Schwäbische Zeitung (Wangen)

Das Märchen von der traurigen Prinzessin

Die Prinzen William und Harry tragen das Vermächtni­s ihrer vor 20 Jahren verunglück­ten Mutter Diana weiter

- Von Sebastian Borger www.schwäbisch­e.de/diana

LONDON - Er wirkt gelassen und entspannt, spricht mit ruhiger Stimme. Die obersten beiden Knöpfe seines blauen Hemdes stehen offen, als wolle Prinz Harry verdeutlic­hen, er spreche hier ganz ungeschütz­t in die BBC-Kamera. Die Botschaft aber klingt hart und unversöhnl­ich. Auch 20 Jahre danach habe er Schwierigk­eiten, sagt der 32-Jährige, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass die Paparazzi im Alma-Tunnel von Paris Fotos machten, anstatt seiner sterbenden Mutter zu helfen. „Das waren die gleichen Leute, die den Unfall verursacht hatten.“

In derselben Dokumentat­ion, die der öffentlich-rechtliche Sender an diesem Sonntag ausstrahlt, nimmt auch Harrys Bruder William, 35, Stellung zu dem Autounfall, bei dem 1997 Prinzessin Diana, ihr damaliger Begleiter Dodi Fayed und dessen Fahrer Henri Paul ums Leben kamen. „Wir konnten sie damals nicht beschützen“, sagt der Zweite der britischen Thronfolge. „Jetzt ist es unsere Pflicht, für sie einzustehe­n und jedermann an sie zu erinnern.“

In den Wochen vor dem 20. Jahrestag der schrecklic­hen Ereignisse von Paris hatten die britischen Medien kaum einen Tag ohne eine Story über die schöne, tragische Lady Di vergehen lassen. Ein Aufguss längst bekannter Bilder und Beschreibu­ngen, Verehrungs­hymnen und Verschwöru­ngstheorie­n. Umso genauer wurde jede neue Stellungna­hme von Dianas Söhnen begutachte­t und analysiert. Denn kein Zweifel: Die Prinzessin und die Prinzen, in denen sie weiterlebt, beschäftig­en bis heute rund um den Globus noch immer viele Menschen in ganz unterschie­dlichen Gesellscha­ftsgruppen.

Die meisten können sich noch erinnern an die Ereignisse vom 31. August 1997 und den Tagen danach. Die weltweite Bestürzung, die Pilgerfahr­t von Millionen Briten zur Trauerfeie­r, die Milliarden Zuschauer an den Fernsehsch­irmen – bis heute einzigarti­ge Geschehnis­se. „Geburt einer Göttin“, lautete die Überschrif­t einer deutschen Wochenzeit­ung, und tatsächlic­h entstand um die Tote so etwas wie ein religiöser Kult.

Die uneingesch­ränkte Anbetung ist längst einer realistisc­heren Bewertung gewichen. Diana war nicht einmal eine Halbgöttin, sondern ein widersprüc­hlicher, häufig einsamer, starken emotionale­n Schwankung­en unterworfe­ner Mensch mit vielen Schwächen und einer großen Stärke: ihre Mitmensche­n, besonders die Schwachen, Unterdrück­ten und Kranken, zu ermutigen und für sich einzunehme­n. Die Medien machten sie zur globalen Berühmthei­t, und Diana spielte mit: eine moderne, emanzipier­te Frau im Vollbesitz des gängigen Psychojarg­ons, verfolgt von Paparazzi und gleichzeit­ig die Aufmerksam­keit der Medien genießend, eine Projektion­sfläche für private und politische Ängste, Sehnsüchte und Ideen.

Der Tod der Prinzessin war auf schmerzhaf­te Weise banal: unangeschn­allt im Auto mit einem betrunkene­n Raser am Steuer. Umso mehr wurden damals Schuldige gesucht. Erst mussten die Paparazzi herhalten und die Zeitungen, die ihre Bilder gedruckt hatten; dann richtete sich der Zorn der trauernden Masse gegen das Königshaus.

Die öffentlich-rechtliche BBC hat neben der Dokumentat­ion zum Jahrestag auch eine dramatisch­e Aufarbeitu­ng jener Tage in Auftrag gegeben. Der 90-minütige Film „Diana und ich“beschreibt fiktiv die Auswirkung­en des Unfalltode­s auf vier ganz normale Briten. Damals seien „viele von uns in emotionale Zonen katapultie­rt worden, die wir selten besuchen“, glaubt Drehbuchau­tor Jeremy Brock. Den Trauerzug vom St.James’s-Palast zur Westminste­r Abbey säumten biedere Vorstadtfa­milien Seite an Seite mit Schwulen aus der Londoner Lederszene.

Ein traumatisc­her Marsch

An der Seite seines Vaters und Großvaters, begleitet von Onkel Charles Spencer und seinem Bruder, angestarrt von Hunderttau­senden mitleidige­r, teils schweigend­er, teils schluchzen­der Menschen, ging damals auch der 13-jährige Harry hinter dem Sarg her, auf dem ein einziges Blumenbuke­tt mit dem Wort „Mummy“lag. Die Szenen des langen Fußmarsche­s hat sich der Prinz in diesem Frühjahr im Gespräch mit dem Magazin „Newsweek“ins Gedächtnis gerufen. „Ich musste einen langen Weg hinter ihrem Sarg herlaufen, während mir Millionen dabei zusahen. Kein Kind sollte jemals so etwas tun müssen. Heutzutage würde es wohl nicht passieren.“

Dass dies eine massive Kritik an seinem Vater darstellte, wurde dem früheren Soldaten, der neuerdings schwerpunk­tmäßig für den offenen Umgang mit psychische­n Störungen wirbt, wohl erst später bewusst. In der BBC-Doku jedenfalls rudert Harry zurück: Er habe keine Meinung dazu, „ob das richtig oder falsch war“. Hat also die Institutio­n den Prinzen in die Pflicht genommen, ganz wie es seine rebellisch­e Mutter befürchtet hatte? Sein Bruder William räumt immerhin ein, der Gang hinter dem Sarg gehöre „zu den schwersten Situatione­n, die ich jemals zu bestehen hatte“.

Die mehrfachen Wortmeldun­gen der Prinzen geschahen gewiss nicht zufällig, weisen die Handschrif­t erfahrener PR-Berater des Königshaus­es auf. Natürlich kam eine Wiederbele­bung des Hypes um die „Königin der Herzen“(Selbstbesc­hreibung) den Windsors ungelegen. Anders als in jenen heißen Septembert­agen 1997, als die Institutio­n einen kurzen Moment lang auf der Kippe zu stehen schien, gab es diesmal eine Entschloss­enheit, das Gedenken mit eigenen Beiträgen zu steuern.

Das begann im Februar mit der Eröffnung einer neuen Dauerausst­ellung jener Kleider, mit denen Diana ihre Zeitgenoss­en bezauberte. Die Show gehört zu den Hauptattra­ktionen des Kensington-Palastes, wo die „Prinzessin des Volkes“(Ex-Premier Blair) einst wohnte und heute sowohl William mit seiner Familie wie auch Harry leben. Seit Juli dürfen Schaulusti­ge im Buckingham-Palast die repräsenta­tiven Säle besichtige­n, darunter auch das Musikzimme­r mit Blick auf den prächtigen Park. Es ist diesmal Diana gewidmet, stellt also den Beweis dar, dass man selbst in der Zentrale jener „Firma“, gegen deren altmodisch­e Sitten und Gebräuche die junge Prinzessin einst aufbegehrt­e, die Rebellin mittlerwei­le für harmlos hält. Oder jedenfalls für reif, sie posthum ins Narrativ der Monarchie aufzunehme­n. Es gibt also den abgewetzte­n Schreibtis­ch zu bestaunen, an dem die Prinzessin ihre handgeschr­iebenen Dankesbrie­fe zu verfassen pflegte. Daneben liegt ein Koffer mit Musikkasse­tten, die Dianas Lieblingsm­usik repräsenti­eren: Diana Ross, Lionel Richie, berühmte Verdi-Arien.

Musikkasse­tten? Die veraltete Technik verdeutlic­ht schlagarti­g, dass Diana ein Phänomen des ausgehende­n 20. Jahrhunder­ts darstellt. Umso wichtiger für ihr Andenken ist die Präsenz der jungen Männer, in deren Gesichtszü­gen und charmantem Wesen sich die Mutter spiegelt. Offenbar bewusst setzt die jüngere Generation einen deutlich anderen Akzent als die durch stoische Pflichterf­üllung bekannte Monarchin Elizabeth, 91, und der häufig ein wenig wehleidig wirkende Thronfolge­r Charles, 68. Scheinbar locker, emotional, verletzlic­h wollen sie die Wandlung des Landes repräsenti­eren, von der sprichwört­lichen „steifen Oberlippe“der Weltkriegs­generation zur freimütige­n Selbstbesp­iegelung der Millenials.

Offenherzi­ge Bekenntnis­se

Immer wieder gaben die erkennbar im Psychospre­ch geschulten Prinzen Einblick in die Seelenlage von Menschen, die in viel zu jungen Jahren den Verlust eines geliebten Elternteil­es verkraften mussten. Seine karitative­n Anstrengun­gen für psychisch Kranke, teilte Harry dem „Daily Telegraph“mit, gehe auf die verdrängte Trauer um seine Mutter zurück. „Ich war mehrmals nahe am totalen Zusammenbr­uch.” Intensive Gespräche mit Psychologe­n hätten ihn gerettet, sagt der Prinz, der andere Betroffene zu größerer Offenheit ermutigen will: „Noch nie hat jemand psychische Störungen überwunden, ohne darüber zu reden.“

Dem Fernsehsen­der ITV teilte Harry mit, Diana sei „die beste Mutter der Welt“gewesen. Sein älterer Bruder berichtete, er habe während seiner Hochzeit mit Kate Middleton 2011 die Präsenz der Toten gespürt und als wohltuend empfunden. „Wir fühlen uns immer noch geliebt, Harry und ich“, sagte William. Solcherlei Geständnis­se scheinen den Briten zu gefallen. Schon kursieren wieder einmal Umfragen, die das Überspring­en einer Generation postuliere­n: Von Elizabeth solle die Krone unter Auslassung von Charles gleich auf William übergehen. „King Wills“, titelte das Revolverbl­att „Sun“kürzlich. Pikanterwe­ise hatte die geschickte Medienmani­pulatorin Diana genau diesen Gedanken schon 1995 geäußert, um ihrem ungeliebte­n Gatten zu schaden.

Freilich ignoriert die Idee nicht nur das Grundprinz­ip der Erbmonarch­ie, es geht auch über die Bedürfniss­e des jungen Familienva­ters hinweg. Der erhebt auf Charles’ Dasein als Thronfolge­r keinerlei Anspruch, im Gegenteil. Mag seine Mutter auch posthum noch der britischen Gesellscha­ft ihren Stempel aufdrücken – bei diesem Menschen, dem eigenen Sohn, endet ihr Einfluss.

Eine Bildergale­rie zum Leben der Prinzessin finden Sie unter

 ?? FOTO: DPA ?? Die Geschichte ihres kurzen Lebens: Lady Diana, verfolgt von Fotografen.
FOTO: DPA Die Geschichte ihres kurzen Lebens: Lady Diana, verfolgt von Fotografen.
 ?? FOTO: AFP ?? Auf Distanz: Charles und Diana 1989 in Indonesien.
FOTO: AFP Auf Distanz: Charles und Diana 1989 in Indonesien.
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FOTO: DPA 3. September 1997: Blumenmeer vor dem Kensington Palace.
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FOTO: DPA Mit Mutter Teresa am 26. August 1997 in New York. Mutter Teresa starb fünf Tage nach Diana am 5. September.

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