Aufstand der Geländezwerge
Immer mehr Autohersteller setzen auf Kleinwagen mit SUV-Styling
DUISBURG/SEOUL (dpa) - Kleine SUVs sind offenbar das nächste große Ding der Autobranche: Nachdem mittlerweile fast jeder Hersteller einen Geländewagen oder Crossover in der Kompaktklasse im Programm hat, stellen jetzt immer mehr Anbieter auch ihre Kleinwagen auf Stelzen. Denn der Markt für solche Geländezwerge soll gewaltig wachsen: „Wir gehen davon aus, dass die SUVs im BSegment die sogenannten C-SUVs bis zum Ende der Dekade überholen werden“, sagt zum Beispiel Kia-Europachef Michael Cole und rechnet mit nahezu einer Verdoppelung der Zulassungszahlen. Und weil von diesem Anstieg jeder profitieren will, rollt allein in dieser Saison ein halbes Dutzend neuer Modelle in den Großstadtdschungel.
Getragen wird dieser Trend von einem Wertewandel bei den Kleinwagen, sagt Automobilwirtschaftler Ferdinand Dudenhöffer: In den 1980er- und 1990er-Jahren seien VW Polo oder Ford Fiesta in diesem Segment noch das Maß der Dinge gewesen, sagt der Professor an der Universität Duisburg-Essen. „Doch dann kam die Industrie auf den Trichter, dass klein nicht auch einfach und billig sein muss, und hat Nobelzwerge wie den Audi A1 oder kunterbunte Lifestyle-Flitzer wie den Fiat 500 und den Mini gebracht.“Und jetzt gebe es mit dem SUV plötzlich die Kombination von Praktikabilität und Emotion: „Viel Platz auf kleinstem Raum auch fürs Sportgerät, schickes Design mit einem Hang zum Abenteuer“, sagt Dudenhöffer, „und dazu viele ältere Autokäufer, die es subjektiv sicherer und ergonomisch einfacher haben – schon hat man lauter Kleinwagen mit SUV-Styling.“
Ganz vorne dabei: die Koreaner. Nahezu gleichzeitig bringen die Schwestermarken Hyundai und Kia im Herbst zwei kleine Geländewagen an den Start. Beide um die 4,20 Meter lang, teilen sie sich nicht nur die Plattform, sondern auch die Philosophie: Beide sind nämlich für koreanische Modelle ungewöhnlich expressiv gezeichnet. Und beide setzen auf sehr viele, sehr bunte Farbkombinationen und poppige Individualisierungen im Innenraum, versprechen die Hersteller. Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied: Während es Hyundai bei seinem Kona nach Angaben von Chairman Wonhee Lee ernst meint mit den Gelände-Genen und deshalb auch Varianten mit Allradantrieb anbietet, kommt der Kia Stonic laut Hersteller zunächst nur als Fronttriebler. Außerdem reicht die Motorpalette bei Hyundai bis 177 PS, während Kia schon bei 120 PS Schluss macht.
Ebenfalls ganz vorn auf der Welle reiten die bei SUV bislang eher zurückhaltenden
Franzosen: Peugeot und Renault haben mit 2008 und Captur bereits entsprechende Modelle im Rennen. Diese wurden mit Blick auf die neuen Konkurrenten gerade gründlich überarbeitet. Und als Dritter im Bunde kommt jetzt Citroën dazu. Dort wird der kleine Van C3 Picasso in diesem Herbst vom neuen C3 Aircross ersetzt, der ebenfalls mit erhöhter Bodenfreiheit und robuster Plastik-Beplankung antritt. Allerdings legt Citroën-Chefin Linda Jackson Wert darauf, dass der Aircross ansonsten kein typischer SUV sei. Erstens, weil ihm der Allradantrieb fehle. Und zweitens, weil er weder
Trutzburg noch Aggressor sein wolle. Sein Design ist betont weich und freundlich. Innen geht es eher um Komfort und Wohlbefinden als um den Straßenkampf, der sonst so gerne im Großstadtdschungel tobt. Entspannung, nicht Anspannung – so lautet das Motto der Franzosen.
Die deutschen Hersteller haben diesen Trend lange Zeit verschlafen. Audi Q2 und Mini Countryman sind wahrscheinlich zu groß und zu teuer für die breite Masse. Nur Opel hat sich mit dem Mokka X so früh so gut aufgestellt, dass sich die Hessen nun sogar eine Doppelspitze leisten können. Denn wem der im vergangenen
Herbst aufgefrischte Mokka X zu groß, zu teuer und zu nah am echten Geländewagen ist, dem bieten sie ab 16 850 Euro nun auch den etwas kleineren und abseits der Straße weniger ambitionierten Crossland X an. Als Nachfolger des Meriva ist er trotz des robusten Auftretens im Herzen noch immer ein Van in trendiger Verkleidung, der innen eine variable Bestuhlung und einen großen Kofferraum aufweist.
Auch der VW-Konzern bläst zur Offensive. Den Anfang macht die spanische Tochter Seat, die dem erfolgreich gestarteten Ateca zum Jahreswechsel den Arona zur Seite stellt. Mit einer Länge von 4,14 Metern überragt er den neuen Ibiza um acht Zentimeter, ist aber vor allem zehn Zentimeter höher als der konventionelle Kleinwagen, teilt der Hersteller mit. So bietet er nicht nur mehr Platz und einen mit 400 Liter größeren Kofferraum, sondern auch ein erhabenes Fahrgefühl und den besseren Überblick.
Dabei wird es allerdings nicht bleiben. Sondern auf der gleichen Plattform will auch die Muttermarke in diesem Boom-Segment mitmischen. Deshalb hat VW für die Internationale Automobilausstellung (IAA) im September in Frankfurt bereits die Publikumspremiere eines kleinen Tiguan-Bruders angekündigt, der sich an der Studie T-Roc orientieren soll. Und während bei Seat derzeit von Allradantrieb noch keine Rede ist, stellt VW-Entwicklungschef Frank Welsch für das Modell aus Wolfsburg auch die 4Motion-Varianten in Aussicht.
Marktbeobachter Dudenhöffer wundert sich nicht über die Schwemme der SUV-Zwerge: „So wie alle Welt vom Erfolg der kleinen Premium-Modelle á la Mini überrascht wurde, machen nun ein Tick Ironman und das Gelände-Feeling die kleinen SUVs zum next big thing“, sagt er. Und da ist nach seiner Meinung noch viel Spielraum: Denn auch bei den kleinen SUVs könne man den Crossover-Gedanken weiterspinnen und sich noch viele spannende Karosserievarianten vorstellen. „Wer sagt denn, dass nicht bald auch die SUV-Coupés, die SUV-Cabrios oder gar die elektrischen Crossover eine Nummer kleiner werden?“
„Dann kam die Industrie auf den Trichter, dass klein nicht auch einfach und billig sein muss.“Automobilwirtschaftler Ferdinand Dudenhöffer über den Wertewandel bei Kleinwagen