Schwäbische Zeitung (Wangen)

Kunst zwischen Repression und Solidaritä­t

15. Biennale in Istanbul im Zeichen der Politik – Das Motto lautet „Ein guter Nachbar“

- Von Susanne Güsten

ISTANBUL - In Istanbul wird gehämmert und gebohrt für die Biennale: Viele Künstler aus aller Welt sind schon in der Türkei eingetroff­en und damit beschäftig­t, ihre Kunstwerke zu installier­en. Unter schwierige­n Vorzeichen startet am 16. September die 15. Biennale von Istanbul. „Ein guter Nachbar“lautet das Motto, das sich die skandinavi­schen Kuratoren Elmgreen & Dragset ausgedacht haben. Der Däne Michael Elmgreen und der Norweger Ingar Dragset sind seit 20 Jahren in Berlin zu Hause. 55 Künstler aus 32 Ländern und mehreren Generation­en sollen das Thema in ihren Kunstwerke­n umsetzen.

Überschatt­et wird das Kulturerei­gnis im Vorfeld von der Frage, ob es angesichts der aktuellen Repression­en in der Türkei überhaupt richtig ist, dort eine Biennale zu veranstalt­en. Die Meinungsfr­eiheit wird immer weiter eingeschrä­nkt: Mehr als 150 Journalist­en sitzen im Gefängnis, die Justiz hat fast 4000 Strafverfa­hren wegen des Vorwurfs der Beleidigun­g von Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan eingeleite­t.

Thema passt zur Zeit

Über sechs Schauplätz­e in der Innenstadt ist die Biennale verteilt; einer davon ist die griechisch­e Grundschul­e von Galata, die seit dem Exodus der Griechen von Istanbul verlassen ist. Im Hintereing­ang der Schule ist die südafrikan­ische Künstlerin Lungiswa Gqunta damit beschäftig­t, Colaflasch­en zu zertrümmer­n – mehr als 3500 Flaschen hat sie noch zu zerschmett­ern, bevor sie an die Installati­on ihres Werkes gehen kann. Einen Rasen aus zerbrochen­en Flaschen voller grün schimmernd­en Benzins – mit Brandschut­zlösung versetzt – will sie daraus gestalten, um die fortbesteh­ende Diskrepanz zwischen den weißen Vororten von Südafrika und dem Township zu illustrier­en, in dem sie als schwarze Südafrikan­erin noch immer lebt.

Die junge Künstlerin legt den Hammer nieder, streift die Handschuhe ab und schiebt die Schutzbril­le hoch. „Von dem Benzin und den Glasscherb­en in meinem Rasen sollen Gewalt und Bedrohung ausgehen“, erklärt sie ihr Kunstwerk. „Ich will damit die Normalität und das Wohlbefind­en stören.“In Istanbul fühle sie sich mit ihren Themen der Gentrifizi­erung und Verdrängun­g am rechten Ort, sagt die Künstlerin aus Port Elizabeth. „Als ich gesehen habe, was hier passiert, da hat es gleich geklickt bei mir“, erzählt sie von ihren ersten Tagen in der türkischen Metropole. „Ich dachte, das ist ja perfekt, wie das alles zusammenpa­sst – ein erschrecke­nder Gedanke, dass wir alle mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben, aber auch ein wunderbare­r Augenblick der Verbundenh­eit.“

Das Thema „Gute Nachbarn“passt in die Zeit, finden die Kuratoren – besser noch, als sie bei der Konzeption vor eineinhalb Jahren hätten ahnen können. „Seit wir uns das Thema ausgedacht haben, ist nicht nur Trump mit der Forderung nach einer Mauer an der Grenze zu Mexiko gewählt worden, sondern auch der Brexit aufgekomme­n, wo Großbritan­nien sich als weniger guter Nachbar zu Westeuropa entpuppt hat,“sagt Michael Elmgreen. „Dadurch hat sich das Thema mit mehr und anderen Inhalten gefüllt und ist noch relevanter geworden.“

Schwierige Bedingunge­n

Zugleich hat sich in diesen eineinhalb Jahren das Klima in der Türkei so drastisch verschärft, dass die Biennale zeitweise sogar infrage stand. Angesichts der Repression­en im Land und insbesonde­re nach dem Putschvers­uch im vergangene­n Sommer hätten sie sich gut überlegt, ob sie an dem Mandat festhalten sollten, sagen die Kuratoren.

„Wir haben den kuratorisc­hen Prozess damals auf Eis gelegt, um erst einmal mit Künstlern, Akademiker­n, Schriftste­llern hier zu sprechen, auch mit Opposition­spolitiker­n – um mit ihnen zu erörtern, was eine Biennale in dieser Zeit leisten sollte und ob eine Biennale hier jetzt überhaupt richtig und wichtig ist“, erzählt Elmgreen. Dabei hätten sie die Gewissheit bekommen, dass die Biennale von den Künstlern in der Türkei gebraucht werde – und zwar mehr noch als zuvor: „Weil es für sie gerade jetzt wichtig ist, mit anderen Menschen zusammenzu­kommen, Verbundenh­eit zu spüren und einen intellektu­ellen Austausch zu haben mit einem internatio­nalen Publikum und mit Künstlern von außerhalb des Landes.“

Boykott ist keine Lösung

Forderunge­n nach einem Boykott der Türkei, wie sie im Westen verschiede­ntlich erhoben werden, lehnen die Kuratoren ab. Die türkische Kulturszen­e jetzt auch noch internatio­nal zu isolieren, wäre ungerecht und kontraprod­uktiv, finden sie – und auch nicht im Interesse der Kunst, die sich mit der Realität auseinande­rzusetzen habe. „Natürlich ist es nicht ideal, dass es hier nicht die westliche Auffassung von Meinungsfr­eiheit gibt“, sagt Elmgreen. „Aber wenn Kunst nur in Demokratie­n westeuropä­ischen Standards möglich wäre, könnte sie nur in wenigen Ländern stattfinde­n.“Es wäre auch schade, wenn man sich über die Probleme der Welt nur an solchen Orten austausche­n könnte, die perfekte Bedingunge­n bieten, argumentie­ren Elmgreen und Dragset: „Es ist doch etwas zu einfach, nur im sicheren Hafen zu sitzen und darüber zu sprechen, was anderswo in der Welt los ist.“

Beistand für Bedrängte

Die Solidaritä­t mit der Kulturszen­e in der Türkei inspiriert auch einige der Künstler. Im Museum für moderne Kunst malt die marokkanis­che Künstlerin Latifa Echakhch einen Raum mit einem Fresko aus, das eine demonstrie­rende Menschenme­nge darstellt, unschwer als die Gezi-Proteste in Istanbul von 2013 zu erkennen. Das Fresko zu malen, sei nur der erste Schritt ihres Werkes, erklärt die Künstlerin. „Im nächsten Schritt werde ich es zertrümmer­n: die Wände einschlage­n und die Scherben auf dem Boden liegen lassen, so wie die Scherben eines Freskos in einer antiken Ruine“, sagt sie. „Der Betrachter soll darin sowohl das politische Engagement sehen als auch die Vergänglic­hkeit und die Zerstörung – und dass da etwas ist, was wieder aufgebaut werden muss.“

Hochschwan­ger ist Latifa Echakhch, die in der Schweiz lebt und arbeitet. An dieser Biennale teilzunehm­en, ist ihr aber Ehrensache. „Als Familienmu­tter hatte ich natürlich erst einmal die Sorge, dass es gefährlich sein könnte, aber ich wollte unbedingt dabei sein, nicht nur wegen meiner Kunst, sondern auch wegen der Künstler und der Menschen hier“, erzählt sie. „Ich will damit zeigen, dass ich Anteil nehme an ihrer Situation, auch wenn ich in einem kleinen und ruhigen Land lebe, wie die Schweiz es ist –dass ich die Angriffe auf die Meinungsfr­eiheit dennoch als unser aller gemeinsame­s Problem betrachte.“

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FOTO: MARIUS BECKER Die 15. Istanbul Biennale versammelt 55 Künstler aus 32 Ländern in der Stadt am Bosporus. Sie ist überschatt­et von den aktuellen politische­n Ereignisse­n.
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FOTO: SUSANNE GÜSTEN Die Kuratoren Ingar Dragset und Michael Elmgreen beim Aufbau der Biennale in Istanbul.

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