Vom Glück des Seins
Leben mit dem Down-Syndrom – Warum Eltern Bluttests zur Früherkennung ablehnen
ERISKIRCH - Höher, schneller, weiter: Das Streben nach Erfolg, nach Perfektion in allen Lebensbereichen gewinnt in unserer heutigen Gesellschaft offenbar immer mehr an Bedeutung. Ist in einer solchen Gesellschaft noch Platz für Menschen, die anders sind, die nicht alles können, die eben keine perfekt funktionierenden Maschinen sind? Diese Sorge treibt Menschen wie Sandra Schermann aus Eriskirch und Simone Kekeisen aus Uhldingen-Mühlhofen um. Beide haben Kinder mit Down-Syndrom, beide teilen die Befürchtung, dass Mädchen und Jungs wie ihre beiden schon bald gar nicht mehr geboren werden. Anlass dieser Sorge: die seit Herbst 2016 laufenden Beratungen, ob die Kosten für Bluttests zur Früherkennung des Down-Syndroms während einer Risikoschwangerschaft künftig von den Krankenkassen übernommen werden.
Simon ist ein sehr höflicher kleiner Mann. Besucher begrüßt er freudestrahlend mit Handschlag. Und wenn sie ihm sympathisch sind, gibt’s eine herzliche Umarmung noch dazu. Simon wird im November fünf und mag all das, was Jungs in seinem Alter eben so mögen: Bagger, Feuerwehr, Lego, Tiere, Bilderbücher. Und ganz besonders mag er Musik. Dennoch ist Simon ein besonderer Vierdreivierteljähriger. Er leidet am Down-Syndrom.
Er „leidet“? „Nein“, sagt seine Mama Sandra Schermann, die es richtig ärgert, wenn diese Formulierung mal wieder in einem Zeitungsartikel verwendet wird – oder noch schlimmer: wenn sogar Ärzte so reden. „Das Down-Syndrom ist keine Krankheit, sondern eine genetische Besonderheit“, sagt Schermann. Simon leide nicht, er sei ein fröhliches, lebenslustiges, aufgeschlossenes und herzliches Kind. „Negative Eigenschaften fallen mir spontan keine ein. Außer, dass er nicht immer hört auf das, was seine Eltern sagen. Aber das hat nichts mit dem Down-Syndrom zu tun“, sagt Sandra Schermann und lacht.
Sie will nicht verhehlen, dass Simon langsamer lernt als andere Kinder, dass er weniger selbstständig ist und eine intensivere Betreuung benötigt. Einschränkungen im eigenen Alltag? „Das spielt sich ein“, sagt Schermann. Und es ändere nichts daran, dass auch Simons Leben ein lebenswertes sei. Dass auch er das Recht dazu habe, seinen Platz im Leben zu finden – zumal es heutzutage im Gegensatz zu vor 30 oder 40 Jahren sehr viele Möglichkeiten der Förderung gebe, Möglichkeiten auch für Menschen wie Simon, eines Tages ein selbstbestimmtes Leben zu leben. Ob in der Mitte der Gesellschaft oder eher unter Seinesgleichen, das wird von seiner weiteren Entwicklung abhängen.
„Wir lassen das auf uns zukommen. Allzu große Gedanken machen wir uns darüber heute noch nicht“, sagt Sandra Schermann. Sie und ihr Mann Frank wollen Simon ganz normal einschulen – und dann abwarten, wie wohl er sich selbst damit fühlt. Denn eines wird für sie immer das Wichtigste sein: dass Simon mit sich und seinem Leben glücklich ist.
Simon war für seine Eltern ein absolutes Wunschkind. Auf Tests zur Früherkennung des Down-Syndroms während der Schwangerschaft, zum Beispiel durch eine Untersuchung des Fruchtwassers, haben Sandra und Frank Schermann bewusst verzichtet. Nicht, weil solche Untersuchungen mit dem Risiko einer Fehlgeburt verbunden sind, sondern schlicht und einfach, weil sie ihr Kind so annehmen wollten, wie es geboren wird.
Und: „Hätte ich schon vorher gewusst, dass unser Kind das DownSyndrom hat, hätte ich mir viel zu viele Gedanken gemacht und die Schwangerschaft vielleicht nicht genießen können,“sagt Simons Mama. Eine Abtreibung wäre für sie so oder so nicht infrage gekommen. „Das wäre Aussortieren“, sagt sie.
„Niemand hat das Recht zu einem solchen Aussortieren“, ist Simone Kekeisen überzeugt, deren Tochter Linnea ebenfalls mit dem Down Syndrom geboren wurde. Auch sie hat auf Tests während der Schwangerschaft verzichtet. „Ich bestelle mir doch kein Kind aus dem Katalog. Mein Kind ist mein Kind und ich nehme es so, wie es ist“, sagt sie.
Ihre Tochter beschreibt Kekeisen als fröhliches, glückliches Mädchen. Wenngleich sie sich wünschen würde, manchmal mehr Mama als Therapeutin sein zu dürfen, wirbt sie wie Sandra Schermann dafür, die positiven Seiten mehr in den Vordergrund zu rücken. Zum Beispiel, dass Kinder mit Down-Syndrom die eigene Sichtweise auf das verändern, was wirklich wichtig ist im Leben. Geht es tatsächlich nur noch um „höher, schneller, weiter“? „Was wirklich zählt, ist glücklich mit dem eigenen Leben zu sein“, sagt Kekeisen. Und sich bewusst zu machen, dass nicht jeder Mensch alles gleich gut können muss. Sandra Schermann zitiert dazu den ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker: „Es ist normal, verschieden zu sein.“Vor diesem Hintergrund könnten Kinder mit Down-Syndrom in inklusiven Schulklassen sogar positiv auf das Sozialverhalten der anderen Kinder wirken, so die beiden Mütter. Weil sie genau diese Verschiedenheit deutlich machen und dadurch helfen, diese Verschiedenheit als normal zu akzeptieren – auch bei Kindern, die sich ohne spezielle medizinische Diagnose mit manchen Dingen schwertun.
Sehr kritisch sehen Sandra Schermann und Simone Kekeisen deshalb die jüngsten Entwicklungen in der Früherkennung des Down-Syndroms. Vor fünf Jahren hat eine Konstanzer Firma einen Bluttest auf den Markt gebracht, der keine mit den bisherigen Methoden vergleichbaren Risiken birgt. Andere Hersteller haben mittlerweile nachgezogen, und seit Herbst vergangenen Jahres läuft ein Verfahren, dessen mögliches Ergebnis sein könnte, dass die hohen Kosten für den Test künftig zumindest bei Risikoschwangerschaften die Krankenkassen übernehmen (siehe Text unten).
Schermann und Kekeisen befürchten, dass diese Bluttests dazu führen werden, dass früher oder später gar keine Kinder mehr mit DownSyndrom geboren werden – weil die Erfahrung zeige, dass sich so gut wie alle Eltern mit entsprechendem Testergebnis für eine Abtreibung entscheiden würden. „Für mich ist der klare Hintergedanke dieses Tests das Aussortieren von Kindern, die nicht der Norm entsprechen“, sagt Simone Kekeisen. Wenn dieser Test nun aber schon auf dem Markt sei, dann sei es unabdingbar, die werdenden Eltern parallel zumindest umfassend über das Leben eines Menschen mit Down-Syndrom aufzuklären. Und aufzuzeigen, welche Möglichkeiten der Förderung und Unterstützung für ein selbstbestimmtes Leben es heute gibt.
Das sieht Verena Bentele, Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, ähnlich. „Die Beratung über die Möglichkeiten der Inklusion, über Assistenz und weitere Unterstützung (für Betroffene sowie deren Eltern, die Red.) ist derzeit absolut ungenügend“, sagt sie. Aus ihrer Sicht hätte die Diskussion ohnehin viel früher ansetzen müssen – vor der Marktzulassung der Tests. Da sie nun schon auf dem Markt seien, laste auf den Eltern ein immenser sozialer Druck, wenn sie sich gegen den Test oder für ein Kind mit Behinderung entscheiden. „Das halte ich für bedenklich“, so Bentele.
Dass es nun nur noch darum gehe, ob die Tests zur Kassenleistung werden oder nicht, werde letztendlich nur noch darüber entscheiden, ob der Geldbeutel der Eltern den Ausschlag über testen oder nicht testen geben wird.
„Das Down-Syndrom ist keine Krankheit, sondern eine genetische Besonderheit.“Sandra Schermann, Mutter von Simon
„Ich bestelle mir doch kein Kind aus dem Katalog. Mein Kind ist mein Kind und ich nehme es so wie es ist.“Simone Kekeisen, Mutter von Linnea