Das Navi im Kopf
Londons schwarze Taxis gehören zum Stadtbild wie die roten Busse – aber die Taxifahrer bangen um ihre Existenz
LONDON (dpa) - Sie sitzen in einem Raum voller Stadtpläne und fragen sich gegenseitig die kürzesten Routen von A nach B ab. Während der eine wie in Trance eine Reihe von Straßennamen abspult, zeichnet der andere diese auf der Karte ein und prüft anschließend mit einem Wollfaden die Weglänge. Paul Defendi (36) und Tommy Bartram (31) sind Schüler am Londoner „Knowledge Point“. Dort lernen sie für einen Taxischein, der als schwerster der Welt gilt. Sie wollen Black Cab Driver werden, also Fahrer für die typischen Londoner Taxen.
Diese geräumigen Fahrzeuge gehören zum Stadtbild wie die roten Busse, Big Ben oder das London Eye. Sie tauchen in vielen Filmen auf. Höher als das normale Auto gebaut, nämlich rund 1,80 Meter, sitzen nicht nur große Menschen bequem darin. Sie sind nämlich barrierefrei. Ursprünglich sollte ein Gentleman mit Hut problemlos einsteigen können. Das aktuelle Modell heißt TX4 und ist 4,5 Meter lang. Meist sind die Cabs mit den kugelrunden Frontscheinwerfern schwarz.
Alles ohne Navi
Als Fahrer der Kult-Taxen müssen Defendi und Bartram einen Radius von sechs Meilen, fast zehn Kilometern, rund um das Londoner Stadtzentrum plus vorstädtische Regionen buchstäblich in- und auswendig kennen. Das sogenannte „Wissen“(Knowledge) umfasst rund 320 Routen, 25 000 Straßen und unzählige Orte wie Restaurants und Hotels. Die Schüler fahren jeden Tag bis zu drei Stunden auf dem Roller Routen ab, so lange, bis diese sitzen – ohne Navigationshilfe.
Das Lehrsystem gibt es seit 1950, den „Knowledge Point“als älteste Schule Londons seit 1985. Ein durchschnittlicher Schüler braucht drei Jahre, bis er für die schwierige mündliche Prüfung für das Navi im Kopf bereit ist. „Rund 70 Prozent brechen schon vorher ab“, sagt Lehrer Peter Allen. Er schaffte die Prüfung in nur zwei Jahren und ist seit 2008 ein Black Cab Driver („Cabbie“).
In der Stadt tummeln sich grob geschätzte 25 000 registrierte TaxiFahrer, es gibt um die 6000 schwarze Kult-Taxen. 80 Prozent der Cabbies sind Männer. Jedes Jahr registrieren sich etwa 6500 neue Schüler. „Das sind nur halb so viele wie vor ein paar Jahren. Es ging bergab, jetzt haben wir wieder mehr Anmeldungen“, sagt Allen.
Bergab ging es vor allem wegen des umstrittenen Fahrdienst-Vermittlers Uber, der in der Regel billiger ist als die traditionellen Taxen. Immer wieder kommt es zu Protestfahrten der Cabbies gegen die unliebsame Konkurrenz im Herzen der Stadt.
„Vor einem Jahr waren wir aufgrund hoher Mietpreise und der Konkurrenz durch Uber kurz davor zu schließen“, so Allen. Die London Taxi Company, Produzent der schwarzen Taxen, stellte damals kostenlos Räumlichkeiten zur Verfügung und rettete die Schule. Die Situation der Cabbies rief im Herbst 2016 auch den neuen Bürgermeister Londons auf den Plan. Sadiq Khan sicherte finanzielle Hilfe zu, etwa für neue Taxistände, umweltfreundlichere Fahrzeuge und eine eigene App.
Allen hält das nicht für ausreichend. „Das Problem ist, dass jede Woche Hunderte private Fahrer lizenziert werden. Das Vorgehen muss erschwert werden, wie zum Beispiel mit dem Englischtest.“Den müssen alle privaten Fahrer seit April bei Erwerb oder Erneuerung ihres Scheins bestehen. Das trifft vor allem ausländische Uber-Fahrer.
Dennoch: Das Geschäftsmodell von Uber mit einfachem Bestellen über die App, automatischer Kartenzahlung nach der Fahrt und überwiegend günstigen Tarifen scheint viele Kunden zu überzeugen. Gibt es statt der Wettbewerbsregulierung Dinge, die übernommen werden könnten? „Man kann uns schon lange über Apps wie Gett oder Hailo bestellen, Kartenzahlung ist auch möglich, aber die breite Öffentlichkeit ist sich dessen nicht bewusst“, sagt Allen. Konstant in allen Black Cabs ist die Zahlung per Karte aber erst seit Oktober 2016 möglich.
„Es ist kein fairer Wettbewerb“, findet Paul. „Würde Uber Mindestlohn und mehr Steuern zahlen, dann wären die Preise höher.“Die Cabbies sind sehr stolz auf ihre Zunft. Auch Paul und Tommy haben Taxi-Fahrer in der Familie und schätzen die Selbstständigkeit am Beruf. Um dessen Zukunft wollen sie kämpfen – natürlich nur, falls sie die schwere Prüfung bestehen.