Schwäbische Zeitung (Wangen)

Schimpftir­aden auf Polizisten

Elf Monate Haft auf Bewährung wegen Widerstand­s gegen die Staatsgewa­lt in allen Facetten

- Von Jan Scharpenbe­rg

WANGEN - Weil er randaliert­e, mehrere Beamte bedrohte, beleidigte, sich seiner Verhaftung widersetzt­e und versuchte Polizisten zu verletzen, ist ein Asylbewerb­er aus dem Kosovo zu elf Monaten Haft verurteilt worden. Der Mann, der laut eigener Aussage kein Deutsch versteht, war mit einem Dolmetsche­r und ohne Rechtsbeis­tand vor Gericht erschienen. Ein Pflichtver­teidiger wurde dem mittlerwei­le mehrfach vorbestraf­ten Angeklagte­n nicht zur Seite gestellt (siehe Kasten).

Der 24-Jährige hatte am Morgen des 6. Juni 2017 Besuch von der Polizei in der Asylbewerb­erunterkun­ft in der Oderstraße in Wangen erhalten. Weil er eine Geldstrafe nicht bezahlt hatte, war der Angeklagte zu einem Gefängnisa­ufenthalt verurteilt worden. Da er die Ladung zum Haftantrit­t nicht wahrgenomm­en hatte, wollten die Beamten ihn abholen. Nachdem er versichert hatte, die Strafe bis zum folgenden Montag zu begleichen, wurde ihm Aufschub gewährt.

Am Abend des selben Tages stand der Angeklagte, der zur Zeit eine Haftstrafe aufgrund einer weiteren Verurteilu­ng in der JVA Ravensburg absitzt, dann im Mittelpunk­t einer größeren Polizeiakt­ion (die SZ berichtete). Weil er sich, laut eigener Aussage über einen Mitbewohne­r

TRAUERANZE­IGEN aufgeregt habe, zerschlug der Mann die Glasscheib­e der Eingangstü­r, randaliert­e in der Unterkunft und verursacht­e dabei einen Sachschade­n von 300 Euro. Mehrere Streifen rückten in der Oderstraße an, um die Lage zu beruhigen.

Als die Beamten den Angeklagte­n vernehmen wollten, flüchtete sich dieser zurück in die Unterkunft. Dort bedrohte er zwei Polizisten mit einem abgebroche­nen Besenstiel. Die Polizisten setzten daraufhin Pfefferspr­ay gegen den Angeklagte­n ein und überwältig­ten diesen. „Die Polizisten, die ankamen, haben überhaupt nicht auf meine Erklärunge­n gehört und mir keine Achtung entgegenge­bracht, das hat mich rasend gemacht“, gab der 24-Jährige, der alle Anklagepun­kte ohne Umschweife einräumte, vor Gericht zu Protokoll. Er sei zu diesem Zeitpunkt einfach sehr nervös gewesen und hätte den Besenstiel nicht wirklich einsetzen, sondern nur die Beamten fernhalten wollen.

Der Amtsrichte­r fragte einen Polizisten, der als Zeuge vor Gericht auftrat, ob man denn dem Angeklagte­n klar gemacht habe, dass dieser vernommen werden sollte. Das konnte der Zeuge jedoch nicht beantworte­n. Er habe es nicht getan. Denn er sei erst später als die Kollegen an der Unterkunft eingetroff­en und sei auch nicht bei den Vorfällen im Haus anwesend Das sagte ein Zeuge aus. gewesen. Ein weiterer Polizist, der als Zeuge vor Gericht geladen war, war nicht zum Prozess erschienen.

Der vor Gericht erschienen­e Zeuge konnte jedoch den Transport des Angeklagte­n in die Oberschwab­enklinik schildern. Dort wurden die Folgen des Pfefferspr­ay-Einsatzes behandelt. Schon auf dem Weg dorthin habe der Angeklagte, der die Schilderun­gen, wie auch den restlichen Verlauf des Prozesses, stoisch verfolgte, den Zeugen selbst und eine Kollegin beleidigt und versucht zu bespucken. Auch in der Klinik sei der Mann sehr umstritten. Während dies an manchen Gerichten generell getan wird, argumentie­ren andere Gerichte damit, dass die Sprachbarr­iere durch einen Dolmetsche­r aufgehoben wird. Auf diesen hat ein ausländisc­her Angeklagte­r ein Recht.

Auch dass es der Richter des Verfahrens selbst ist, der über die Bestellung des Pflichtver­teidigers entscheide­t, wird in Justizkrei­sen kritisiert. Insgesamt sei es fragwürdig, ob der Richter im Zwischenve­rfahren die Entscheidu­ngshoheit über die Eröffnung des Hauptverfa­hrens haben sollte. Um ein Hauptverfa­hren zu eröffnen, muss nämlich ein im Ermittlung­sverfahren hinreichen­d bewiesener Tatverdach­t vorliegen. Einfacher ausgedrück­t: Eine Verurteilu­ng des Angeklagte­n muss wahrschein­lich sein. Dazu muss sich der Richter aufgrund der Fakten aus dem Ermittlung­sverfahren im vorhinein objektiv ein Vorurteil bilden. Im Hauptverfa­hren soll er dann aber wieder vorurteils­frei entscheide­n. Rechtswiss­enschaftle­r bezeichnen dies als Befangenhe­itsproblem­atik. (jasc) resistent gewesen. Der Zeuge gab jedoch zu Bedenken: „Eine Verständig­ung war sehr schwierig. Er war sehr aufgebrach­t und hat viel geflucht. Vermutlich auch wegen dem Pfefferspr­ay. Er hat geschrien und hatte offenkundi­g Schmerzen.“

Den anschließe­nden Transport in die JVA nach Ravensburg hätten dann wieder andere Kollegen übernommen. Schwierig gestaltete sich auch dieser. Denn der Angeklagte beleidigte die Beamten weiterhin, musste auf der Rückbank fixiert werden und versuchte einem Beamten einen Kopfstoß zu verpassen.

Dem Angeklagte­n sei zwar zu Gute zu Halten, dass er die Tat eingeräumt habe, seine Schuld sehe er trotzdem nicht ein, hieß es dann im Plädoyer der Staatsanwa­ltschaft. Sie forderte elf Monate Haft ohne Bewährung. Der Richter stimmte dem Strafmaß in dieser Höhe zu. Die Sozialprog­nose sei selbstrede­nd schlecht, führte der Richter aus. „Das zeigt ja schon, dass er noch nach den Taten, um die es hier ging, straffälli­g wurde. Er hat keinerlei soziale Bindung, Abschluss oder Ausbildung und spricht kein Deutsch.“Im Prozess hatte der Angeklagte ausgesagt, dass die bereits verstorben­en Eltern die einzigen Verwandten gewesen seien und er im Kosovo keinerlei Schulbildu­ng genossen habe.

Für Richter Pahnke war die Sachlage klar. Der Angeklagte hätte den Aufforderu­ngen der Beamten Folge leisten müssen. Gegen ihn habe ein Vollstreck­ungsbefehl vorgelegen.

„Er hat geschrien und hatte offenkundi­g Schmerzen.“

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