Der Schweinezüchter als Anästhesist
Bundesregierung empfiehlt Vollnarkose – Alb-Donau-Landwirt wirbt für einen anderen Weg
HOLZKIRCH - Der kleine Unterschied wird männlichen Schweinen schon kurz nach der Geburt zum Verhängnis: Sie werden kastriert, meist ohne jede Betäubung. Aus Tierschutzgründen wird dieses Vorgehen in Deutschland ab 2019 verboten. Gab es bisher keine praktikable Methode, um den Tieren Schmerzen und Blutverlust zu ersparen, so könnte sich dies bald ändern: Entwickelt hat sie der Schweinemäster Ernst Buck aus Holzkirch (Alb-Donau-Kreis). Er setzt dem Ferkel eine örtliche Betäubung und kastriert dann das Tier mit einer Spezialzange. Agrarminister Peter Hauk (CDU), der sich am Mittwoch vor Ort informierte, verspricht, die Methode in der Landesanstalt für Schweinezucht in Boxberg prüfen zu lassen.
Fünf Tage alt ist das Ferkel, das Ernst Buck auf dem Arm hält. Ein männliches Tier hat seine Frau Angela aus dem Stall geholt, um dem Minister zu zeigen, wie ein Dilemma gelöst werden kann. Bisher wäre das Tierchen ohne Betäubung kastriert worden, es hätte geschrien und viel Blut verloren. „Der Beruf des Sauschneiders ist seit 1531 nachgewiesen“, weiß Buck, der selbst seit 30 Jahren Schweine züchtet und auf seinem Hof die Ferkel selbst kastriert. Dass damit 2019 Schluss sein soll, beschäftigt den Landwirt ebenso wie seine Kollegen intensiv. Dann dürfen Ferkel nicht mehr ohne Betäubung kastriert werden.
Vollnarkose belastet Tiere stark
Bisher gibt es keine wirklich praktikable Methode, um die Ferkel unter Berücksichtigung des Tierschutzes, ohne Eingriff in den Hormonhaushalt des Tiers und ohne Nebenwirkungen für den Verbraucher zu kastrieren.
Das Bundesagrarministerium empfiehlt bisher unter anderem die Vollnarkose (siehe Kasten). Damit erweise man dem Tierschutz jedoch einen „Bärendienst“, denn sie belaste die wenige Tage alten Tiere extrem, sagt der Präsident des Bayerischen Bauernverbandes, Walter Heidl. Zudem bedeute sie erhebliche Zusatzkosten, da sie nur ein Tierarzt vornehmen darf.
Das würde besonders kleine und mittlere Betriebe bis an den Rand ihrer Existenz bringen. Gerade Ferkelerzeuger kämpfen ohnehin gegen niedrige Preise. Die Auswirkungen seien dramatisch, sagt Heidl. Betriebe müssten aufgeben. „Uns ist wichtig, dass wir eine Lösung finden, die sowohl dem Verbraucher und der Fleischqualität als auch dem Tierschutz und der Landwirtschaft gerecht werden kann.“
Ernst Buck, der Schweinezüchter auf der Schwäbischen Alb, ist überzeugt davon, diese Lösung gefunden zu haben. Ein wenig abgeschaut hat er bei österreichischen Kollegen: „Ich bin auf das Medikament Lidocain gestoßen, wie es auch bei Tätowierungen genutzt wird.“Lidocain-haltige Salben und Cremes werden beim Menschen zur Lokalanästhesie bei kleinen chirurgischen Eingriffen und in der ästhetischen Medizin eingesetzt. Der Bedarf steigt, vor allem für nicht medizinische Zwecke wie Permanent-Make-up, Tätowierungen und Piercing. Bei seinen Ferkeln verabreicht Buck Lidocain direkt am Hoden, um so ein kleineres Areal zu betäuben. Dann folgt der chirurgische Eingriff der Kastration. Das Schmerzmittel Metacam, das zusätzlich verabreicht wird, wirkt noch Tage später.
Während des Besuchs von Minister Hauk am Mittwoch präsentiert Buck eine Videosequenz, die den Eingriff zeigt. Eine Vorführung im Stall am lebenden Ferkel ist nicht gestattet, die Hygienevorschriften erlauben es nicht. Nach wenigen Minuten wirkt die Lokalanästhesie, der Schnitt mit der Spezialzange ist noch schneller gesetzt. Das Ferkel jault kurz auf, ebenso schnell beruhigt es sich aber wieder.
Mit der Methode der LidocainAnwendung, die in Deutschland noch nicht genehmigt ist, sieht sich Buck auf dem richtigen Weg. Betäubung könne sowohl Vollnarkose als auch örtliche Schmerzausschaltung bedeuten, sagt auch der Veterinärrechtsexperte und Autor eines entsprechenden Rechtsgutachtens, Wolfgang Hansen. Bei genauem Studium der Gesetzestexte sei keine Vollnarkose gefordert.
Test in Boxberg
Buck weiß die bayerischen und baden-württembergischen Bauernverbände hinter sich. Sie und der Fleischerverband Bayern hatten im Januar auf die Lösung des Dilemmas durch eine lokale Betäubung hingewiesen und die Zulassung von Wirkstoffen gefordert, die bereits bei Menschen, Hunden, Katzen und Pferden eingesetzt werden. Bis zur gesetzlichen Neuregelung im Jahr 2019 müsse verstärkt geforscht werden, um Alternativen zu finden.
Agrarminister Hauk zeigt sich vor Ort auch ohne Praxistest überzeugt: „Der Gesetzgeber sagt nichts zur Methode der Betäubung“, betont er. Die bisherigen Methoden zur Ferkelkastration seien nicht überzeugend: „Darum will ich gerne zusagen, dass die Landesanstalt für Schweinezucht in Boxberg Ihr Verfahren prüft.“Ihm seien drei Punkte wichtig: Tierschutz, Verbraucherschutz und die Landwirte: „Es geht auch darum, keine zusätzlichen Kosten zu generieren.“