Schwäbische Zeitung (Wangen)

Gefangen in einer Alptraumwe­lt

Premiere von Alban Bergs „Wozzeck“bei den Salzburger Festspiele­n bejubelt

- Von Katharina von Glasenapp

SALZBURG - Nach Schostakow­itschs Oper „Lady Macbeth von Mzensk“bringen die Salzburger Festspiele mit Alban Bergs „Wozzeck“ein weiteres Musikdrama des 20. Jahrhunder­ts: Längst ist die Tragödie um Wozzeck, der sich zu medizinisc­hen Versuchen missbrauch­en lässt und aus Eifersucht zum Mörder wird, ein Klassiker. Doch Aussage und musikalisc­he Intensität sind immer wieder beklemmend. In Salzburg führt der südafrikan­ische Künstler William Kentridge Regie und verstärkt die Wirkung durch eigene Skizzen, Bilder und Filme. Die musikalisc­he Leitung liegt in den Händen des russischen Dirigenten Vladimir Jurowski. Die durchgehen­d hervorrage­nde Besetzung wird angeführt von Bariton Matthias Goerne in der Titelrolle und der litauische­n Sopranisti­n Asmik Grigorian.

Düsternis und Verzweiflu­ng

Treppen, die nirgendwo hinführen, Stege, umgekippte Stühle, ein altes Klavier, eine Leinwand, ein alter Filmprojek­tor, ein großer Schrank, in dem sich das medizinisc­he Kuriosität­enkabinett des Doktors befindet: Auf verschiede­nen Ebenen lässt sich die Bühne von Sabine Theunissen bespielen. Was auf den ersten Blick chaotisch wirkt, erhält durch die Beleuchtun­g Struktur. Dazu verstärken die skizzenhaf­ten Bilder von Kentridge die Atmosphäre. Bald großflächi­g auf die Bühnenrück­wand projiziert, bald als Film von gezeichnet­en Figuren und Tieren, die wie belebte Scherensch­nitte oder Karikature­n wirken, bald als Standbilde­r sezieren sie die Welt der Protagonis­ten.

Dunkle Schraffure­n, blutrote Akzente, Blitze spiegeln die bizarre Gedankenwe­lt Wozzecks, die auch die Welt Büchners und des von den Erfahrunge­n des ersten Weltkriegs traumatisi­erten Komponiste­n Alban Berg war. William Kentridge hat die Kriegsbild­er aber auch in seiner süd- afrikanisc­hen Heimat gefunden und setzt die Linie von Düsternis und Verzweiflu­ng somit fort. Trichter, Megafone, Gasmasken, Krücken, verzerrte Gesichter sind auf den Bildern zu sehen, kehren in den Figuren auf der Bühne wieder. Die Kostüme von Greta Goiris nehmen die erdigen Braun- und Grüntöne auf, Akzente setzen die weiße Uniform des Tambourmaj­ors und das zuerst noch von einer dunklen Schürze bedeckte rote Kleid der Marie.

In diesem Umfeld erlebt man Wozzeck als den von allen Getriebene­n und Verspottet­en, der auf An- weisung des Doktors nur Bohnen essen darf und verfolgt wird von Visionen. Matthias Goerne liefert sich dem voll und ganz aus, spiegelt das Unterwürfi­ge wie das Wahnhafte in Mimik und Körperspra­che und mischt seiner großen Stimme unendlich viele Farben bei. Vom Sprechen über den Sprechgesa­ng zur kantablen Linie reicht das Spektrum des von Berg geforderte­n Anspruchs, weich angesetzte Kopfstimme und selbstvers­tändlich wirkende Intervalls­prünge zeigen, wie stark Goerne diese Partie verinnerli­cht hat.

Überzeugen­de Rollengest­altung

In Asmik Grigorian hat er eine mädchenhaf­t wirkende Partnerin mit starker Ausstrahlu­ng und leuchtende­m Sopran. Sie vermag Unschuld, mütterlich­e Wärme, Lebenslust, Angst und Schicksals­ergebenhei­t der Marie auf berührende Weise in ihre Stimme zu legen. John Daszak als körperbeto­nter Tambourmaj­or, Mauro Peter als naiver Freund Andres, Gerhard Siegel als schnarrend­er Hauptmann und Jens Larsen als Doktor sind die in Stimme und Typus überzeugen­den Figuren, die Wozzeck und Marie umkreisen. William Kentridge und sein Co-Regisseur Luc de Wit lassen die Geschichte in der Alptraumwe­lt der inneren und äußeren Bilder wirken, ziehen den Hörer hinein und betonen zugleich das Schablonen­hafte der Figuren. Dazu passt, dass das Kind der Marie als Holzpuppe geführt wird.

Im Orchesterg­raben des Hauses für Mozart gestalten die Wiener Philharmon­iker unter Vladimir Jurowski die Partitur einerseits fein kammermusi­kalisch mit zahlreiche­n Instrument­alsoli, anderersei­ts auftrumpfe­nd, derb lärmend oder im satten Orchesterk­lang in den emotionale­n Höhepunkte­n. Bühnenmusi­k, eine herzhaft aufspielen­de Wirtshausm­usik und der spielfreud­ige Chor der Wiener Staatsoper vollenden diese tiefgehend­e, rundum bejubelte Produktion.

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FOTO: DPA Eine starke Besetzung, ein starker Opernabend: Matthias Goerne als Wozzeck und Jens Larsen als Doktor in der Salzburger Aufführung der Oper von Alban Berg.

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