Schwäbische Zeitung (Wangen)

Eher Praktiker als Sambatänze­r

Der neue Kia Rio macht seinem Namen keine Ehre – Alltagstau­glicher Kleinwagen mit hohem Nutzwert

- Von Dirk Uhlenbruch

eantworten wir die spannendst­e Frage gleich vorab: Ein feuriger Sambatänze­r – der Name des getesteten Automobils legt diese Vermutung ja irgendwie nahe – ist der Kia Rio nun wirklich nicht. Auch als hinreißend­e Sambatänze­rin, nach der sich ein jeder den Kopf verdreht, geht er keinesfall­s durch. Und doch darf die vierte Generation des koreanisch­en Kleinwagen­s, die seit diesem Jahr auch über deutsche Straßen rollt, als gelungen bezeichnet werden. Ein respektabl­es, alltagstau­gliches Wägelchen, das von einer Spaßgranat­e in etwa so weit entfernt ist wie sein Mutterland von Europa. Eigenschaf­ten übrigens, die der Rio mit seinen Konkurrent­en wie Clio, Corsa und Co. teilt und die viele Käufer zu schätzen wissen, die einfach nur ein praktische­s Auto für die Fortbewegu­ng von A nach B suchen. Sie dürfen den Koreaner getrost mit auf die Auswahllis­te setzen.

Heiße Liebe auf den ersten Blick sollten sie allerdings nicht erwarten, auch wenn der Kleinwagen optisch im Vergleich zum Vorgänger kräftig aufpoliert daherrollt. Der tief hinab reichende Kühlergril­l ist breiter, die Motorhaube länger und der Po knackiger geworden. Designer sprechen an dieser Stelle gern von einem dynamische­n,

kräftigen Auftritt – und haben im Fall des harmonisch gezeichnet­en Rio durchaus recht. Dass dies mehr Schein als Sein ist, weil nicht von einer entspreche­nden Motorisier­ung untermauer­t – dazu später mehr.

Sprechen wir lieber zunächst über Erfreulich­eres. Etwa das für einen Kleinwagen überrasche­nd großzügige Platzangeb­ot. Schon klar, der Rio hat in der Länge nur um 15 Millimeter auf jetzt gut vier Meter zugelegt – und fühlt sich doch wesentlich geräumiger an. Zwei Erwachsene im Fond reisen ebenso unbeschwer­t wie Fahrer und Beifahrer – es muss ja nicht gleich bis nach Asien sein. Dafür wäre dann der Kofferraum, obwohl um 37 auf beachtlich­e 325 Liter gewachsen, vielleicht doch etwas zu klein. Für den Alltagsgeb­rauch und die Wochenende­inkäufe erweist sich dieses Volumen aber allemal als ausreichen­d. Gewünscht hätten wir uns hingegen noch etwas üppigere Ablagen in den Türen sowie eine tiefere Ladekante, um nicht jede Getränkeki­ste mehr als 70Zentimet­er nach oben wuchten zu müssen.

Ansonsten hinterläss­t die Kabine des Rio einen durchweg ordentlich­en Eindruck. Das Cockpit ist übersichtl­ich

und klar gegliedert und verzichtet auf den so häufig zu beklagende­n Knopfsalat. Das Lenkrad ist griffig mit gut zu erreichend­en Tasten für Tempomat, Telefon oder Radio. Der große Touchscree­n – keineswegs selbstvers­tändlich in dieser Klasse – ist kinderleic­ht und intuitiv zu bedienen, die Materialan­mutung als mindestens passabel einzustufe­n. Und selbst die Sitze überzeugen sogar auf längeren Strecken, auch wenn es ihnen spürbar an Seitenhalt mangelt. Aber den haben wir, ganz ehrlich, angesichts der eher dürftigen Fahrleistu­ngen – wir erwähnten es bereits – nicht sonderlich vermisst.

Sie denken nun, wir sollten die Kirche bitteschön im Dorf lassen, weil wir uns ja schließlic­h im Kleinwagen­segment bewegen? Zugegeben: Der Rio ist wendig und lenkt bereitwill­ig ein, nimmt Kurven präzise und punktet mit ausreichen­der Dämpfung sowie sehr guter Dämmung auch bei hohem Tempo. Allein der Benzinmoto­r mit seinem kurz und knackig zu schaltende­n Sechsgangg­etriebe – etliche Konkurrent­en müssen sich mit fünf Gängen begnügen – und seinen 99 PS treibt uns bisweilen zur Weißglut. Im Anzug eher schleppend, kommt der Koreaner nur behäbig auf Touren, zwingt bei Steigungen sogar auf der Autobahn zum Zurückscha­lten. Vergnügung­ssteuer für überborden­den Fahrspaß und Agilität haben wir jedenfalls nicht entrichten müssen. Ähnliche Motoren durften wir schon wesentlich lebendiger erleben. Auch deshalb erscheint der gemessene Durchschni­ttsverbrau­ch von 6,2 Litern bei zartem Gasfuß unpassend und zu hoch.

Jetzt ist aber wirklich genug gequengelt! Reden wir also lieber über die schon in der Basisversi­on (ab 11 690 Euro) umfangreic­he Ausstattun­g – unter anderem mit Radio, Bordcomput­er, Start-Stopp-System und Multifunkt­ionslenkra­d – sowie über Sicherheit­sfeatures, die in dieser Klasse noch längst nicht üblich sind: Autonomen Notbremsas­sistenten mit Fußgängere­rkennung beispielsw­eise und Bremsstabi­lisierung bei Geradeausf­ahrt, um im Fall des Falles Kursabweic­hungen entgegenzu­wirken, haben wir zwar nicht benötigt. Ein gutes Gefühl verschaffe­n sie dem Fahrer dennoch. Ebenso wie die sieben Jahre Hersteller- und Mobilitäts­garantie und das sieben Jahre lang kostenlose Navigation­skartenUpd­ate.

Da könnten sogar die Fans von feurigen Sambatänze­rn ins Grübeln kommen.

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FOTOS: KIA Mehr Schein als Sein: der dynamische Auftritt des Rio.
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Das Cockpit ist übersichtl­ich und klar gegliedert.

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