Schulz kritisiert Merkels Flüchtlingspolitik
SPD-Kandidat warnt vor neuer Krise – FDP-Chef Lindner zweifelt an „Glaubwürdigkeit“
BERLIN - SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat vor einer neuen großen Flüchtlingskrise gewarnt und fordert schnelle europäische Antworten. „Wer auf Zeit spielt und versucht, das Thema bis zur Bundestagswahl zu ignorieren, verhält sich zynisch“, sagte Schulz in der „Bild am Sonntag“mit Blick auf Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Die Situation in Italien mit Tausenden über das Mittelmeer ankommenden Migranten sei „hochbrisant“.
Knapp zwei Monate vor der Bundestagswahl setzt Schulz im Wahlkampf somit auf das Thema Flüchtlinge und versucht offenbar einen Keil zwischen CDU und CSU zu treiben. CSU-Chef Horst Seehofer bekräftigte derweil in einem Interview die Forderung nach einer Obergrenze von maximal 200 000 Flüchtlingen pro Jahr. Zur Koalitionsbedingung machte Seehofer dies jedoch nicht. Seehofer warnte aber: „Die Migrationswelle wird weitergehen.“
SPD-Chef Schulz wird am kommenden Donnerstag nach Rom reisen, um sich dort mit Italiens Regierungschef Paolo Gentiloni zu beraten. Der Kanzlerkandidat schlug vor, dass EU-Partner den Italienern Flüchtlinge abnehmen und im Gegenzug Geld aus Brüssel erhalten sollen. Deutschland sei aber nicht gefragt: „Jetzt sind die anderen EUMitgliedsstaaten dran“.
Schulz erinnerte zudem an die Krise von 2015: „Wenn wir jetzt nicht handeln, droht sich die Situation zu wiederholen.“Im Jahr der Grenzöffnung waren 890 000 Migranten ins Land gekommen. Merkels Entscheidung, die Grenze zu öffnen, sei zwar „aus gut gemeinten humanitären Gründen“geschehen, aber ohne Abstimmung mit der EU, so Schulz. Die SPD hatte damals den Kurs in der Flüchtlingspolitik mitgetragen.
Union und FDP sehen im Vorstoß ein Wahlkampfmanöver. FDP-Chef Christian Lindner sagte zur „Schwäbischen Zeitung“: „Generell ist es für eine Regierungspartei überraschend und nicht sonderlich glaubwürdig, so auf Distanz zum eigenen Handeln zu gehen.“CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach erklärte: „Die Erkenntnisse von Herrn Schulz sind nun wirklich weder neu noch sensationell.“
BERLIN - SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat in der Debatte über die Flüchtlingspolitik schnelle europäische Antworten verlangt. In der „Bild am Sonntag“warnte Schulz vor einem erneuten Flüchtlingszuzug wie 2015. Der SPD-Chef forderte zudem eine europäische Afrika-Strategie: „Mehr Fairness im Handel, mehr und effizientere Entwicklungshilfe, ein Stopp der Waffenverkäufe in Krisenregionen“, sagte er der Zeitung. „Ohne eine wirtschaftliche Perspektive für Afrika wird es kein Ende des Flüchtlingsdramas geben.“
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zu Realismus und einem langen Atem bei der Integration der Flüchtlinge in Deutschland aufgerufen. „Wir müssen vor allen Dingen den Menschen sagen, dass das eine Riesenaufgabe ist, die uns möglicherweise Jahrzehnte beanspruchen wird“, sagte das Staatsoberhaupt im ZDF-Sommerinterview.
Migranten würden Hilfen angeboten, um in der deutschen Gesellschaft tatsächlich anzukommen. Damit verbunden sei aber auch die Erwartung: „Respektiert unsere Tradition und respektiert vor allen Dingen die Regeln, die in diesem Lande gelten.“Steinmeier warb um Verständnis für unterschiedliche Sichtweisen bei dem Thema. „Nicht das eine oder das andere ist alleine moralisch richtig.“Dabei sollte eine Polarisierung vermieden werden, dass die einen sagen, die Integration sei kein Problem – und andere nur über Probleme redeten. Steinmeier bezog sich auch direkt auf seinen Vorgänger Joachim Gauck, der im Herbst 2015 gesagt hatte: „Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind endlich.“
Die Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt rief die Bundesregierung auf, „endlich eine langfristige Flüchtlingspolitik“voranzutreiben. „Menschen auf der Flucht sollen über feste Kontingente in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und in Deutschland Asyl beantragen können“, erklärte sie. Außerdem müsse es auf europäischer Ebene eine dauerhafte Lösung für die Umverteilung von Flüchtlingen geben.
Probleme beim EU-Marineeinsatz
„Es ist allerhöchste Zeit zum Handeln“, mahnte Göring-Eckardt. „Hunderte von Menschen sterben bei der Flucht über das Mittelmeer; die Situation in Italien spitzt sich zu.“
Im Vorgehen gegen illegale Migration stößt der EU-Marineeinsatz zur Ausbildung von libyschen Küstenschutzkräften laut „Welt“auf Probleme. Kurz vor Beginn des neuen Ausbildungslehrgangs, der auf dem Festland in Italien und Spanien durchgeführt werden solle, hätten sich erst 75 Kandidaten für eine Ausbildung als Küstenschützer gemeldet, heißt es.