Schwäbische Zeitung (Wangen)

Durchschau­bares Manöver

- Von Jochen Schlosser j.schlosser@schwaebisc­he.de

Wie verzweifel­t muss der Mann sein? Die Umfragewer­te von Martin Schulz sind und bleiben im Keller: Laut aktuellem ZDF-Politbarom­eter wollen nicht einmal ein Drittel der Deutschen den SPD-Parteichef als Kanzler, seine Partei dümpelt bei überschaub­aren 24 Prozent. Also macht der Kandidat nun die Flüchtling­e zum Wahlkampft­hema. Dass er das Thema anspricht, ist richtig und wichtig. Dennoch ist es ein durchschau­bares Manöver: Schulz warnt vor einer Rückkehr der Flüchtling­skrise von 2015 und wirft Bundeskanz­lerin Angela Merkel Untätigkei­t und damit sogar „Zynismus“vor.

Dass die Thematik die Menschen bewegt, ist klar. Dass europaweit­e Lösungen gefragt sind, ebenfalls. In der Sache liegt Schulz somit nicht falsch. Doch der Union, die sich tatsächlic­h in der Flüchtling­sfrage zuletzt nicht mit Ruhm bekleckert hat, vorzuwerfe­n, sie agiere nicht, ist lachhaft. Wer bremste, als es darum ging, die Grenzen besser zu schützen? Oder auch bei den sicheren Herkunftsl­ändern? Die SPD war dabei. Für das ur-grüne Thema „Ehe für alle“setzten die Genossen zuletzt sogar ihre Glaubwürdi­gkeit als verlässlic­her Koalitions­partner aufs Spiel. Das wäre bei anderen Themen ja auch möglich gewesen. Merkels Entscheidu­ng vom Herbst 2015, die Grenze einfach zu öffnen, mag rückblicke­nd falsch gewesen sein. Doch sogar der politisch Minimalint­eressierte weiß, dass die SPD diese Politik damals begrüßt und lange mitgetrage­n hat.

Vom Schulz-Hype war anfangs die Rede, vom Schulz-Zug ebenfalls – doch mittlerwei­le sind die Weichen gestellt. Die Gerechtigk­eitsdebatt­e, Kernthema des SPD-Wahlkampfs, zündet nicht. Das Wahlprogra­mm zunächst ohne Renten- und Steuerkonz­ept vorzustell­en, hat auch nicht zur Wechselsti­mmung beigetrage­n. Jetzt, während die Kanzlerin urlaubt, reist Schulz nach Italien zu Ministerpr­äsident Paolo Gentiloni. Warum eigentlich? Deutschlan­ds Außenminis­ter heißt Sigmar Gabriel und ist SPD-Mitglied. Stattdesse­n macht der Kandidat Wahlkampf in Rom. Will Schulz etwa Außenminis­ter der nächsten Großen Koalition werden?

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