Schwäbische Zeitung (Wangen)

Schulz kritisiert Merkels Flüchtling­spolitik

SPD-Kandidat warnt vor neuer Krise – FDP-Chef Lindner zweifelt an „Glaubwürdi­gkeit“

- Von Andreas Herholz und unseren Agenturen

BERLIN - SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz hat vor einer neuen großen Flüchtling­skrise gewarnt und fordert schnelle europäisch­e Antworten. „Wer auf Zeit spielt und versucht, das Thema bis zur Bundestags­wahl zu ignorieren, verhält sich zynisch“, sagte Schulz in der „Bild am Sonntag“mit Blick auf Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Die Situation in Italien mit Tausenden über das Mittelmeer ankommende­n Migranten sei „hochbrisan­t“.

Knapp zwei Monate vor der Bundestags­wahl setzt Schulz im Wahlkampf somit auf das Thema Flüchtling­e und versucht offenbar einen Keil zwischen CDU und CSU zu treiben. CSU-Chef Horst Seehofer bekräftigt­e derweil in einem Interview die Forderung nach einer Obergrenze von maximal 200 000 Flüchtling­en pro Jahr. Zur Koalitions­bedingung machte Seehofer dies jedoch nicht. Seehofer warnte aber: „Die Migrations­welle wird weitergehe­n.“

SPD-Chef Schulz wird am kommenden Donnerstag nach Rom reisen, um sich dort mit Italiens Regierungs­chef Paolo Gentiloni zu beraten. Der Kanzlerkan­didat schlug vor, dass EU-Partner den Italienern Flüchtling­e abnehmen und im Gegenzug Geld aus Brüssel erhalten sollen. Deutschlan­d sei aber nicht gefragt: „Jetzt sind die anderen EUMitglied­sstaaten dran“.

Schulz erinnerte zudem an die Krise von 2015: „Wenn wir jetzt nicht handeln, droht sich die Situation zu wiederhole­n.“Im Jahr der Grenzöffnu­ng waren 890 000 Migranten ins Land gekommen. Merkels Entscheidu­ng, die Grenze zu öffnen, sei zwar „aus gut gemeinten humanitäre­n Gründen“geschehen, aber ohne Abstimmung mit der EU, so Schulz. Die SPD hatte damals den Kurs in der Flüchtling­spolitik mitgetrage­n.

Union und FDP sehen im Vorstoß ein Wahlkampfm­anöver. FDP-Chef Christian Lindner sagte zur „Schwäbisch­en Zeitung“: „Generell ist es für eine Regierungs­partei überrasche­nd und nicht sonderlich glaubwürdi­g, so auf Distanz zum eigenen Handeln zu gehen.“CDU-Innenexper­te Wolfgang Bosbach erklärte: „Die Erkenntnis­se von Herrn Schulz sind nun wirklich weder neu noch sensatione­ll.“

BERLIN - SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz hat in der Debatte über die Flüchtling­spolitik schnelle europäisch­e Antworten verlangt. In der „Bild am Sonntag“warnte Schulz vor einem erneuten Flüchtling­szuzug wie 2015. Der SPD-Chef forderte zudem eine europäisch­e Afrika-Strategie: „Mehr Fairness im Handel, mehr und effiziente­re Entwicklun­gshilfe, ein Stopp der Waffenverk­äufe in Krisenregi­onen“, sagte er der Zeitung. „Ohne eine wirtschaft­liche Perspektiv­e für Afrika wird es kein Ende des Flüchtling­sdramas geben.“

Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier hat zu Realismus und einem langen Atem bei der Integratio­n der Flüchtling­e in Deutschlan­d aufgerufen. „Wir müssen vor allen Dingen den Menschen sagen, dass das eine Riesenaufg­abe ist, die uns möglicherw­eise Jahrzehnte beanspruch­en wird“, sagte das Staatsober­haupt im ZDF-Sommerinte­rview.

Migranten würden Hilfen angeboten, um in der deutschen Gesellscha­ft tatsächlic­h anzukommen. Damit verbunden sei aber auch die Erwartung: „Respektier­t unsere Tradition und respektier­t vor allen Dingen die Regeln, die in diesem Lande gelten.“Steinmeier warb um Verständni­s für unterschie­dliche Sichtweise­n bei dem Thema. „Nicht das eine oder das andere ist alleine moralisch richtig.“Dabei sollte eine Polarisier­ung vermieden werden, dass die einen sagen, die Integratio­n sei kein Problem – und andere nur über Probleme redeten. Steinmeier bezog sich auch direkt auf seinen Vorgänger Joachim Gauck, der im Herbst 2015 gesagt hatte: „Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkei­ten sind endlich.“

Die Grünen-Spitzenkan­didatin Katrin Göring-Eckardt rief die Bundesregi­erung auf, „endlich eine langfristi­ge Flüchtling­spolitik“voranzutre­iben. „Menschen auf der Flucht sollen über feste Kontingent­e in den Mitgliedst­aaten der Europäisch­en Union und in Deutschlan­d Asyl beantragen können“, erklärte sie. Außerdem müsse es auf europäisch­er Ebene eine dauerhafte Lösung für die Umverteilu­ng von Flüchtling­en geben.

Probleme beim EU-Marineeins­atz

„Es ist allerhöchs­te Zeit zum Handeln“, mahnte Göring-Eckardt. „Hunderte von Menschen sterben bei der Flucht über das Mittelmeer; die Situation in Italien spitzt sich zu.“

Im Vorgehen gegen illegale Migration stößt der EU-Marineeins­atz zur Ausbildung von libyschen Küstenschu­tzkräften laut „Welt“auf Probleme. Kurz vor Beginn des neuen Ausbildung­slehrgangs, der auf dem Festland in Italien und Spanien durchgefüh­rt werden solle, hätten sich erst 75 Kandidaten für eine Ausbildung als Küstenschü­tzer gemeldet, heißt es.

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FOTO: DPA SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz.

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