Noch keine Entscheidung im Kaufland-Prozess
Verwaltungsgerichtshof zählt das Argencenter zur Kernstadt – Streitfrage um Umsatzeinbußen offen
MANNHEIM/WANGEN - Darf Kaufland einen Supermarkt in Wangen eröffnen? Mit dieser Frage hat sich am Donnerstag Baden-Württembergs oberstes Verwaltungsgericht beschäftigt. Der Streit aus dem Allgäu ist beispielhaft: Kommunen wollen ihre Innenstädte vor Konkurrenz schützen, Supermärkte wittern Protektionismus zugunsten örtlicher Händler.
Der Wangener Konflikt begann 2012. Damals erwarb Kaufland das Kutter-Areal, etwa fünf Fußminuten von der Altstadt entfernt. Dort soll ein Supermarkt entstehen. Auf 3000 Quadratmetern will der Konzern dort Lebensmittel, Drogerieartikel und sonstige Waren verkaufen. Im selben Gebäude könnten sich einige Einzelhändler wie Bäcker oder Metzger einmieten.
Für Wangens Oberbürgermeister Michael Lang und den Gemeinderat wäre das eine ernsthafte Bedrohung für die lebendige Altstadt. Dort werben mehr als 30 Lebensmittel-Fachgeschäfte und 25 Restaurants um Kunden.
Deswegen erteilte die Stadt Kaufland keine Genehmigung für den Bau. Sie beruft sich auf das Baugesetzbuch. Ist eine Schädigung eines „zentralen Versorgungsbereiches“zu befürchten, darf eine Stadt eine weitere Ansiedlung von Supermärkten ablehnen. Der abstrakte Begriff beschreibt im Wangener Fall die Altstadt, die für Bürger die nächstgelegene, beste Einkaufsgelegenheit bietet. Die Kette klagte gegen diese Entscheidung. Das Verwaltungsgericht Sigmaringen entschied zugunsten Wangens. Doch damit gab sich Kaufland nicht zufrieden und zog vor den VGH.
„Planungsrecht ist nicht dazu da, Einzelhändler zu schützen“
Es handle sich um einen typischen Konflikt, so Gudrun Heute-Bluhm, Chefin des Städtetages. Viele Mitglieder ihres Verbandes tragen ähnliche Konflikte aus. Supermärkte hätten ihr Angebot erweitert. Damit bedrohten sie nicht nur Lebensmittelhändler, sondern auch andere Geschäfte. Deswegen sei Vorsicht geboten, so Heute-Bluhm. „Sonst bluten unsere Innenstädte aus.“
Christian Huttenloher, Generalsekretär des Deutschen Verbands für Wohnungswesen, gibt zu bedenken: „Das Planungsrecht ist nicht dazu da, Einzelhändler vor Konkurrenz zu schützen.“Es sei wichtig, jeden Einzelfall zu betrachten. „Studien zeigen, dass nicht jede Ansiedlung eines Supermarktes schädlich ist. Sie kann eine City auch beleben, wenn der Markt nahe an der Innenstadt liegt.“
In der Verhandlung im Wangener Fall ging es zunächst darum, ob das Argencenter inklusive des Supermarktes darin zur Innenstadt zählt. Kaufland bestreitet das, weil der Fluss Argen und die Stadtmauer die Altstadt von dem Gebäude und den städtischen Parkplätzen davor trennen. Viele Kunden kaufen im Center und nutzen die Gelegenheit, noch in der Stadt zu shoppen. Die Brücke zwischen Center, Parkplätzen und Innenstadt passieren nach Zählungen der Stadt täglich zwischen 3000 und 5000 Menschen. Würde das Kaufland Kunden vom Argencenter weglocken, litte die Innenstadt erheblich, fürchtet die Stadt.
Die Richter sehen das ähnlich. Das Argencenter zähle zur Kernstadt, trotz Fluss und Mauer. Und: „Wer dort einkauft, geht auch in die Altstadt und holt sich die schlachtfrische Leberwurst beim Metzger. Das fiele beim Kaufland weg“, so Richter Wolfgang Matejka.
Damit bleibt als Streitpunkt: Gehen die Umsätze des neuen Super- marktes auf Kosten der kleinen Händler? Die Richter ließen sich erklären, wie Gutachter der Parteien zu ihren Ergebnissen gekommen sind. Sie unterscheiden sich in Details und der Schlussfolgerung. Die Experten von Kaufland sagen unter anderem: Weil es ein ähnliches Angebot in Wangen nicht gebe, werde der Markt zusätzliche Kunden zu jenen anlocken, die bisher gar nicht in Wangen einkaufen. Damit mache der neue Markt der Innenstadt nicht so viele Kunden abspenstig, dass es dieser erheblich schade.
Die von der Stadt beauftragten Experten fürchten dagegen deutliche Einbußen in der Altstadt. Sie prophezeien aufgrund ihrer Daten, dass der Kaufland-Supermarkt Menschen von den Innenstadt-Geschäfte fernhalte.
Nächste Runde mit einem Termin in Wangen möglich
Die Richter werden nun beraten, ob sie weitere Gutachten benötigen oder gar selbst nach Wangen fahren, um sich ein Bild zu machen. Beide Seiten hätten dies laut OB Michael Lang „hilfsweise beantragt“, sollte das Gericht nach der Verhandlung am Donnerstag noch keine Entscheidung treffen können. Ist das nicht der Fall, könnten sie in den kommenden Wochen direkt ein Urteil sprechen.
Lang gab sich nach Ende des mehr als dreistündigen Verhandlungstermins vorsichtig zuversichtlich: Die Richter hätten alle aus Sicht der Stadt wichtigen Fragen gestellt, allerdings nicht erkennen lassen, in welche Richtung sie tendieren. Und: „Sie geben sich große Mühe, die Argumente abzuwägen und sind sich der Verantwortung bewusst, die sie für die Zukunftsfähigkeit Wangens haben.“