zeit für ein klares Zeichen ist. Er wechselt plötzlich vom üblichen moderaten Diplomatenton zur knallharten Ansage: Schluss mit Provokationen, Drohungen und Erpressungsversuchen. Der Vizekanzler zieht die Reißleine und stellt die Neuausrichtung der Berliner Türkeipolitik vor. Ende der Zurückhaltung und Schluss mit diplomatischen Verklausulierungen.
„Wieder und wieder haben wir Geduld geübt, uns zurückgenommen und nicht mit gleicher Münze heimgezahlt“, erinnert Gabriel. Damit sei es jetzt vorbei. Die Hoffnungen, dass schon wieder Vernunft in Ankara einkehren und man zu gedeihlichen Beziehungen zurückfinden werde, seien enttäuscht worden. Stattdessen seien immer neue Stufen der Eskalation eingetreten. Jetzt kommt es zum offenen Bruch. Eiszeit zwischen Berlin und Ankara.
Furcht vor Haft für Urlauber
Rechtsstaat und Demokratie abbauen, so der Außenminister. Natürlich sei man auch weiterhin an guten Beziehungen zur Türkei interessiert, versichert er. In der Türkei wirft Präsidentensprecher Ibrahim Kalin der Bundesregierung vor, die Beziehungen im Wahlkampf dem Populismus zu opfern. Es sei respektlos, die türkische Justiz als Befehlsempfängerin der Regierung hinzustellen, kritisierte Kalin. Allerdings hatte Erdogan selbst Steudtner und die anderen Anfang Juli bei einem Seminar in der Nähe von Istanbul festgenommenen Aktivisten öffentlich als staatsfeindliche Verschwörer vorverurteilt. Insbesondere seit dem Putschversuch haben Regierungskritiker Zweifel an der Unabhängigkeit der türkischen Justiz.
Kalin spricht weiterhin von einer deutschen „Mode“, bei jeder Gelegenheit über die Türkei herzufallen. Die Warnung Gabriels an deutsche Touristen und Unternehmer weist Kalin mit scharfen Worten zurück. Besucher und Investoren aus der Bundesrepublik seien in seinem Land sicher. Für die inhaftierten Deutschen gilt dies jedoch nicht: Bei ihnen handelt es sich nach Worten des Sprechers um Verdächtige, die Böses im Schilde führten.
Doch gibt es am Donnerstag auch versöhnliche Töne. „Ich nenne ihn immer noch meinen Freund“, sagt der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Donnerstag bei einem Besuch auf Nordzypern über Gabriel. „Man kann nicht in jeder Sache einer Meinung sein, aber was zählt ist, darüber sprechen zu können.“Der Kontakt sei auch in schwierigen Zeiten nie abgebrochen, sagt Cavusoglu. „Wir rufen uns gegenseitig an, wann immer wir wollen. Außerdem kommunizieren wir auch über SMS, also über Kurznachrichten.“