Syrien bräuchte deutlich mehr medizinische Hilfe
Das hat Adnan Wahhoud am Beispiel einer Frau erlebt, die ihr Baby nachts auf der Straße zur Welt brachte
LINDAU - Alle sechs bis acht Wochen fährt der Lindauer Adnan Wahhoud in sein Geburtsland Syrien, um dort persönlich nach den von ihm gegründeten Ambulanzen zu schauen. Seine jüngste Reise bezeichnet der Deutsch-Syrer nach seiner Rückkehr nach Lindau als „schwierig“. Zwar halte der Waffenstillstand einigermaßen. Doch das Land sei so zerstört, dass es an vielem fehle – allem voran ausreichend medizinische Versorgung. Das hat Wahhoud an einem dramatischen Fall erlebt. Die Arbeit der Medical Points hatten die LZ-Leser in der Weihnachtsspendenaktion der Schwäbischen Zeitung mit über 4000 Euro unterstützt.
Die Spendengelder aus Lindau und dem Verbreitungsgebiet der Schwäbischen Zeitung hat Adnan Wahhoud zwar auch für die ebenfalls von ihm aufgebaute Waisenhilfe verwendet. Der Großteil der 4040 Euro ist jedoch in jene vier (von insgesamt sieben) Ambulanzen zwischen Aleppo und Idlib geflossen, die den Zusatz „Lindau“im Namen tragen. In jeder Ambulanz kümmern sich ein Arzt, weitere medizinische Angestellte und ein Apotheker um die Menschen, die trotz des Bürgerkriegs in ihrer Heimat ausharrten.
Den medizinischen Bedarf wie Medikamente, Impfstoffe, Verbands- material besorgt Wahhoud in Syrien und finanziert dies überwiegend mit Spendengeldern. Die Behandlung in den Medical Points ist grundsätzlich kostenlos. Allerdings steigen die Medikamentenpreise in Syrien deutlich: Für den Einkauf im Juni hat Wahhoud über 13 000 US-Dollar bezahlt.
Ein Vorfall Ende Juli hat dem Lin- dauer jedoch erneut gezeigt, wie wichtig Ambulanzen sind: Eine Hochschwangere habe nachts letztlich ihr Kind auf der Straße zur Welt gebracht, weil weder Krankenhaus noch Arzt erreichbar gewesen seien, schildert Wahhoud im Gespräch mit der LZ. Die Frau habe sich dann mit ihrem neugeborenen Mädchen namens Kinda zu einem Medical Point geschleppt, wo sie in der Früh der erste eintreffende Mitarbeiter fand. „Natürlich hat das Team die Frau und ihr Kind sofort versorgt“, berichtet Wahhoud. Dann seien beide in das nächstliegende und doch für Menschen ohne Auto schwer erreichbare Krankenhaus gebracht worden.
„Beide sind inzwischen wohlauf“, freut sich der Lindauer. Und natürlich hat Wahhoud die Familie noch unterstützt, sowohl für Kinda als auch die drei älteren Geschwister Kleidung organisiert und der Mutter etwas Geld gegeben, da sie ihre Kinder allein versorgen muss.
Kein Ersatz für zerbombte Kliniken
Doch so sehr ihn auch solche Erlebnisse schmerzen: Seine Ambulanzen können nicht die zahlreichen zerbombten Kliniken im Nordwesten Syriens ersetzen. Die Medical Points sind in der Regel vier Stunden am Tag geöffnet. „Mehr können wir nicht finanzieren“, bedauert Wah- houd, der vor dreieinhalb Jahren die Lindauhilfe für Syrien gegründet hat.
Über die Arbeit der sieben Ambulanzen führt Wahhoud akribisch Buch. So weiß er, dass die Ärzte dort im Juli über 10 000 Patienten ver- sorgt haben. In Yakobiya waren fast 90 Prozent Kinder, auch in Khan Alassal ist der Anteil der kleinen Patienten mit 84 Prozent äußerst hoch.
Wie sehr die jungen Syrer unter den Kriegsfolgen leiden, zeigt eine Zahl: Wahhouds Waisenhilfe unterstützt inzwischen 262 Kinder, deren Väter verschollen oder tot sind.