Schwäbische Zeitung (Wangen)

Aus dem Krieg auf die Straße

Viele ehemalige Soldaten leben in den USA als Obdachlose: Der Staat fühlt sich nicht verantwort­lich

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LOS ANGELES (AFP) - Kendrick Bailey steht auf einem schmutzige­n Gehweg im Zentrum von Los Angeles und zeigt seinen Zeltversch­lag. Der Mittsechzi­ger kämpfte jahrelang als Soldat im Vietnam-Krieg, heute lebt er wie Tausende andere Kriegsvete­ranen auf der Straße. „Ich hatte damals keine Ausbildung“, erinnert er sich. „Also bediente ich die Waffen. Manchmal sah man Leute bei Granatenex­plosionen sterben. Es war grauenhaft.“

Bailey gehört zur wachsenden Zahl von ehemaligen Soldaten in Los Angeles, die sich im zivilen Leben nicht zurechtfan­den. „Ich hatte nie einen Job“, erzählt er in der sengenden Sonne Kalifornie­ns. Anfangs habe er bei Freunden auf der Couch geschlafen. Dann rutschte er wie viele andere Ex-Soldaten in einen Teufelskre­is aus psychische­n Traumata, Arbeitslos­igkeit, Alkohol- und Drogensuch­t, in die soziale und familiäre Isolation und schließlic­h in die Obdachlosi­gkeit.

Jetzt campiert er im berüchtigt­en Skid-Row-Viertel mit der größten Konzentrat­ion von Obdachlose­n in den USA: Hier leben 5000 Menschen auf der Straße, meist Schwarze oder Latinos, viele mit psychische­n Erkrankung­en oder Suchtprobl­emen, viele ehemalige Soldaten. Obwohl Amerika seine Helden so gern glorifizie­rt, hat sich die Lage der Kriegsheim­kehrer in den vergangene­n Jahrzehnte­n nicht verbessert.

Laut aktuellen Zahlen schnellte die Zahl der Obdachlose­n 2016 in der Region auf fast 58 000 (um 23 Prozent)nach oben. Darunter sind rund 5000 Kriegsvete­ranen, die höchste Zahl obdachlose­r Ex-Soldaten überhaupt in US-Städten (plus 57 Prozent). Und das, obwohl im Jahr 2016 in der Region Los Angeles rund 3500 ehemaligen Soldaten Wohnraum vermittelt wurde.

„Wir können Veteranen gar nicht so schnell mit Wohnraum versorgen, wie neue Veteranen obdachlos werden“, sagt der darauf spezialisi­erte Juraprofes­sor Gary Blasi an der University of California in Los Angeles. „Das Ergebnis ist vorhersehb­ar, tragisch und - angesichts des Wohlstands und der Militäraus­gaben dieses Landes - skandalös.“

Experten machen den Mangel an erschwingl­ichem Wohnraum bei rasant steigenden Mieten verantwort­lich und werfen der Stadtverwa­ltung vor, Gebäude mit noch moderaten Mieten abzureißen für den Bau von Luxus-Wohntürmen. Hinzu kommt, dass viele Wohnungsei­gentümer nicht an Ex-Militärs vermieten wollen, obwohl der Staat meist als Bürge fungiert. Auch den Personalrü­ckgang im Veterans Affairs-Büro kritisiere­n Aktivisten. Verschiede­ne Verbände wollen die Behörde nun gerichtlic­h zwingen, einen alten Campus umzubauen.

Bürgermeis­terspreche­r Alex Comisar betont auf Anfrage, Los Angeles habe „Hunderte Millionen Dollar in Wohnraum und Dienstleis­tungen für Obdachlose investiert“und kämpfe für „eine Milliarde Dollar weitere Gelder“. Doch Steve Richardson vom Los Angeles Community Action Network wundert sich: „Die Frage, die sich jeder stellt: Wo ist das Geld?“

Viele wohnungslo­se Ex-Soldaten finden sich zudem im Behördends­chungel nicht zurecht. „Ich habe kein Geld auf meiner Kreditkart­e, um meine Geburtsurk­unde aus Texas zu bekommen, also kriege ich keinen Ausweis“, sagt der 33-jährige Joseph Shokrian, seit 14 Monaten obdachlos. „Und ohne Adresse und Ausweis ist es sehr schwierig, zu beweisen, dass ich Militärang­ehöriger war.“

Bußgeldbes­cheid für das Campen

Für das Zelten auf dem Gehweg erhielt Bailey von der Stadtverwa­ltung Bußgeldbes­cheide über insgesamt 1200 Dollar (1073 Euro). „Diese Leute haben für dieses Land gekämpft und kommen zurück und müssen auf dem Boden campieren, als wären sie noch in Vietnam“, klagt Richardson. „Jetzt kämpfen sie nicht mehr in Uniform, sondern gegen die Polizei, die sie hier weg haben will, weil sie schlecht sind fürs Geschäft.“

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FOTO: DPA In vielen Städten, wie hier in Los Angeles, wo Tausende von Obdachlose­n leben, gehören solche Bilder zum Alltag.

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