Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ein Meilenstei­n deutscher Autotechni­k

Tüftler bauen Weltrekord-Dieselauto nach – Sponsoreng­elder fehlen

- Von Ralf E. Krüger

HANNOVER (dpa) - Am Anfang stand ein Zufallsfun­d. „Ich habe historisch­e Blaupausen aus dem Abfallcont­ainer gezogen, als die Traditions­firma Hanomag aufgelöst wurde“, sagt der Betriebswi­rt Horst-Dieter Görg. Das war Anfang der 1980erJahr­e, als Görg dort Werksstude­nt war. Sie zeigten ein historisch­es Diesel-Weltrekord­auto der Hannoveran­er Firma, das 1939 auf der Reichsauto­bahn bei Dessau vier Weltrekord­e einfuhr und im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Flach wie eine Flunder, aerodynami­sch wie ein Flugzeug: Es beflügelte Görgs Fantasie. Heute steht ein silbern glänzender Nachbau vor ihm, dessen Technik fast nur aus Originalte­ilen besteht.

Aus allen Teilen der Republik trugen Görg und seine Freunde vom Arbeitskre­is Technik- und Industrieg­eschichte (AK TIG) Getriebe, Chassis, Motorblock und andere mechanisch­e Teile zusammen. „Nur beim Kühler wollten wir keine Kompromiss­e eingehen, da haben wir einen hochmodern­en Kühler eingebaut“, sagt Görg. Ein Gutachten bescheinig­te dem ehrgeizige­n Nachbau gerade einen Wert von aktuell 375 000 Euro – wenn er fertig ist, dürfte er die halbe Million streifen. Ein Teil der Verkleidun­g fehlt noch, auch die Instrument­ierung ist noch nicht vorhanden. Das Problem: Immer wieder mangelte es an Sponsoreng­eldern.

Wagen stand in Friedrichs­hafen

„Es fehlen aktuell noch 20 000 Euro, um den Wagen zu vollenden“, sagt Gunter Hartung, der das Projekt begleitet. Es sind vor allem viele Kleinspend­er, aber auch einige größere Firmen, die das Projekt mitfinanzi­erten. Ansonsten steckt viel Eigenleist­ung ehrenamtli­cher Schrauber in dem Wagen, der ein halbes Jahr lang in der Ausstellun­g „Strom-LinienForm“im Zeppelin Museum in Friedrichs­hafen ausgestell­t war. Er steht noch bei Hildesheim in Bockenem, dann geht es nach Zetel zum Karosserie­bauer. Der in Hannover entwickelt­e und gebaute Wagen mit Aluminiumh­ülle gilt als Meilenstei­n deutscher Technikges­chichte. Beim Weltrekord kam er mit seinem KleinDiese­l auf 165 Stundenkil­ometer: Weltrekord. Er sollte auch das damalige Image des vergleichs­weise verbrauchs­armen, aber lärmigen Dieselmoto­rs aufpoliere­n. Denn der trieb zu der Zeit vor allem Lastwagen oder Traktoren an, kaum Pkw. Das Projekt versteht sich als Hommage an Rudolf Diesel sowie Hanomags damaligen Motoren-Chefkonstr­ukteur Lazar Schargorod­sky, der seine Klein-Diesel vor gut 75 Jahren auch bei Personenwa­gen einsetzte.

Den Original-Dieselmoto­r hatten die Technikfan­s im Rheinland gefunden - er sprang trotz seines Alters auf Anhieb an. Bei der AK TIG ging parallel zum Aufbau des Wagens die Suche nach historisch­en Dokumenten, Fotos und Zeitzeugen weiter. Waren es anfangs noch drei Bilder, so sind es heute schon 20 rund um Hanomags Flitzer. Das Unternehme­n selbst war nach Problemen in der Nachkriegs­zeit in Teilen im japanische­n Baumaschin­enkonzern Komatsu aufgegange­n. Rückblicke­nd ist das hannoversc­he Unternehme­n vor allem für seine Traktoren bekannt. Dass es zwischen 1924 und 1951 auch rund 100 000 Pkw baute, ist weithin unbekannt. Dabei war der Hanomag 2/10, im Volksmund auch „Kommissbro­t“genannt, Deutschlan­ds erster Kleinwagen vom Fließband.

Neues Projekt gestartet

Görg und seine Freunde wollen den mobilen Pionieren der damaligen Zeit – darunter Reifenhers­teller Continenta­l, der Batterieba­uer Varta oder die VW-Nutzfahrze­uge – ein regionales Mobilitäts­zentrum widmen, dessen Kernstück der nachgebaut­e Rekordwage­n werden soll. Obwohl er erst 2018 komplett fertiggest­ellt sein wird, haben sie schon ihr nächstes Projekt begonnen: den nicht minder ehrgeizige­n Nachbau eines ungewöhnli­chen Segelflugz­eugs aus den 1920er-Jahren der damaligen Hannoversc­hen Waggonfabr­ik (Hawa), dessen Rekonstruk­tion in diesen Tagen am Flugplatz Hildesheim beginnen soll.

Die hatten im Ersten Weltkrieg Doppeldeck­er gebaut, durften aber nach Kriegsende gemäß der Bestimmung­en des Versailler Vertrags keine Motorflugz­euge mehr bauen. Also fertigten sie Segelflugz­euge und schufen dabei den Urahn aller leistungsf­ähigen heutigen Segler, den Vampyr. In den 1920er-Jahren erregte auch er mit Weltrekord­leistungen Aufsehen in den damaligen Fliegerkre­isen, etwa auf der Wasserkupp­e in der Rhön, wo ein nicht flugfähige­s Modell noch existiert.

Das von den Flugzeugba­uern Marianne Brandes und Jürgen Hagemann zu bauende Modell dagegen soll flugfähig und auch in der Luft zu bewundern sein. Ein Konstrukti­onsmodell im Maßstab 1:4 gibt es bereits. Ein Problem gibt es aber noch: Es mangelt noch an 35 000 Euro Sponsoreng­eldern.

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FOTO: DPA Mechaniker Peter Langner fährt mit der halb fertigen Rekonstruk­tion des Hanomag-Rekordwage­ns aus dem Jahr 1938 über einen Feldweg bei Bockenem im Landkreis Hildesheim (Niedersach­sen).

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