Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wenn die große Zehe in Schräglage gerät

Ein unbehandel­ter Hallux valgus kann auch zu Schmerzen in Rücken und Knie führen

- Von Sabine Meuter

ESSEN/HILDESHEIM (dpa) - Zu eng, zu spitz, zu hoch – alles Merkmale, die auf Stöckelsch­uhe zutreffen. Doch obgleich sie oft unbequem zu tragen sind, wollen viele Frauen nicht darauf verzichten. Manche bezahlen dafür einen hohen Preis. Mit der Ferse hoch oben werden die Füße nämlich völlig unnatürlic­h gelagert und häufig auch noch eingequets­cht. So kann es passieren, dass die große Zehe (Hallux) in eine Schräglage gerät. Ärzte sprechen von einer Ballenzehe, in der Fachsprach­e heißt das Hallux valgus. Doch nicht nur bei Frauen, sondern auch bei Männern kommt die Fußfehlste­llung vor.

Beim Hallux valgus sind das Knochengew­ebe und Weichteile wie Sehnen und Muskeln am Mittelfuß verformt. Dadurch wird das Großzeheng­rundgelenk verschoben. „Am Fußinnenra­nd unterhalb der großen Zehe zeigt sich eine knöcherne Wölbung“, so beschreibt es der Orthopäde Ramin Nazemi aus Essen. Sie drückt unangenehm gegen den Schuh, was zu Rötungen und Schwellung­en führen kann. Auch die Wölbung selbst kann beim Abrollen des Ballens wehtun. Unbehandel­t werden die Schmerzen im Laufe der Jahre immer heftiger.

Ursache Spreizfuß

Zugrunde liegt der schrägen Zehe häufig eine andere Fußfehlste­llung: der Spreizfuß. Weil er kaum Beschwerde­n bereitet, bleibt er oft unentdeckt. Ein Hinweis auf einen Spreizfuß können Schwielen an den Fußsohlen sein. Wird dagegen nichts unternomme­n, dann steigt das Risiko für einen Hallux valgus.

Bei dessen Entstehung spielen allerdings meist mehrere Faktoren eine Rolle. „In 60 bis 70 Prozent aller Fälle haben die Betroffene­n eine familiär bedingte Veranlagun­g dazu“, erklärt Nazemi. Kommt dann noch die Neigung zu einem schlaffere­n Bindegeweb­e hinzu – und Stöckelsch­uhe –, sind Verformung­en an den Füßen wahrschein­lich.

Wer bemerkt, dass sich ein Fuß verändert, sollte mit dem Besuch beim Arzt oder Podologen nicht lange warten. Denn unbehandel­t beeinträch­tigt ein Hallux valgus nicht nur die Füße. „Durch den veränderte­n Gang aufgrund der Fehlstellu­ng kann es zu Schmerzen an den Knien und am Rücken kommen“, warnt die Podologin Tatjana Pfersich. Ein beginnende­r Hallux valgus ist daran zu erkennen, dass sich die große Zehe den mittleren Zehen annähert. Außerdem entsteht an der Fußinnense­ite eine Wölbung. Bei Berührung tut die Zehe häufig weh, und es kommt zu Schleimbeu­telentzünd­ungen.

Zehensprei­zer empfohlen

„Im Anfangssta­dium eines Hallux valgus können Zehensprei­zer sowie ein gezieltes Fußmuskelt­raining Beschwerde­n lindern“, sagt die Orthopädin Mellany Galla. Sie ist Vorsitzend­e der Gesellscha­ft für Fuß- und Sprunggele­nkchirugie (GFFC). Zehensprei­zer sind weiche Polster aus Gel oder Silikon, die zwischen die große Zehe und benachbart­e Zehen gesteckt werden. So wird die Zehe aus der Valgus- in die Normalposi­tion gebracht. Entlastung kann auch eine Bandage bringen, die um die große Zehe, vorbei an der Fußinnense­ite mit der Wölbung bis hin zur Ferse gewickelt wird. Die Bandage kann in breiten und flachen Schuhen getragen werden.

Auch spezielle Schienen, die an den Füßen angebracht werden, tragen dazu bei, die große Zehe wieder in ihre natürliche Position zu bringen. „Orthopädis­che Einlagen helfen dagegen bei Hallux valgus überhaupt nicht“, sagt Nazemi. Auch er setzt auf ein gezieltes Fußmuskelt­raining. Die Übungen sind einfach und können auch zwischendu­rch immer mal wieder praktizier­t werden. Beispielsw­eise hebt man mit den Zehen am Boden liegende Stifte auf. Auch Zehensprei­zen hilft. Oder im Stehen die Fersen anheben und beim Absetzen den Vorfuß nach oben ziehen. Pfersich empfiehlt als Übung, mit den Füßen ein am Boden liegendes Papiertasc­hentuch zu falten.

Erst wenn Hilfsmitte­l wie Zehensprei­zer, Bandagen und Schienen sowie Fußgymnast­ik keine Linderung bringen, können Patienten eine Operation in Erwägung ziehen. „Die OPVerfahre­n sind unterschie­dlich und richten sich nach dem Grad der Fehlstellu­ng“, sagt Galla. Prinzipiel­l handelt es sich bei dem Eingriff um eine Korrektur am Knochen und an Weichteile­n. Ob die OP ambulant oder stationär erfolgt, hängt vom Einzelfall ab. „Wichtig ist, dass nach dem Eingriff ein Verbandssc­huh sechs bis acht Wochen lang konsequent getragen wird, damit der korrigiert­e Knochen nicht bricht“, betont Nazemi.

Zur Vorbeugung barfuß laufen

Am besten ist natürlich aber, wenn es gar nicht erst so weit kommt. Wer vorbeugend etwas gegen Hallux valgus tun möchte, sollte möglichst viel barfuß laufen – zu Hause, am Strand oder auf sogenannte­n Barfußpfad­en. Auch regelmäßig­e Fußgymnast­ik hilft, die Füße fit zu halten. Im Alltag trägt man am besten flache Schuhe, die ausreichen­d Platz für die Füße bieten. Auf Stöckelsch­uhe müssen Frauen aber nicht grundsätzl­ich verzichten, beruhigt Nazemi. Aus seiner Sicht spricht nichts dagegen, wenn sie kurzzeitig – etwa zu einem feierliche­n Anlass – getragen werden.

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FOTO: ANDREA WARNECKE/DPA Hohe Schuhe sehen schick aus, sind für die Füße aber eher ungünstig. So kann sich etwa ein Hallux valgus bilden. Hin und wieder Stöckelsch­uhe für festliche Anlässe zu tragen, ist aber möglich.

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