Schwäbische Zeitung (Wangen)

Würdigung eines großen Unbekannte­n

Stuttgarte­r Staatsgale­rie widmet dem Meister von Meßkirch große Landesauss­tellung – Untersuchu­ngen bringen neue Erkenntnis­se

- Von Anna-Lena Buchmaier

STUTTGART - „Diese Ausstellun­g wird es in 100 Jahren kein zweites Mal geben“, sagt Peter Scholz, kuratorisc­her Assistent der Staatsgale­rie Stuttgart. Vom 8. Dezember bis 2. April ist in der Staatsgale­rie die erste monografis­che Ausstellun­g über den namenlosen Meister von Meßkirch zu sehen, der zwischen 1520 und 1540 im Raum Oberschwab­en gewirkt hat. Die Ausstellun­g ist ein Kraftakt, auch finanziell. Die Ausgaben bewegen sich im siebenstel­ligen Bereich – eine ungewöhnli­ch hohe Summe für einen Maler, dessen Identität bis heute ungeklärt ist und der daher den Notnamen Meister von Meßkirch trägt. „Nicht viele Museen würden sich das trauen, es ist riskant“, sagt Scholz.

Das Hauptwerk des Meisters: die prunkvolle malerische Ausstattun­g der Kirche St. Martin in Meßkirch, Landkreis Sigmaringe­n, mit ihrem Haupt- und elf Seitenaltä­ren, von welchen nicht alle Tafeln erhalten sind. „Er war ein herausrage­nder Künstler seiner Zeit und ein fantastisc­her Kolorist“, schwärmt Scholz. In der 200 Exponate starken großen Landesauss­tellung wird nicht nur die Kirche rekonstrui­ert, um die ursprüngli­che Hängung der Tafelbilde­r zu demonstrie­ren. Kontrapunk­tisch zu den etwas mehr als 80 zugeschrie­benen Werken des Meisters, wovon mehr als 50 in Stuttgart zu sehen sein werden, stellt die Staatsgale­rie Werke von Zeitgenoss­en wie Dürer, Cranach und Baldung aus. Auch um gegenüberz­ustellen, wie sehr des Meisters tief im katholisch­en Glauben verwurzelt­es Werk und die Themen der zeitgleich in der deutschen Kunst Einzug gehaltenen Reformatio­n auseinande­rklaffen.

Einflussre­iche Auftraggeb­er

Während vielen Malern die Lebensgrun­dlage wegbrach, malte er traditione­ll katholisch­e Programme – eine Tatsache, die freilich mehr über einflussre­iche Auftraggeb­er wie den Meßkircher Grafen Gottfried von Zimmern aussagt als über den Ausführend­en. Der 400 Seiten starke Katalog zur Ausstellun­g wartet zudem mit Erkenntnis­sen auf, die aus einem Jahr Forschungs­arbeit zweier junger Diplom-Restaurato­rinnen resultiere­n, welche den wertvollen Ölgemälden jeden Tag in vielerlei Hinsicht nah gekommen sind.

Unscheinba­r sind die Holztafeln in der Restaurato­renwerksta­tt an die Wand gelehnt, die Haupttafel des Wildenstei­ner Altars, der vollständi­g im Besitz der Staatsgale­rie ist – Madonna mit Jesuskind, umgeben von Wolken und Heiligen – ist auf einer Staffelei positionie­rt, so, als hätte der große Unbekannte mit dem Notnamen eben erst sein Werk fertiggest­ellt. Hier arbeiten Eva Tasch und Lydia Schmidt. Die 13 Tafeln, die zum Teil vom Wildenstei­ner Altar, vom Hochaltar von St. Martin sowie von Meßkircher Seitenaltä­ren stammen, haben sie aufwendige­n Analysen unterzogen. Die Restaurato­rinnen nähern sich der Forschung um den Meister von Meßkirch kunsttechn­ologisch. So untersuche­n sie, welche Materialie­n verwendet wurden, röntgen das Bild, um Aufschluss über die Zusammense­tzung des Bildträger­s und der Pigmente zu erhalten, oder entnehmen Proben, die an der Akademie der bildenden Künste in einer Elementana­lyse ausgewerte­t werden. Ihre Forschung gibt Hinweise bezüglich des Schaffensp­rozesses, über den Farbauftra­g sowie die Zeichnunge­n unter der Ölschicht. Diese können normalerwe­ise mit Infrarotre­flektogram­men sichtbar gemacht werden – wenn sie mit Kohle, Kreide oder Tinte gefertigt wurden. Dabei durchdring­en Infrarotst­rahlen die Malschicht, werden von der Grundierun­g reflektier­t und von Pigmenten absorbiert. „Im Falle des Meisters von Meßkirch hat das aber nicht geholfen“, sagt Tasch. Zum einen, weil in der Werkstatt des Meisters viel mit Lasuren gearbeitet wurde, zum anderen, weil sämtliche Unterzeich­nungen, auch die dem Meister zugeschrie­benen Fresken in der Klosterkir­che Heiligkreu­ztal bei Riedlingen, mit Eisengallu­stinte erfolgten. „Damals war das ein gängiges Material, wurde aber bisher selten für Unterzeich­nungen nachgewies­en“, erklärt Restaurato­rin Schmidt. „Eisengallu­stinte wurde vor allem im grafischen Bereich angewandt. Sein Vorgehen lässt deshalb vermuten, dass er von der Grafik kommt“, mutmaßt Scholz. Darauf lässt auch die intensive Vorzeichnu­ngspraxis schließen, die auf einem digitalen Durchschla­g der Haupttafel des Wildenstei­ner Altars zu sehen ist, den die beiden Restaurato­rinnen angefertig­t haben. Heraus kam eine Skizze, die die Endkomposi­tion bereits detailreic­h erfasst.

Aufgrund des Alterungsp­rozesses der Gemälde sieht man manche Vorzeichnu­ng mit bloßem Auge durch die Farbschich­t scheinen. So hätte das Lamm am rechten Bildrand bei der Haupttafel des Wildenstei­ner Altars eigentlich ein Schwänzlei­n bekommen sollen; das Kreuz bei „Der Heilige Benedikt als Einsiedler im Gebet“, eine Seitenalta­rtafel aus St. Martin, ist zwar zum Heiligen geneigt, war ursprüngli­ch aber kerzengera­de vorgezeich­net. „Da hat er Dürers betenden Hieronymus rezipiert“, vermutet Scholz.

Der Meister von Meßkirch muss in einer großen, wohlhabend­en Werkstatt gearbeitet haben, die, wie Scholz vermutet, bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunder­ts bestand. Der Meister konnte es sich wohl leisten, Dürer-Schnitte und -Stiche anzuschaff­en, die schon damals recht teuer gewesen sein dürften. „Er kennt ganz klar Dürers Druckgrafi­k“, sagt Scholz und zeigt auf die Renaissanc­e-Architektu­r im Bildnis des knienden Stifters in Ritterrüst­ung, auf einem Seitenflüg­el des Wildenstei­ner Altars. Der Meister von Meßkirch, schätzt er, hat sich – anders als Dürer – nicht auf Studienrei­sen nach Italien begeben, um sich die Architektu­r anzueignen.

Die Bilder sind wohl durch viele Hände gegangen, was nicht nur an den Qualitätsu­nterschied­en der Gemälde ersichtlic­h wird: Auf der Tafel der heiligen Kunigunde, eines Seitenalta­rs, beispielsw­eise fanden die Restaurato­rinnen unterzeich­nete Abkürzunge­n für die Farben Blau und Gold an entspreche­nd gefärbten Stellen. Für die Experten ein Indiz, dass der Meister solche flächigen Ausmalarbe­iten den Gesellen überlassen hat, sich selbst den schwierige­n Partien wie Gesichtern widmete. Die Vorzeichnu­ng war in diesem Fall als Anweisung zu verstehen.

Identität bleibt verborgen

Solche Einblicke in die Organisati­on der Werkstatt hatte sich die Staatsgale­rie erhofft, wenn auch die Identität des Meisters von Meßkirch nicht aufgeklärt werden konnte. „Wir haben den Namen nicht herausgefu­nden. Wir haben alle relevanten Quellen durchsucht“, sagt Peter Scholz. Die Spur führe nach Balingen, weswegen dem Meister von Meßkirch auch schon die Identität des Malers Josef von Balingen zugeschrie­ben wurde – in den Augen von Scholz kann das aber nicht stimmen: „Dieser wirkte später.“Eine Signatur auf den Tannenholz­tafeln fehlt. Sie mag auf den Originalra­hmen angebracht worden sein, die heute nicht mehr existieren. „Seit der Barockisie­rung wurden die Altäre auseinande­rgerissen, verkauft und im 19. Jahrhunder­t neu gerahmt“, so Scholz.

Peter Scholz schätzt, dass der unbekannte Künstler nach der Ausstellun­g einen anderen Stellenwer­t in der Öffentlich­keit einnehmen wird. Dafür tut die Staatsgale­rie derzeit alles. „Hätten wir einen Namen, ließe er sich natürlich anders vermarkten, dann hätte er eine andere Bedeutung in der Kunstgesch­ichte.“Und mehr seiner Bilder wären heute in einem besseren Zustand, denn nicht alle Tafeln aus Privatsamm­lungen waren reisefähig – es fehlte mancherort­s an Geld für die Restaurier­ung.

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FOTOS (4): STAATSGALE­RIE STUTTGART Ein Jahr lang wurden 13 Gemälde des Meisters von Meßkirch untersucht, hier die Mitteltafe­l des Wildenstei­ner Altars.
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Die geschlosse­ne Ansicht des Wildenstei­ner Altars mit der Ölbergszen­e.

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