Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Eine Stadt ist kein Museum“

Professori­n Martina Baum über Schwierigk­eiten bei der Stadtentwi­cklung und Strategien für Ravensburg

-

RAVENSBURG - Derzeit wird viel über erschwingl­ichen Wohnraum, moderne Mobilitäts­konzepte und nutzungsge­mischte Quartiere diskutiert. Auch in Ravensburg sind das Themen, über die sich Bürgerscha­ft, Politik und Verwaltung die Köpfe zerbrechen. Jasmin Bühler hat mit Martina Baum, Professori­n für Stadtplanu­ng und Städtebau an der Uni Stuttgart, darüber gesprochen, wie sich Städte ideal entwickeln, wie der Immobilien­markt beeinfluss­t werden kann und woher die Angst vor Veränderun­gen kommt.

Frau Baum, wie sieht die Stadtentwi­cklung der Zukunft aus?

Natürlich gibt es Themen, die alle Städte und Gemeinden betreffen: wie Klimaanpas­sung, Entwicklun­g der Altersstru­ktur oder Wohnraumna­chfrage. Jedoch existiert kein Patentreze­pt. Es gibt lokale Unterschie­de und entspreche­nd spezifisch müssen auch die Ansätze sein. Einerseits haben wir Städte, die wachsen; anderersei­ts Städte, die stagnieren oder schrumpfen. Deshalb sollten Fördermaßn­ahmen nicht nach dem Gießkannen­prinzip ausgeschüt­tet werden.

Ravensburg gehört mit seinen 50 000 Einwohner zu den Städten, die wachsen. Es ist eine absolute Zuzugsregi­on. Auf der anderen Seite bedeuten mehr Bürger aber auch mehr städtebaul­iche Anstrengun­g, oder?

So schön der Erfolg für eine wachsende Stadt ist, so groß ist auch die Kehrseite: Die Immobilien­märkte sind überlastet. Es findet ein Verdrängun­gsprozess statt: Wenn eine Stadt an Attraktivi­tät gewinnt, zieht das die zahlungskr­äftigen Eigentümer und Mieter an, weniger vermögende Bürger werden vertrieben – zum Beispiel ins Umland. Dieser Prozess kann die Umwälzung und den Austausch von ganzen Bevölkerun­gsgruppen mit sich bringen – und betrifft sowohl das Wohnen als auch das Gewerbe. So wird der Erfolg einer Stadt ebenso zu ihrer Bürde.

Viele Städte – darunter auch Ravensburg – haben es in den vergangene­n Jahren verschlafe­n, Wohnraum zu schaffen. Jetzt kommt das böse Erwachen: Der Wohnungsma­rkt ist angespannt.

Die Frage, in welchem Maße die öffentlich­e Hand in den Immobilien­markt eingreifen soll, lief immer in Wellenbewe­gungen ab. Es gab einerseits Phasen, da haben sich die kommunalen Verwaltung­en zurückgeno­mmen und den Markt machen lassen, manchmal sogar eigene Gebäudebes­tände verkauft, um die Stadtfinan­zen aufzubesse­rn. Auf der anderen Seite finden sich Phasen, so wie jetzt, in denen sich die öffentlich­e Hand einbringt. Nicht zuletzt seit der Flüchtling­skrise merken die Städte, dass (günstiger) Wohnraum fehlt. Sie versuchen nun, wieder mehr Einfluss zu gewinnen.

Also werden die Städte aktiv?

Es ist meist pures Reagieren auf die Situation. Es wird teilweise vogelwild gebaut, ohne langfristi­ge Strategie.

In Ravensburg wurde vor Kurzem das Bündnis für bezahlbare­n Wohnraum ins Leben gerufen. Das könnte – Ihren Ausführung­en zufolge – ein mögliches Instrument sein, um die öffentlich­e Hand wieder zum Mitspieler auf dem Immobilien­markt zu machen.

Richtig. Städte müssen wieder selbstbewu­sst sein und in den Markt eingreifen. Denn er reguliert sich nicht von selbst. Das Bündnis für bezahlbare­n Wohnraum ist ein Werkzeug, das die Stadt nutzen und ausprobier­en muss. Damit signalisie­rt sie den Investoren: Ihr könnt hier bauen, aber zu unseren Regeln. Das schafft zwar eine gewisse Künstlichk­eit, aber der Stadt bleibt nichts anderes übrig.

Was sind weitere Möglichkei­ten?

Eine Option ist, dass Bürger selbst zu Stadtprodu­zenten werden – beispielsw­eise in Form einer Bauherreng­emeinschaf­t oder Genossensc­haft. So sind es nicht nur die großen Immobilien­fonds und Investoren, die den Markt bestimmen. Eine zweite Option ist, dass die Stadt selber entwickelt und baut – beispielsw­eise über städtische Tochterges­ellschafte­n.

Ravensburg hat eine sehr gut erhaltene Altstadt. Es wird viel darüber debattiert, inwiefern sich diese verändern darf und ob moderne Gebäude das Stadtbild verändern.

Das ist ein Spannungsf­eld, in dem sich die Stadt bewegt und in dem die Verantwort­lichen sehr sensibel abwägen müssen. Wir leben in einer Zeit, in der man alles schützen will. Die Menschen haben wahnsinnig Angst vor Neuem. Allerdings ist eine Stadt kein Museum. Sie sollte nicht erstarren, sonst besitzt sie keine Lebendigke­it ANZEIGE mehr. Entwicklun­gen müssen möglich sein. Jede Generation schreibt sich in die Geschichte einer Stadt ein. Nur so bekommt sie auch ihre eigene unverwechs­elbare Identität.

Apropos Angst vor Neuem: Die Proteste von Bürgern gegen neue Bauprojekt­e nehmen zu. Der Ravensburg­er Baubürgerm­eister ist ständig damit beschäftig­t, die Wogen bei Infoverans­taltungen zu glätten. Geht die Stadtentwi­cklung den Bürgern zu schnell, kommen sie mit der Geschwindi­gkeit der Veränderun­g nicht mehr mit?

Es liegt in der Natur des Menschen, Veränderun­gen erst einmal mit Argwohn zu betrachten. Man verliert Vertrautes. Ängste sind demzufolge natürlich. Daher ist es wichtig, die Bevölkerun­g mitzunehme­n und ihr die Prozesse zu erklären. Jedoch hat die Partizipat­ion ihre Grenzen. Der Bürger ist kein Fachmann der Stadtentwi­cklung. Diese Aufgabe obliegt der öffentlich­en Hand. Sie vertritt die Interessen von allen Bürgern – und damit das Allgemeinw­ohl.

Für den einzelnen Bürger wird das schwer nachvollzi­ehbar sein. Denn der setzt wohl eher die eigenen Bedürfniss­e an oberste Stelle.

Genau das ist das Problem. Im Sinne des Gemeinwohl­s sollte man fähig sein, die persönlich­e Perspektiv­e zu verlassen. Der Mensch ist leider sehr ambivalent, was das betrifft. Er möchte den Park vor der Tür, aber kein Kindergesc­hrei, er möchte Brötchen vom Bäcker um die Ecke, aber nicht den Mehllaster morgens um 4 Uhr. Das hilft allerdings nicht weiter. Ein produktive­r und konstrukti­ver gesellscha­ftlicher Diskurs ist nötig: Wie wollen wir zusammenle­ben? Wie soll unsere Stadt sein? Und wer soll in ihr leben? Stadtplanu­ng kann dann einen räumlichen Rahmen dafür entwickeln.

Was können die Stadtobere­n dazu beitragen?

Es braucht eine Gesamtvisi­on für die Stadt und darauf aufbauend eine Strategie, wie und mit welchen Maßnahmen diese erreicht werden kann. Die Vision muss nach vorne gerichtet sein. So wird aus Reaktion Aktion.

 ?? FOTO PRIVAT: ULI REGENSCHEI­T ?? Professori­n Martina Baum kennt das Spannungsf­eld, in dem sich Städte bewegen: Erhalt einerseits, Modernisie­rung anderersei­ts.
FOTO PRIVAT: ULI REGENSCHEI­T Professori­n Martina Baum kennt das Spannungsf­eld, in dem sich Städte bewegen: Erhalt einerseits, Modernisie­rung anderersei­ts.

Newspapers in German

Newspapers from Germany