„Der größte Fehler ist, Gott in den einfachen Menschen zu übersehen“
Interview mit dem evangelischen Pfarrer Rainer Maria Schießler aus München – Er stellt heute Abend sein Buch vor
ROGGENZELL - Der Münchner Pfarrer Rainer Maria Schließer stellt heute Abend, 9. August, um 20 Uhr in der Turn-und Festhalle Neuravensburg sein Buch „Himmel - Herrgott - Sakrament: Auftreten statt Austreten“vor. Redakteurin Nicole Möllenbrock hat sich mit ihm im Vorfeld getroffen.
Wie ist es dazu gekommen, dass Sie am 9. August hier bei uns in der Region in Roggenzell Ihr Buch vorstellen? Gibt es eine Verbindung?
Die Region Roggenzell ist schon wie ein vertrautes Kind für mich. Seit Jahren feiere ich in Scheidegg beziehungsweise vorher in Roggenzell Anfang August die Laurentiusmesse mit den Köchen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Diese Messe ist etwas ganz besonderes. Ich habe in diesen Jahren sehr wertvolle und liebenswürdige Menschen kennenlernen dürfen. Daher habe ich die Einladung zu einer Lesung in Roggenzell sofort angenommen. Irgendwie passt da alles: die Jahreszeit im Sommer, die wunderbare Landschaft, das Allgäu und die liebenswerten Menschen.
Sicherlich waren Sie schon im Allgäu: Was schätzen Sie an den Menschen hier?
Es ist vor allem der einfache, unverfälschte Menschenschlag, der mich so anspricht. Als Kind waren wir mit der Familie öfters in Hindelang zum Urlaub in einem Posterholungsheim. Das Allgäu bedeutet für mich Natur, Offenheit, Gemeinschaft und Bodenständigkeit. Dass ich mir beim Skifahren als 12-jähriger Bub in Hindelang einmal den Fuß gebrochen habe, auch das habe ich mittlerweile positiv in meiner Erinnerung eingeordnet. Wer wird schon nachtragend sein?!
Nun zu Ihrem Buch: „Himmel – Herrgott – Sakrament: Auftreten statt Austreten“– worum geht es?
Es geht um die Ermutigung angesichts unglaublich hoher Austrittszahlen, sich zu überlegen: Was be- deutet Kirche eigentlich für mich? Kann man einfach so aufgeben, was andere mir anvertraut haben in der Taufe? Braucht eine Gemeinschaft nicht eher meine Kritik, meine Ideen und meine neuen Vorstellungen, anstatt dass ich sie verlasse? Dies stelle ich auch an Hand meiner Geschichte mit dieser Kirche dar.
Wie sieht es in Ihren beiden Heimatgemeinden mit den Kirchenaustritten aus?
In meinen beiden Stadtgemeinden in München sind die Austrittszahlen genauso groß wie in anderen Gemeinden. Wir sind da keine Ausnahmen. Aber der Umgang mit diesen Menschen ist vielleicht anders: Wir klagen nicht an und verurteilen nicht. Wir suchen das Gespräch und wollen versöhnen. Daher haben wir auch höhere Eintrittszahlen als anderswo.
Sie sind als unkonventioneller Pfarrer bekannt: Welche Reaktionen erhalten Sie?
Erleichterte, hätte ich beinahe gesagt. Menschen sind erstaunt, dass Kirche so unmittelbar und direkt, einfach und verständlich, unkompliziert und einladend sein kann. So stelle ich mir Kirche vor und so will ich Kirche für andere sein.
Sie vertreten Ihre eigene Meinung zum Zölibat, zum Thema römischkatholischer Pfarrer und zum Thema Frauen: Wie kommt das bei Ihren Vorgesetzten an?
Fragen Sie meine Vorgesetzten. Ich jedenfalls fühle mich nicht als Revoluzzer, sondern als Diener des Evangeliums. Wenn mir meine Vorgesetzten nachweisen, dass ich gegen das Evangelium spreche, dann werde ich das sofort ändern. Aber der Zölibat, um den es hier geht, der ist Kirchengesetz, nicht Evangeliumsbotschaft. Darum sagt schon Paulus: Prüft alles, das Gute behaltet!
Ein Zitat von Ihnen ist: „Ich habe den lieben Gott in manchen Kneipen besser kennengelernt, als in manchen Bibelkreisen.“Sind Sie aus dem Grund als Bedienung aufs Oktoberfest gegangen?
Nein. Ich wollte nur mal auf der Wiesn arbeiten. Es war ein reines Experiment, aus dem Geschichte geworden ist. Aber die Gespräche in einer Kneipe gibt es ja ganzjährig und die sind wirklich manchmal extrem gut.
Verraten Sie uns Ihr LieblingsSprichwort, nach dem Sie handeln?
"Willst du den lieben Gott treffen, dann such ihn am Straßenrand! Sein Herz schlägt knapp über dem Straßenpflaster!" Der größte Fehler, den wir Kirchenleute machen können, ist, Gott in den einfachen Menschen zu übersehen.