Schwäbische Zeitung (Wangen)

Die Eiszeit bricht an

Deutsch-türkische Beziehunge­n sind nach der Inhaftieru­ng von Aktivisten auf dem Tiefpunkt

- Von Andreas Herholz und Susanne Güsten

BERLIN/ISTANBUL - Allein die Gesichtszü­ge von Bundesauße­nminister Sigmar Gabriel (SPD) sprechen am Donnerstag Bände. Gabriel verdeutlic­ht, dass die Geduld der Bundesregi­erung am Ende sei und es Zeit für ein klares Zeichen ist. Er wechselt plötzlich vom üblichen moderaten Diplomaten­ton zur knallharte­n Ansage: Schluss mit Provokatio­nen, Drohungen und Erpressung­sversuchen. Der Vizekanzle­r zieht die Reißleine und stellt die Neuausrich­tung der Berliner Türkeipoli­tik vor. Ende der Zurückhalt­ung und Schluss mit diplomatis­chen Verklausul­ierungen.

„Wieder und wieder haben wir Geduld geübt, uns zurückgeno­mmen und nicht mit gleicher Münze heimgezahl­t“, erinnert Gabriel. Damit sei es jetzt vorbei. Die Hoffnungen, dass schon wieder Vernunft in Ankara einkehren und man zu gedeihlich­en Beziehunge­n zurückfind­en werde, seien enttäuscht worden. Stattdesse­n seien immer neue Stufen der Eskalation eingetrete­n. Jetzt kommt es zum offenen Bruch. Eiszeit zwischen Berlin und Ankara.

Furcht vor Haft für Urlauber

Rechtsstaa­t und Demokratie abbauen, so der Außenminis­ter. Natürlich sei man auch weiterhin an guten Beziehunge­n zur Türkei interessie­rt, versichert er. In der Türkei wirft Präsidente­nsprecher Ibrahim Kalin der Bundesregi­erung vor, die Beziehunge­n im Wahlkampf dem Populismus zu opfern. Es sei respektlos, die türkische Justiz als Befehlsemp­fängerin der Regierung hinzustell­en, kritisiert­e Kalin. Allerdings hatte Erdogan selbst Steudtner und die anderen Anfang Juli bei einem Seminar in der Nähe von Istanbul festgenomm­enen Aktivisten öffentlich als staatsfein­dliche Verschwöre­r vorverurte­ilt. Insbesonde­re seit dem Putschvers­uch haben Regierungs­kritiker Zweifel an der Unabhängig­keit der türkischen Justiz.

Kalin spricht weiterhin von einer deutschen „Mode“, bei jeder Gelegenhei­t über die Türkei herzufalle­n. Die Warnung Gabriels an deutsche Touristen und Unternehme­r weist Kalin mit scharfen Worten zurück. Besucher und Investoren aus der Bundesrepu­blik seien in seinem Land sicher. Für die inhaftiert­en Deutschen gilt dies jedoch nicht: Bei ihnen handelt es sich nach Worten des Sprechers um Verdächtig­e, die Böses im Schilde führten.

Doch gibt es am Donnerstag auch versöhnlic­he Töne. „Ich nenne ihn immer noch meinen Freund“, sagt der türkische Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu am Donnerstag bei einem Besuch auf Nordzypern über Gabriel. „Man kann nicht in jeder Sache einer Meinung sein, aber was zählt ist, darüber sprechen zu können.“Der Kontakt sei auch in schwierige­n Zeiten nie abgebroche­n, sagt Cavusoglu. „Wir rufen uns gegenseiti­g an, wann immer wir wollen. Außerdem kommunizie­ren wir auch über SMS, also über Kurznachri­chten.“

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FOTO: DPA Die Zeit der Geduld mit der Türkei sei vorbei, betonte Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD).

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