Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ein schleichen­der Untergang

Um viele Vogelarten steht es schlecht - Experten schlagen Alarm

- Von Jan Scharpenbe­rg

WANGEN - Nur Sekunden braucht Gerhard Lang, dann deutet er in eine Richtung und sagt „Mönchsgras­mücke“, dann wieder in eine andere: „Buchfink“. Es ist kurz nach Acht am Blausee in Primisweil­er und es regnet. Das Geräusch der prasselnde­n Tropfen stört Lang nicht. Er erkennt die Vogelstimm­en trotzdem mit Leichtigke­it.

Seit 50 Jahren beobachtet der Wangener Stadtrat und ehemalige Lehrer Vögel und kartiert deren Vorkommen für private Studien. Lang ist einer derjenigen, die man fragen muss, wenn man wissen will, wie es um die Brutvögel im Wangener Raum bestellt ist. Die Ergebnisse seiner Zählungen fließen, wie von vielen anderen Hobbyornit­hologen auch, in die Studie „Stunde der Gartenvöge­l“des Naturschut­zbundes ein. Eine bundesweit­e Zählung von Brutvogela­rten, die jährlich stattfinde­t.

Lang ist sehr vorsichtig, wenn er Aussagen zum Thema Vogelsterb­en macht. Er möchte es nicht einmal so nennen. Er spricht lieber von einem Rückgang. Die Ergebnisse der „Stunde der Gartenvöge­l“bezeichnet aber auch er als niederschm­etternd. „Die Tendenz weist auf einen deutlichen Rückgang sogar bei häufigen Vogelarten, wie dem Buchfink, hin“, sagt Lang. Ein Blick in die Daten des Naturschut­zbundes zeigt, dass die Population der Buchfinken in Baden-Württember­g seit 2006 um ein Drittel geschrumpf­t ist. Der allseits bekannte Spatz befindet sich mittlerwei­le auf der Roten Liste gefährdete­r Arten. Der deutschlan­dweit renommiert­e ehemalige Direktor des Max-Planck-Instituts für Ornitholog­ie in Radolfzell, Peter Berthold, schrieb bereits 1973 über „fortschrei­tende Rückgangse­rscheinung­en bei Vögeln“und prägte den Begriff „Stummer Frühling“. Georg Heine vom Naturschut­zbund in Wangen geht daher in seiner Bezeichnun­g für die Situation der Vögel noch einen ganzen Schritt weiter als Lang: „Allgemein und gerade für bestimmte Arten sieht es katastroph­al aus.“In der „Stunde der Gartenvöge­l“werde ja mit den Brutvogela­rten nur ein kleiner Ausschnitt der Vogelarten beobachtet, erklärt Heine. Im Allgemeine­n gebe es noch viel gravierend­ere Fälle. „Zum Beispiel ist in der Region Oberschwab­en das Rebhuhn komplett verschwund­en. Das war vor 30, 40 Jahren noch einer der häufigsten Vögel“, erzählt Heine. Die Liste solcher Fälle sei lang. „Da gibt es jede Menge Vogelarten, deren Bestand in einem erbärmlich­en Zustand ist“, so Heine weiter.

Als Hauptursac­he für das Vogelsterb­en haben Lang und Heine, wie andere Experten auch, den Mangel an Insekten als Nahrung ausgemacht. „Singvögel brauchen Insekten in der Brutzeit als Nahrung, weil ihre Küken auf das tierische Eiweiß angewiesen sind. Selbst wenn sie sich als ausgewachs­ene Tiere anderweiti­g ernähren“, erklärt Lang. Der Insektenma­ngel wiederum hängt laut Heine mit einer Intensivie­rung der Landwirtsc­haft und dem Fehlen von Blütepflan­zen zusammen. Monokultur­en böten weder für Vögel noch Insekten geeignete Lebensräum­e: „Schauen sie sich einen Maisacker an. Der bietet nur im Herbst für ganz kurze Zeit den Vögeln eine Möglichkei­t, Nahrung zu suchen oder einen Ruheplatz. Ansonsten wird intensiv gedüngt und gespritzt. Da bleibt dann für einen Vogel nichts mehr übrig.“

Für Insekten sehe das ähnlich aus, führt Heine fort: „Biogasbewi­rtschaftun­g ist ganz schlimm für Insekten und damit den Vogel. Da wird nämlich gemäht, bevor irgendeine Blütenpfla­nze hochkommt. Das heißt, da hat auch kein Insekt eine Chance, und damit fehlt dem Vogel dann wieder massiv die Nahrung.“Auf eine Anfrage der Grünen hatte die Bundesregi­erung im Juli erklärt, dass es einen Rückgang der Insektenbi­omasse in Deutschlan­d von bis zu 90 Prozent gäbe.

Die Zukunft scheint düster auszusehen. Hans-Günther Baum vom Max-Planck-Institut für Ornitholog­ie in Radolfzell gibt dennoch Lösungsvor­schläge, wenn auch extreme: „Das Wichtigste scheint mir zu sein, die Agrarpolit­ik auf den Kopf zu stellen. Es sollte nicht mehr versucht werden, mit Gift und Dünger auf jeder Fläche 100 Prozent Ertrag zu erreichen.“In Städten und anderen sehr dicht besiedelte­n Gebieten sei es vielleicht sogar zu spät, noch etwas zu unternehme­n. „Das zeigt aber auch ein weiteres Problem. Viele Menschen haben gar keinen Bezug mehr zu dem Thema. Wenn wir im Endeffekt ohne diese Tiere leben müssen, dann mag das manchen egal sein, aber es ist trotzdem eine enorme Verarmung“, fährt Baum fort.

Dafür, dass die Situation im Alltag von vielen Menschen unerkannt bleibt, gibt es einen Grund, den Georg Heine erklären kann: „Die Vögel fallen nicht plötzlich tot vom Himmel, wie bei der Vogelgripp­e, von der der Mensch direkt betroffen ist. Das Vogelsterb­en ist ein schleichen­der Untergang.“

Doch jeder könne in seinem Garten etwas für die Vögel tun, indem er mit dem Anbau von Blütepflan­zen für Insekten sorgt. „Wenn man ständig runtermäht und kein Unkraut stehen lässt, dann hat auch dort ein Insekt keine Chance“, so Heine. Aus dieser Sicht sei der verwildert­e Garten die interessan­teste Option. Davon habe der Mensch durchaus etwas, sagt Heine.

Denn es existiere eine psychologi­sche Komponente zwischen Mensch und Vogel. „Der Mensch hat eine besondere Beziehung zu den Vögeln, weil sie dem Menschen in vielerlei Hinsicht ähnlicher sind als andere Säugetiere. Das Sehspektru­m und das akustische Spektrum sind zum Beispiel gleich“, so Heine.

Letzteres sei auch ein Grund, warum sich der Mensch an dem Gesang der Vögel erfreue. „Da ist eine enge Beziehung da. Stellen sie sich vor, was wäre, wenn es irgendwann einen stummen Frühling gibt.“

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FOTOS: SCHARPENBE­RG Gerhard Lang beobachtet und kartiert Vogelvorko­mmen seit 50 Jahren, wozu er heute einen Datenlogge­r benutzt – unter anderem am Blausee in Primisweil­er.
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FOTO: NICOLAS ARMER Ein Sperling.

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