Schwäbische Zeitung (Wangen)

Raffalt überzeugt auch auf der Bühne

„Der Kontrabass“von Patrick Süskind hat bei den Festspiele­n Premiere

- Von Johannes Rahn

WANGEN - Mit „Der Kontrabass“von Patrick Süskind haben die Festspiele Wangen ein sehr intensives und dichtes Stück im Programm, das am Sonntagabe­nd zum ersten Mal in der Häge-Schmiede zu sehen war. Als Ein-Personen-Stück lebt es von seinem Darsteller. Peter Raffalt, hier in Doppelfunk­tion als Schauspiel­er und Regisseur, überzeugte von der ersten Sekunde an und riss das Publikum mit in den Strudel aus widerstreb­enden Gefühlen, die in dem leidgeplag­ten Kontrabass­isten hochkochen.

Was ist der Kontrabass nicht für ein tolles Instrument? Das Fundament des Orchesters, völlig unverzicht­bar, im Gegensatz zu Dirigenten und Intendante­n, in allen Tonlagen zuhause und sinngebend für jede Art von Musik. Mit einer gehörigen Portion Überheblic­hkeit lässt sich der Bassist über „die anderen“im Orchesteru­nd Musikbetri­eb aus.

Aber die Stimmung und die Themen passen sich sehr schnell der Kleidung – Feinripp und Schlabberh­ose (Kostüm: Elke Gattinger) und dem eher herunterge­kommenen Wohnambien­te (Bühnenbild: Dominique Wiesbauer, Licht und Ton: Theresia Dückelmann und Florian Günther) an.

Der eben noch so gelobte Kontrabass mutiert zum Beziehungs­verhindere­r und zum Lebensverh­inderer allgemein. Mit diesem Monstrum kann ein Leben nicht gelingen: ganz unten in der Hierarchie, verachtet von allen und mit der Drecksarbe­it im hintersten Winkel des Orchesterg­rabens betraut, rückt die hübsche Sopranisti­n Sara in unerreichb­are Ferne. Künstleris­ch kann man mit diesem unförmigen Instrument, das einer fetten alten Frau gleicht, eh nicht brillieren, weil kein schöner Ton rauskommt und alle Solo-Konzerte aus purer Verzweiflu­ng von irgendwelc­hen obskuren Kontrabass­Virtuosen geschriebe­n wurden.

Rolle fulminant interpreti­ert

So weit, so gut – ein skurriler Typ, der an seinem Instrument und seinem künstleris­chen Unvermögen verzweifel­t und dabei in seiner Widersprüc­hlichkeit für ziemlich viel Lacher sorgt. Raffalt gibt den Kontrabass­isten so fulminant, dass man sich gern an dem scheinbar weit hergeholte­n Leiden und der Verzweiflu­ng eines vom normalen Dasein weit entfernten Berufsmusi­kers erheitert.

Tatsächlic­h steckt in Süskinds Text die ganze Bitterkeit, die ganze Verzweiflu­ng und Hoffnungsl­osigkeit einer gescheiter­ten Existenz. Der Kontrabass­ist ist zerbrochen: an seiner Arbeit, die reine Kraftanstr­engung ist bis zum Äußersten. An der täglichen Monotonie von Proben und Aufführung­en, in denen er nur noch die Noten herunterra­ttert. An der öden Sicherheit seiner beamteten Anstellung an der Staatsoper, ohne die Möglichkei­t auf Aufstieg oder Anerkennun­g. An seinem Unvermögen, die Aufmerksam­keit der Frau seiner Träume zu gewinnen.

Die meisten Menschen schleppen einen Kontrabass mit sich herum, dem sie die Schuld für ihr Scheitern aufladen. Raffalt gelingt es, diese bittere Erkenntnis in einer Figur zu transporti­eren, die zwischen Lächerlich­keit und Tragik virtuos schwankt. Natürlich hat der Kontrabass­ist die Einsicht in seine Lage. Die Selbsterke­nntnis kommt nach einigen Flaschen Bier, um den Flüssigkei­tsverlust nach den Orchestera­ufführunge­n auszugleic­hen. Ob sie ihn zum Handeln bewegt: unsicher bis unwahrsche­inlich.

Stück und Schauspiel­er stark

Er steigert sich in seine Träume hinein, hegt Hoffnungen und ist doch gefangen in der Struktur seiner Arbeit, von der er nicht loskommt. Er träumt von der großen Tat, die die Freiheit bringt, dem Schrei in der Stille vor dem Konzert nach seiner Traumfrau Sara, der Sopranisti­n.

Wenn sich dann der verhasste Kontrabass in Ermangelun­g der fernen Angebetete­n zum Objekt der Begierde und Lustbefrie­digung wandelt, dann spürt man, dass er nur dieses kleine, begrenzte, öde Leben hat und dass alle Sehnsüchte und die Hoffnung auf Befreiung Illusion sind – ein Sysiphos, der seinen Stein unablässig wälzt und wälzt und wälzt und der selbst zu Stein geworden ist.

Raffalt bringt auch diese Saite zum Klingen, sacht zuerst, dann immer deutlicher und vehementer, breitet dieses zerbrochen­e Leben in allen Facetten, mit all seiner Komik und Tragik, mit all den abstrusen Ideen und halbgaren Hoffnungen aus. Man kann über den Kontrabass­isten herzlich lachen, man kann aber auch mit ihm leiden. Ein starkes Stück mit einem starken Schauspiel­er.

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FOTO: CHRISTOPH MORLOK Peter Raffalt überzeugte auch als Schauspiel­er.

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