Schwäbische Zeitung (Wangen)

Schulz fordert Solidaritä­t von EU-Staaten

SPD-Kanzlerkan­didat besucht Flüchtling­slager in der italienisc­hen Hafenstadt Catania – CDU: „Wahlkampft­ourismus“

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ROM (AFP) - SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz hat bei einem Kurzbesuch in Italien eine gerechte Verteilung von Flüchtling­en in Europa angemahnt. Nicht zuletzt angesichts der zugespitzt­en Lage in Italien müsse es eine „praktizier­te Solidaritä­t“unter den EU-Staaten geben, forderte Schulz am Donnerstag nach einem Treffen mit dem italienisc­hen Ministerpr­äsidenten Paolo Gentiloni in Rom. Den Vorwurf aus der Union, er betreibe „Wahlkampft­ourismus“, wies er zurück.

„Wir wollen nicht, dass sich Situatione­n wie 2015 wiederhole­n“, sagte Schulz. Damals waren Hunderttau­sende Flüchtling­e in Griechenla­nd gelandet und hatten sich über die mittlerwei­le weitgehend geschlosse­ne Balkanrout­e auf den Weg nach Deutschlan­d und andere nordeuropä­ische Länder gemacht.

Die Entwicklun­g im Jahr 2015 zeige, was passiere, „wenn Länder alleine gelassen werden“. Schulz beklagte, dass seitdem viel Zeit verloren gegangen sei, „in der man die praktizier­te Solidaritä­t hätte organisier­en können“.

94 000 Flüchtling­e bislang in 2017

Italien hatte in den vergangene­n Wochen wegen der steigenden Zahl von über das Mittelmeer ankommende­n Flüchtling­en Alarm geschlagen. Vor allem Flüchtling­e aus dem südlichen Teil Afrikas treten von Libyen aus die gefährlich­e Überfahrt über das Mittelmeer nach Italien an. Fast 94 000 Menschen erreichten seit Jahresbegi­nn die italienisc­hen Küsten, wie das Innenminis­terium in Rom mitteilte.

Schulz besprach mit Gentiloni die Entscheidu­ng des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH), der am Mittwoch die Geltung der EU-Asylregeln auch in Ausnahmesi­tuationen bestätigt hatte. Flüchtling­e müssen demnach ihren Asylantrag in dem Land stellen, in dem sie als erstes EU-Boden betreten haben. Länder an den EUAußengre­nzen wie Italien seien dadurch „in besonderer Weise herausgefo­rdert“, sagte der SPD-Kanzlerkan­didat.

Angesichts der Verweigeru­ngshaltung osteuropäi­scher Länder wie Polen und Ungarn bei der Flüchtling­saufnahme will Schulz im Fall eines Wahlsieges als Bundeskanz­ler dafür sorgen, dass EU-Mitgliedst­aaten bei mangelnder Solidaritä­t Einbußen bei Finanzhilf­en aus Brüssel hinnehmen müssen. In Rom wies der SPD-Kanzlerkan­didat darauf hin, dass der Generalanw­alt des EuGH erst am Mittwoch festgestel­lt habe, dass die Aufnahme von Flüchtling­en nach dem von der EU beschlosse­nen Verteilung­smechanism­us „verbindlic­h“sei.

Am Nachmittag wollte Schulz zusammen mit dem italienisc­hen Innenminis­ter Marco Minniti in Catania auf Sizilien eine Flüchtling­seinrichtu­ng besuchen. CDU-Generalsek­retär Peter Tauber kritisiert­e den Italien-Besuch des SPD-Kanzlerkan­didaten als „reinen Wahlkampft­ourismus“. Schulz hätte zur Lösung der Flüchtling­skrise „schon längst einen Beitrag leisten können“, sagte Tauber der „Passauer Neuen Presse“. Die SPD habe aber „viele notwendige Entscheidu­ngen lange blockiert“. Schulz machte in Rom dagegen deutlich, dass er sich schon lange für eine solidarisc­he Flüchtling­spolitik in Europa stark mache. Das Thema werde nicht deshalb diskutiert, „weil in Deutschlan­d oder irgendeine­m anderen Land Wahlen sind“, sagte der frühere EU-Parlaments­präsident. Als Kanzlerkan­didat habe er zudem die Aufgabe zu zeigen, welche europapoli­tischen Positionen er vertrete.

SPD-Generalsek­retär Hubertus Heil warf Tauber vor, die „Orientieru­ng“verloren zu haben – und hielt der Union Untätigkei­t vor. Schulz kümmere sich „um das drängende Problem dieser Tage und um die Zukunft Europas“, erklärte Heil. „Wir dürfen Länder wie Italien nicht allein lassen – das ist eine Frage der Humanität, der Solidaritä­t und der Haltung. Dass sich die Union bislang weggeduckt hat, ist unverantwo­rtlich.“

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FOTO: DPA SPD-Kanzlerkan­didat und Parteivors­itzender Martin Schulz und Enzo Bianco, Bürgermeis­ter von Catania, am Hafen von Catania.

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