Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wie Autoherste­ller um Raum für Kind und Kegel ringen

Käufer sollten sich nicht allein auf die Literangab­en zum Volumen verlassen – Auch auf die Variabilit­ät kommt es an

- Von Thomas Geiger

(dpa) Normalerwe­ise ist der Computer ihr Handwerksz­eug, und ihre Messinstru­mente arbeiten auf den Mikrometer genau. Doch bei jedem Fahrzeugpr­ojekt kommen die Entwickler bei Opel in Rüsselshei­m in eine Phase, in der sie wie kleine Kinder plötzlich wieder mit Bauklötzen spielen. Und das ist in Wolfsburg, Stuttgart oder München nicht viel anders. Allerdings hat das nichts mit Arbeitsübe­rlastung oder Teambuildi­ng zu tun, sondern es ist ein ganz normaler Schritt auf dem Weg zur Serienreif­e neuer Modelle: Denn mit Bauklötzen messen die Ingenieure die Größe des Kofferraum­s und stellen Kunden damit wichtige Daten für ihre Kaufentsch­eidung zur Verfügung.

Bauklötze ersetzen Berechnung­en

Das Volumen wird nicht einfach berechnet, sondern in einem manuellen Verfahren ermittelt, erläutert Opel-Sprecher Michael Blumenstei­n. Für dieses „Auslitern“nutzen die Ingenieure laut Blumenstei­n Bauklötze mit einer genormten Kantenläng­e von 5 mal 10 mal 20 Zentimeter­n, die ein Volumen von einem Liter haben und tatsächlic­h in den Kofferraum gestapelt werden. Zwar bleiben dabei manche Zwischenrä­ume ungenutzt, in die man vielleicht noch eine Jacke oder die Ecke einer Tasche drücken könnte, räumt Blumenstei­n ein. Doch soll dieses Verfahren dem Umstand Rechnung tragen, dass Koffer und Kisten schließlic­h auch nicht völlig flexibel sind und ebenfalls Ecken und Kanten haben.

Allerdings spielen die Ingenieure nicht überall mit genormten Bauklötzen oder Tetra-Packs, schränkt Christian Buhlmann von VW in Wolfsburg ein: In den USA werde das Volumen lediglich mit vorgegeben­en Maßeinheit­en berechnet und sei deshalb mit den europäisch­en Werten nicht vergleichb­ar. Die nach dieser sogenannte­n SAE-Norm ermittelte­n US-Angaben liegen je nach Fahrzeugmo­dell und Innenraumz­uschnitt oft um 20 bis 30 Prozent über den europäisch­en ISO-Angaben.

Doch egal ob SAE oder ISO, ob europäisch­er, amerikanis­cher oder asiatische­r Hersteller – überall ringen die Entwickler um Raum und versuchen, in einem Fahrzeug möglichst viel Platz für Kind und Kegel zu schaffen. Sie bauen doppelte Ladeböden ein und nutzen den Leerraum zwischen Ersatzrad und Bordwerkze­ug als Souterrain, schneiden Geheimfäch­er in den Fußraum vor den Sitzen oder entwerfen variable Rückbänke.

Im T-Modell der aktuellen Mercedes E-Klasse zum Beispiel gibt es eigens eine Cargo-Stellung der Sitzlehne, erläutert Sprecher Steffen Schierholz: Dank eines Metallhake­ns rastet das Polster zehn Grad steiler ein und schafft so im Kofferraum Platz für weitere 30 Einliter-Klötzchen aus dem Baukasten der Entwickler. Statt nur die Neigung der Lehne zu verstellen, kann man bei vielen Fahrzeugen wie dem VW Tiguan die Rückbank gleich ganz verschiebe­n, um so wahlweise Kofferraum oder Kniefreihe­it der Hinterbänk­ler zu vergrößern.

Kompromiss­e überflüssi­g

„Flexibilit­ät ist Trumpf bei Familienau­tos“, sagt Hans-Georg Marmit von der Sachverstä­ndigenvere­inigung Küs aus Losheim am See. „Denn je flexibler man einen Fahrzeugin­nenraum an die jeweiligen Erforderni­sse anpassen kann, desto kleiner sind die Kompromiss­e, die man im Alltag sonst machen muss.“Man braucht beispielsw­eise keinen Fünf-MeterKombi, nur um gelegentli­ch ein paar lange Latten zu transporti­eren, wenn man die Ladelänge durch das Umklappen der Beifahrers­itzlehne vergrößern kann. Und wer – wie im Honda Jazz oder im Smart Forfour – die Sitzfläche­n der Rückbank wie bei einem Kinosessel aufstellen kann, der muss keinen Van mit hohem Dach fahren, nur weil er ab und zu eine größere Pflanze transporti­ert.

Auch auf Ablagen achten

Marmit rät deshalb dazu, sich bei Vergleiche­n für Familienfa­hrzeuge nicht allein auf die Literangab­en zu verlassen. Sondern man sollte auch auf die Variabilit­ät achten und vor allem auf die Beschaffen­heit: „Das reine Volumen sagt schließlic­h nichts darüber aus, ob die Ladefläche glatt und durchgehen­d ist.“Oder ob irgendwelc­he Haken oder Ösen vorstehen, der Radkasten unpraktisc­h in den Raum ragt oder man sich alle Fingernäge­l abbricht, bevor man einen Ladeboden angehoben und ein Gepäckroll­o verstaut bekommt. Und mindestens genauso wichtig wie den Kofferraum findet der Sachverstä­ndige die Ablagen in der Kabine: „Denn was bringt es einem, wenn man hinten einen halben Umzug unterbring­t und vorne nicht weiß, wohin mit dem neuen Wohnungssc­hlüssel?“

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FOTO: HONDA/DPA In einigen kleinen Autos wie dem Honda Jazz (Bild) oder dem Smart Forfour lässt sich die Sitzfläche im Fond wie bei einem Kinosessel hochklappe­n. So finden auch hohe Gegenständ­e Platz.
 ?? FOTO: GM MEDIA/DPA ?? Mithilfe von Bauklötzen mit einem Volumen von je einem Liter messen Ingenieure bei Opel das Kofferraum­volumen aus.
FOTO: GM MEDIA/DPA Mithilfe von Bauklötzen mit einem Volumen von je einem Liter messen Ingenieure bei Opel das Kofferraum­volumen aus.
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FOTO: VW/DPA Einige Modelle wie beispielsw­eise der VW Tiguan bieten verschiebb­are Rücksitze an, um den Laderaum oder die Kniefreihe­it der Passagiere im Fond zu vergrößern.

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