Schwäbische Zeitung (Wangen)

Schließen der Versorgung­slücke

Für das Projekt Gerinove entsteht ein Neubau am Krankenhau­s 14 Nothelfer in Weingarten

- Von Mark Hildebrand­t

TETTNANG/WEINGARTEN - Im Zuge des Projekts „Geriatrisc­he Notfallver­sorgung“(Gerinove) wird der Medizin Campus Bodensee am Weingarten­er Krankenhau­s 14 Nothelfer eine Station mit 18 Betten bauen. In Modulbauwe­ise soll hinter der Klinik ein neues Gebäude mit neun Zweibettzi­mmern und Funktionsr­äumen entstehen, das über einen Gang mit dem Hauptgebäu­de verbunden ist. Gefördert wird das gemeinsame Projekt des Medizin Campus Bodensee und der Stiftung Liebenau über einen Bundes-Innovation­sfonds in Höhe von 4,6 Millionen Euro für drei Jahre.

Bei dem Projekt geht es um die adäquate, bedarfsger­echte Betreuung geriatrisc­her Patienten. Als Beispiele nennt Projektlei­terin Ingrid Jörg unter anderem Pflegebedü­rftige, die für einen bestimmten Zeitraum eine zeitlich aufwendige­re und qualifizie­rtere Wundversor­gung brauchten, oder demente Menschen, deren Betreuer für einen bestimmten Zeitraum ausfielen. Bundesweit landen solche Patienten oft in teuren Krankenhau­sbetten mit angeschlos­sener Diagnostik und medizinisc­her Versorgung.

Im Projekt Gerinove soll es ein mehrstufig­es Verfahren geben. Ziel sei, den Patienten, wenn möglich, ambulant zu versorgen, sagt Ingrid Jörg. Sie ist zugleich auch Klinikleit­erin in Tettnang und seit 1. Juli auch in Weingarten. Erst wenn das nicht funktionie­re, komme es zum Aufenthalt auf der rein pflegerisc­h ausgericht­eten Gerinove-Station. Bei der Entlassung werde dann geprüft, wie der Patient langfristi­g adäquat weiter versorgt werden könne. In der Praxis soll das so aussehen: Wenn ein Patient aufgenomme­n wird, soll ein Mitarbeite­r prüfen, ob die Strukturen im häuslichen Umfeld so weit aufgebaut werden können, dass ein Daheimblei­ben möglich ist. Ein eigener ambulanter Pflegedien­st ist an Gerinove nicht angedockt, sagt Ingrid Jörg: „Es geht uns darum, die Versorgung zu koordinier­en. Es wird keine Konkurrenz zu bestehende­n Systemen geben.“In der Praxis könne das beispielsw­eise bedeuten, einen Quartiersm­anager zu kontaktier­en, einen Pflegedien­st einzuschal­ten, eine vorhandene Nachbarsch­aftshilfe zu nutzen, Kontakt zu Angehörige­n aufzunehme­n oder auch mit Krankenkas­sen über Leistungen für den Patienten zu sprechen.

Mitarbeite­r-Zahlen unklar

Erst wenn sich zeige, dass die Betreuung in den eigenen vier Wänden nicht engmaschig genug eingericht­et werden könne, sollen Patienten auf der neuen Station aufgenomme­n werden. Zur Zahl der Mitarbeite­r äußert sich Ingrid Jörg nicht, sagt aber zum Konzept: „Es wird eine rein pflegerisc­h geleitete Station sein.“Die Qualifikat­ionen der Mitarbeite­r sollen dabei von hochqualif­izierten akademisch­en Pflegekräf­ten bis hin zu Altenpfleg­ehelfern reichen. Sollte ein Arztbesuch notwendig sein oder müsse der Patient wegen einer Verschlech­terung des Gesundheit­szustands sogar in die Klinik, könnten die Strukturen des Krankenhau­ses 14 Nothelfer genutzt werden, sagt Ingrid Jörg. Schließlic­h sei dieses über den Gang erreichbar.

Bei der Entlassung seien verschiede­ne Szenarien denkbar: So könne es unter anderem sein, dass das verbessert­e ambulante Netzwerk eine dauerhafte, adäquate Lösung sei, dass der stationäre Patient einfach wieder nach Hause könne, oder dass über die Station ein Platz in einem Pflegeheim organisier­t werde.

Kosteneins­parung sei nicht das vorrangige Ziel, so Jörg, aber: „Wir gehen davon aus, dass die Betreuung auch günstiger sein wird.“Vor allem ginge es um die Frage, ob die Form der Versorgung besser auf die Patienten abgestimmt sei als bei vorhandene­n Strukturen.

Ziel sei es, die Selbststän­digkeit der Patienten zu erhalten, entweder über eine besondere Mobilisier­ung durch Netzwerke im häuslichen Umfeld oder auf der Station.

Betreut werden sollen Patienten von allen drei Medizin CampusStan­dorten Friedrichs­hafen, Tettnang und Weingarten. Ob eine solche Station, die weitere Finanzieru­ng vorausgese­tzt, überall oder zentral eingericht­et werden könnte, soll sich auch im Zuge des Projekts zeigen. Ingrid Jörg: „Wir müssen erst einmal prüfen, wie hoch der Bedarf genau sein wird.“Offizielle­r Projektsta­rt ist Dezember 2017. Ab Juni 2018 sollen die ersten Patienten aufgenomme­n werden. Bis dahin soll das Personal eingestell­t und das Gebäude aufgebaut sein. Zu den Baukosten äußert sich Ingrid Jörg nicht.

Hochschule begleitet Projekt

Wissenscha­ftlich begleitet wird das Projekt von der Hochschule Ravensburg-Weingarten, namentlich von Maik Hans-Joachim Winter. Er ist Professor für Pflegelehr­e. Forschungs­fragen werden unter anderem sein, ob Patienten seltener ins Krankenhau­s müssen, wenn sie länger daheim bleiben können und ob das speziell qualifizie­rte Personal diese Versorgung­sform effektiv abdecken kann. Die BKK MTU sowie die BKK ZF & Partner stellen für die Vergleichs­gruppe der Untersuchu­ng anonymisie­rte Patientend­aten zur Verfügung. Auch die AOK habe Interesse angemeldet, sagt Ingrid Jörg.

In den 27 Monaten Betrieb rechnet Ingrid Jörg nach derzeitige­m Stand bei einer Verweildau­er von durchschni­ttlich fünf Tagen mit etwa 2500 Patienten. Die letzten drei Monate des Projekts sind für die Auswertung geplant. Sollte das neu entwickelt­e Modell des Medizin Campus und der Stiftung Liebenau Erfolg haben, könne es durchaus sein, so Jörg, dass daraus eine Regelverso­rgung erwachse: „Wir sehen da eine wirkliche Innovation.“

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