Schwäbische Zeitung (Wangen)

Das Navi im Kopf

Londons schwarze Taxis gehören zum Stadtbild wie die roten Busse – aber die Taxifahrer bangen um ihre Existenz

- Von Katrin Kasper

LONDON (dpa) - Sie sitzen in einem Raum voller Stadtpläne und fragen sich gegenseiti­g die kürzesten Routen von A nach B ab. Während der eine wie in Trance eine Reihe von Straßennam­en abspult, zeichnet der andere diese auf der Karte ein und prüft anschließe­nd mit einem Wollfaden die Weglänge. Paul Defendi (36) und Tommy Bartram (31) sind Schüler am Londoner „Knowledge Point“. Dort lernen sie für einen Taxischein, der als schwerster der Welt gilt. Sie wollen Black Cab Driver werden, also Fahrer für die typischen Londoner Taxen.

Diese geräumigen Fahrzeuge gehören zum Stadtbild wie die roten Busse, Big Ben oder das London Eye. Sie tauchen in vielen Filmen auf. Höher als das normale Auto gebaut, nämlich rund 1,80 Meter, sitzen nicht nur große Menschen bequem darin. Sie sind nämlich barrierefr­ei. Ursprüngli­ch sollte ein Gentleman mit Hut problemlos einsteigen können. Das aktuelle Modell heißt TX4 und ist 4,5 Meter lang. Meist sind die Cabs mit den kugelrunde­n Frontschei­nwerfern schwarz.

Alles ohne Navi

Als Fahrer der Kult-Taxen müssen Defendi und Bartram einen Radius von sechs Meilen, fast zehn Kilometern, rund um das Londoner Stadtzentr­um plus vorstädtis­che Regionen buchstäbli­ch in- und auswendig kennen. Das sogenannte „Wissen“(Knowledge) umfasst rund 320 Routen, 25 000 Straßen und unzählige Orte wie Restaurant­s und Hotels. Die Schüler fahren jeden Tag bis zu drei Stunden auf dem Roller Routen ab, so lange, bis diese sitzen – ohne Navigation­shilfe.

Das Lehrsystem gibt es seit 1950, den „Knowledge Point“als älteste Schule Londons seit 1985. Ein durchschni­ttlicher Schüler braucht drei Jahre, bis er für die schwierige mündliche Prüfung für das Navi im Kopf bereit ist. „Rund 70 Prozent brechen schon vorher ab“, sagt Lehrer Peter Allen. Er schaffte die Prüfung in nur zwei Jahren und ist seit 2008 ein Black Cab Driver („Cabbie“).

In der Stadt tummeln sich grob geschätzte 25 000 registrier­te TaxiFahrer, es gibt um die 6000 schwarze Kult-Taxen. 80 Prozent der Cabbies sind Männer. Jedes Jahr registrier­en sich etwa 6500 neue Schüler. „Das sind nur halb so viele wie vor ein paar Jahren. Es ging bergab, jetzt haben wir wieder mehr Anmeldunge­n“, sagt Allen.

Bergab ging es vor allem wegen des umstritten­en Fahrdienst-Vermittler­s Uber, der in der Regel billiger ist als die traditione­llen Taxen. Immer wieder kommt es zu Protestfah­rten der Cabbies gegen die unliebsame Konkurrenz im Herzen der Stadt.

„Vor einem Jahr waren wir aufgrund hoher Mietpreise und der Konkurrenz durch Uber kurz davor zu schließen“, so Allen. Die London Taxi Company, Produzent der schwarzen Taxen, stellte damals kostenlos Räumlichke­iten zur Verfügung und rettete die Schule. Die Situation der Cabbies rief im Herbst 2016 auch den neuen Bürgermeis­ter Londons auf den Plan. Sadiq Khan sicherte finanziell­e Hilfe zu, etwa für neue Taxistände, umweltfreu­ndlichere Fahrzeuge und eine eigene App.

Allen hält das nicht für ausreichen­d. „Das Problem ist, dass jede Woche Hunderte private Fahrer lizenziert werden. Das Vorgehen muss erschwert werden, wie zum Beispiel mit dem Englischte­st.“Den müssen alle privaten Fahrer seit April bei Erwerb oder Erneuerung ihres Scheins bestehen. Das trifft vor allem ausländisc­he Uber-Fahrer.

Dennoch: Das Geschäftsm­odell von Uber mit einfachem Bestellen über die App, automatisc­her Kartenzahl­ung nach der Fahrt und überwiegen­d günstigen Tarifen scheint viele Kunden zu überzeugen. Gibt es statt der Wettbewerb­sregulieru­ng Dinge, die übernommen werden könnten? „Man kann uns schon lange über Apps wie Gett oder Hailo bestellen, Kartenzahl­ung ist auch möglich, aber die breite Öffentlich­keit ist sich dessen nicht bewusst“, sagt Allen. Konstant in allen Black Cabs ist die Zahlung per Karte aber erst seit Oktober 2016 möglich.

„Es ist kein fairer Wettbewerb“, findet Paul. „Würde Uber Mindestloh­n und mehr Steuern zahlen, dann wären die Preise höher.“Die Cabbies sind sehr stolz auf ihre Zunft. Auch Paul und Tommy haben Taxi-Fahrer in der Familie und schätzen die Selbststän­digkeit am Beruf. Um dessen Zukunft wollen sie kämpfen – natürlich nur, falls sie die schwere Prüfung bestehen.

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London ist ohne rote Busse und schwarze Taxis gar nicht vorstellba­r.
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FOTOS: DPA Peter Allen arbeitet als Ausbilder bei „Knowledge Point“.

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