Walkürenritt im Weltkrieg
Uraufführung von Albert Ostermaiers „Glut“bei den Wormser Nibelungen-Festspielen
WORMS - Der Nibelungenmythos findet sein tödliches Ende im Gemetzel am Hof des Hunnenkönigs Etzel. Dort nimmt Kriemhild Rache für den Meuchelmord an Siegfried. Das ist auch jetzt wieder so, da Albert Ostermaier sich von Worms verabschiedet und die Nibelungen mitten in den Ersten Weltkrieg rund um den Persischen Golf platziert. Nuran David Calis inszenierte die vielschichtige Nibelungen-Überschreibung vor dem Wormser Dom. Die Szenerie ist imposant, die Handlung eher unübersichtlich.
Lawrence von Arabien war nicht anwesend, um die arabischen Wüstenstämme gegen die Osmanen und das Deutsche Reich in den Krieg zu führen. Wäre er da gewesen, hätte er sich gemütlich zurücklehnen und zusehen können, wie einer seiner Gegenspieler genau dasselbe versucht, nur eben mit umgekehrten Vorzeichen. Albert Ostermaiers „Siegfried von Arabien“, so der Untertitel von „Glut“, ist ein gewisser Leutnant Stern. Den hat es tatsächlich gegeben. Er war 1915 in geheimer Mission unterwegs und sollte die von England kontrollierten persischen Ölpipelines sabotieren, gleichzeitig die Schiiten mit den Sunniten vereinen und in den Kampf gegen die Kriegsgegner Deutschlands führen: die Entente der Siegermächte, Frankreich, Italien, England, USA. Wüst waren die Nibelungen schon immer, in der neuesten Wormser Deutung der Sage tummeln sie sich nun auch in der Wüste.
Die Geschichte rund um den deutschen Sabotage-Leutnant auf Wüstenmission ist belegt und markiert einen Ausgangspunkt der krisenhaften Zuspitzungen, die die Welt heute im Nahen Osten erlebt. Albert Ostermaiers beherzter Griff in die historische Rumpelkiste ist nachvollziehbar, schließlich ruhen dort die Geschichten, die belegen, wie die Europäer vor ziemlich genau 100 Jahren die arabische Welt aufteilen wollten und mit verantwortlich dafür wurden, dass diese Weltregion heute in Flammen steht. Dass „Glut“als Erzählung grundsätzlich funktioniert, liegt daran, dass die geheime SternMission sich gut mit der Reise der Nibelungen in den Tod fügt. Ostermaier veknüpft beide Geschichten nahtlos. Er hat aus „Glut“aber auch ein Spiel auf so vielen Ebenen gemacht, dass man sich auf den einzelnen Etagen verlaufen kann.
Ein Spiel im Spiel
Leutnant Sterns Sabotagetruppe etwa tarnt sich als Gauklertruppe und tut so, als wolle man in Persien eine Kurzversion der „Nibelungen“aufführen. Da ist nicht nur der Walkürenritt im Weltkrieg, sondern darüber gestülpt ein Spiel im Spiel. Und als sei das nicht genug, wartet das Stück mit einem überbordenden Figurenensemble und so illustren Gestalten wie einem englischen Major (Waldemar Kobus spielt das eher gemütlich), französischen Waffenhändler (Davis Bennent grinst abgründig in die Kamera) und einer Lady Adler zu Stahl auf (Valerie Koch will so böse sein, dass sich das ziemlich nett anfühlt). Sie ist Dokumentarfilmerin, erinnert an Leni Riefenstahl und sorgt für ein zweites Spiel im Spiel. So kennt man Albert Ostermaier: Er ist ein Metaphern-Meister, türmt voluminöse Sprachbilder und verknüpft Erzählfäden labyrinthisch.
Die Antwort auf die Frage, wo bitte der Ausgang aus dem Labyrinth sein könnte, ist ernüchternd: Es gibt keinen. „Glut“ist ein überambitioniertes Verwirrspiel, auf das Uraufführungsregisseur Nuran David Calis einigermaßen schlüssig reagieren konnte. Er inszeniert Erzählfragmente und versucht erst gar nicht alle Andeutungen im Text szenisch zu interpretieren. Gespielt wird auf einer Sandbühne vor der Attrappe eines Orientexpresses. Da versucht Leutnant Stern (Till Wonka spielt den Ersten-Weltkrieg-Siegfried zurückhaltend) aus seiner Sabotagetruppe eine Shakespearsche Laienspieltruppe zu machen, während Doppelagentin Kriemhild, alias Gräfin Falke (Dennenesch Zoudé steht wie ein Mahnmal des Hasses auf der Dombühne), im Zelt von Scheich Omar (TatortKommissar Mehmet Kurtulus ist ein würdevoller Muslim-Etzel) auf die Stunde der Rache wartet.
Sie wird kommen, zuvor erklingen vor dem imposanten Wormser Dom aber zum ersten Mal Fragmente aus Richards Wagners „Ring des Nibelungen“. Es singen die Sopranistinnen Nadja Michael/Venicia Sandria Rasmussen und der Tenor Bassem Alkhouri. Eine siebenköpfige Band verleiht dem Mini-Bayreuth am Wormser Rhein einen charmanten orientalischen Touch. Auch die Gesangspassagen stellt Nuran David Calis aus, als habe er sagen wollen: Seht her, noch so ein Ereignis im ansonsten nicht wirklich ereignisarmen Wormser Nibelungensommer.