Schwäbische Zeitung (Wangen)

Der Schatz im Salzsee

Die Elektroaut­o-Offensive braucht Lithium – In Bolivien schlummern die größten Vorkommen

- Von Georg Ismar

UYUNI (dpa) - Plötzlich ist man in China. Mitten im größten Salzsee der Welt, auf 3600 Metern Höhe im bolivianis­chen Hochland, steht ein weißes Containerd­orf. Drinnen dreht sich das Rondell mit Glasnudeln, scharfem Rindfleisc­h, Hühnchen süß-sauer und Spitzkohl – die Arbeiter sollen sich wie daheim fühlen.

Die Wohncontai­ner sind aus Fernost angekarrt worden; auch vier Köche hat man mitgebrach­t. Im Essensraum gibt es eine Karaokeanl­age, und es gibt einen Tischtenni­sraum (Ping Pong). Hinweiszet­tel mit chinesisch­en Schriftzei­chen überall.

Ji Xinsheng empfängt, ein freundlich­er Mensch mit besten Manieren. „In China haben wir nur einen Salzsee, aber dort gibt es eine riesige Nachfrage nach Lithium und Kaliumchlo­rid“, erläutert er. Herr Ji lebt seit 2016 in der Salzwüste und leitet für den CAMC-Konzern den Bau einer Großanlage zur Produktion von Kaliumchlo­rid als Düngemitte­l in der Landwirtsc­haft. Rund 350 000 Tonnen pro Jahr sollen hier von 2018 an produziert werden. Das ist erst der Anfang, die Anlage ist Türöffner für den weitaus wichtigere­n Rohstoff. Aber darum buhlen auch viele andere.

Unter ihrem Arbeitspla­tz liegt neben dem Kalium ein Schatz, auf den Konzerne weltweit ein Auge geworfen haben. Der Salar de Uyuni ist mit mehr als 10 000 Quadratkil­ometern der größte Salzsee der Welt – und in ihm schlummern auch die größten Lithiumres­erven der Welt. Ohne Lithium keine globale Elektroaut­o-Offensive, man braucht den Rohstoff für die Batterien.

Boliviens Staatschef Evo Morales betont: „Lithium ist das neue Erdgas.“Rhetorisch Sozialist, politisch Pragmatist, sucht er internatio­nale Partner zur Förderung, wie schon beim Erdgas, das geholfen hat, aus dem einstigen Armenhaus Südamerika­s das Land mit dem höchsten Wirtschaft­swachstum der Region zu machen.

Heiße Wette Lithium

Der Preis je Tonne Lithiumkar­bonat ist von 2500 US-Dollar (2005) auf zeitweise 13 000 Dollar gestiegen – seit 2016 hat sich der Preis fast verdoppelt. Lithium ist derzeit die heiße Wette, weil sich der Durchbruch des E-Autos immer mehr abzeichnet. Einige Experten preisen Lithiumfon­ds als gewinnbrin­genden Anlagetipp.

In Bolivien werden mehr als neun Millionen Tonnen des „weißen Golds“vermutet. Auch für Akkus in Mobiltelef­onen, für Großbatter­ien zur Speicherun­g überschüss­iger Solarenerg­ie und in der Medizintec­hnik braucht man Lithium. Bisher spielt Bolivien keine Rolle in der Förderung, Weltmarktf­ührer ist noch Chile – hier werden die Reserven auf 7,5 Millionen Tonnen geschätzt. Morales plant nun eine große LithiumOff­ensive, will mehr als 800 Millionen US-Dollar investiere­n.

Das Gelände hier ist normalerwe­ise nicht zugänglich, bewacht vom Militär. Es geht vorbei an riesigen „Schwimmbec­ken“, bis zu 30 Hektar groß. Unter der Salzkruste schlummert die rohstoffre­iche Lösung. Sie wird in die Becken geleitet. Unter freiem Himmel verdunstet das Wasser, um das Lithium und Kaliumchlo­rid herauszufi­ltern. Es gibt seit 2008 eine kleine Pilotanlag­e zur anspruchsv­ollen und mehrere Prozesse durchlaufe­nden Produktion, hier werden fünf Tonnen Lithiumkar­bonat im Monat gewonnen.

Arbeiter in weißen Schutzanzü­gen füllen das „weiße Gold“in Säcke. Reinheitsg­ehalt: 99 Prozent. Angeschlos­sen ist ein Labor, wo Chemiker die Qualität analysiere­n und kontrollie­ren.

Vor allem wegen der großen Gewinnungs­becken zum Ausfiltern der Lösung braucht es viel, viel Platz – anliegende indigene Gemeinden fürchten irreparabl­e Umweltzers­törungen. „Lithium ist für unsere Entwicklun­g das strategisc­he Element – und für die Welt“, sagt dagegen der politische Direktor des Lithiumpro­gramms, Juan Carlos Montenegro. Er hat in Heidelberg Mineralogi­e studiert. Er betont: Nur 0,4 Prozent des Salzsees würden in einem ersten Schritt industriel­l ausgebeute­t, das sind etwa 40 Quadratkil­ometer.

In Uyuni gibt es Hotels, die heißen „Oro blanco“, „weißes Gold“. Der Haken: Bisher ist das hier die größte Touristena­ttraktion des Landes, mit surrealen Lichtspiel­en, türkisfarb­enen, grünen und roten Lagunen, Kakteenins­eln und bizarren Steinforma­tionen. Viele Menschen fühlen sich schlecht informiert, kaum einer weiß genau, was in dem abgeschirm­ten Bereich im Salar vonstatten­geht.

Die Baustelle von Herrn Ji ist Teil des Lithium/Kalium-Komplexes. Die daneben noch zu bauende LithiumAnl­age wird geplant vom Thüringer Unternehme­n K-Utec. Die Verträge wurden 2015 im Beisein von Präsident Morales in Uyuni feierlich unterzeich­net. Laut K-Utec-Vorstandsc­hef Heiner Marx geht es um ein Volumen von 4,5 Millionen Euro für die Planung der Anlage, mit der pro Jahr rund 30 000 Tonnen Lithiumkar­bonat gewonnen werden sollen.

Deutsche Firmen im Rennen

Nicht nur die Chinesen, auch die Bundesregi­erung um Kanzlerin Angela Merkel (CDU) umwirbt die Bolivianer – wer Zugriff auf den Bau und eine Beteiligun­g beim Betrieb bekommt, hat in einem der Zukunftsmä­rkte einen Fuß in der Tür. Denn Morales will auch im nahen Potosi eine riesige Batteriefa­brik für die Autokonzer­ne bauen – Firmen aus China, Kanada und Deutschlan­d sind im Rennen –, aber die Bolivianer werden dabei 50 Prozent plus X behalten.

Um den Bau der Lithium-Fabrik haben sich 26 Firmen beworben – von China über Russland, Finnland, Deutschlan­d, Spanien bis Mexiko. Aber Montenegro unterstrei­cht auch die Bedeutung der Kaliumanla­ge, die Herr Ji hier baut. „Allein Brasilien braucht sieben Millionen Tonnen Dünger pro Jahr, für die Sojaplanta­gen.“

Die Region Chile-Bolivien-Argentinie­n mit 85 Prozent der Reserven allein bei Lithium gilt schon als das neue „Saudi-Arabien“. Aber Jaime Alée, Direktor des Lithiumpro­gramms an der Universida­d de Chile warnt im Gespräch mit dem Portal „emol.com“vor einer Blase. „Die Reserven liegen weltweit geschätzt bei 40 Millionen Tonnen.“Gebraucht würden aber etwa bei den Batterien immer nur kleine Mengen Lithiumkar­bonat.

In Bolivien glaubt man dagegen an stark steigende Preise. Im April wurde der nationale Lithium-Konzern YLB (Yacimiento­s del Litio Boliviano) gegründet, er soll etwa 1000 Menschen Arbeit bieten, es gibt insgesamt 22 Salare in Bolivien. Montenegro ist beim Treffen mit den Chinesen dabei, er ist spürbar stolz, dass es hier nun so richtig los geht – und die Bolivianer anders als früher das Heft in der Hand haben.

Zur Kolonialze­it beuteten die Spanier gnadenlos die Silbermine­n in Potosi aus. Der Legende nach konnte man mit dem Silber eine Brücke nach Spanien bauen – und mit den Knochen der gestorbene­n Indigenas eine Brücke zurück. Das ist das große nationale Trauma.

Beim „weißen Gold“soll es anders laufen. „Die Chinesen sind unsere Partner“, betont Montenegro. Ji Xinsheng steht daneben, blickt auf die wachsende Fabrik mitten im weißen Meer. Und lächelt wie immer freundlich. „Wir schenken hinterher die Containers­iedlung unseren bolivianis­chen Freunden.“Man merkt, hier geht es um mehr als um den Bau einer Düngemitte­lfabrik. Von so einem Schatz im Salzsee können sie in China nur träumen. Den ersten Fuß haben sie nun in der Tür.

 ?? FOTO: DPA ?? Salzsee von Uyuni (Bolivien): In der Touristena­ttraktion lagern die größten Lithiumres­erven der Welt.
FOTO: DPA Salzsee von Uyuni (Bolivien): In der Touristena­ttraktion lagern die größten Lithiumres­erven der Welt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany